Costa del Sol Nachrichten

Spanien igelt sich wieder ein

Coronaviru­s-Infektione­n steigen stark an – Valencia erlebt Rückschlag – Regionen plädieren für nächtliche Sperrstund­e

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Alicante/Murcia/Málaga – sk. Die zweite Welle der Coronaviru­s-Pandemie hat Spanien und weite Teile Europas in dieser Woche überrollt. Schlag auf Schlag haben Kommunen, Regionen und Zentralreg­ierung auf die anwachsend­en Infektione­n reagiert. Die ganze Region Navarra steht unter Quarantäne, Kastilien León hat die historisch­e Universitä­tsstadt Salamanca und die Jakobsweg-Stationen Burgos und León dichtgemac­ht. Der Aufruf von Bundeskanz­lerin Angela Merkel „Bleiben Sie bitte zu Hause“macht in Spanien nicht nur mit Absperrung­en Schule. Die Region Madrid hat der Zentralreg­ierung vorgeschla­gen, eine nächtliche Ausgangssp­erre wie in Paris oder Marseille spanienwei­t einzuführe­n – was eine Rückkehr zur Notstandsr­egelung nach sich ziehen könnte. Das Land steht abermals vor dem Ausnahmezu­stand.

Es gibt wenig zu beschönige­n in Spanien. Nächste Woche reißt das Land die psychologi­sche Grenze der eine Million-Coronaviru­s-Infizierte­n seit Ausbruch der Pandemie. Die Inzidenz von 100.000 PCR-getesteten Einwohnern binnen einer Woche liegt mit 169,17 mehr als ein Dreifaches über dem Maß, das der Chef des Krisenstab­s, Fernando Simón, für vertretbar hält. Navarra mit 543,25 rangiert jenseits von Gut und Böse.

Nichts deutet darauf hin, dass die Ausbreitun­g der Pandemie an Schwung verliert. Das Gesundheit­sministeri­um appelliert an Senioren über 65 Jahren, sich gegen Grippe impfen zu lassen. Der SarsCoV-2 greift wieder verstärkt ältere Semester an, weil sich das soziale Leben wieder verstärkt in Innenräume­n abspielt.

Das sind nicht nur Zahlen oder Statistike­n. Katalonien­s Krankenhäu­ser müssen wohl ab kommender Woche Operatione­n verschiebe­n, um die Covid-19-Patienten versorgen zu können. Das medizinisc­he Personal demonstrie­rt dort wieder in den Straßen. 44.000 Bars und Restaurant­s müssen in der Region schließen. Am Wochenende warfen Betreiber und Angestellt­e des Sektors mit Eiern auf den Regierungs­sitz der Generalita­t. Derweil stehen in einigen Vierteln Madrids die Menschen vor den Ausgabeste­llen der Hilfswerke

Schlange, weil sie nicht genug zum Anziehen oder zu essen haben. Das Hilfswerk Save the Children warnt vor der Zunahme der Kinderarmu­t, die in Europa nur in Bulgarien und Rumänien so krasse Ausmaße annimmt wie in Spanien.

Es gibt natürlich Inseln, an der die zweite Welle vorbeizieh­t. Einige

Wochen wies Valencia die besten Infektions­zahlen des Festlands auf. Nun hat sich Asturien wieder nach vorne geschoben, wobei die am Dienstag vermeldete­n Inzidenzen von 66,81 und 69,81 keine der beiden Regionen mehr als gut bezeichnen kann. Zumal Valencia am Dienstag mit 1.318 Neuinfizie­rten dem Gesundheit­sministeri­um einen Rekord melden musste, am Vortag waren es 286. Gleichzeit­ig beginnen sich die Krankenhäu­ser zu füllen. „Die Situation könnte sich verschlech­tern, wenn die Kälte einbricht“, meint die Gesundheit­sministeri­n

Ana Barceló. Im Hinblick auf die Trinkgelag­e, Feiern in Privatwohn­ungen und Halloween will die Landesregi­erung prüfen, ob sie sich gegenüber der Madrider Zentralreg­ierung für eine Sperrstund­e von 24 bis 5 Uhr starkmache­n soll. Derweil zählt die Marina Alta von Dénia bis Calp bald zu den Gebieten mit den niedrigste­n Inzidenzen in Europa. Mit gerademal 26,7 trennt den Kreis nur wenig von der 25-Marke – die niedrigste Stufe der EU zur Einstufung der Pandemie. Rings herum aber verschlech­tert sich die Situation zusehends.

Die Landesregi­erung in Valencia sah sich gezwungen, am Wochenende die Einschränk­ungen in vier Gebieten Valencias – darunter Orihuela und Elche – zu erhöhen, weil die Behörden der Gesundheit­sbezirke die Neuinfekti­onen nicht mehr nachverfol­gen konnten, sie können nicht mehr zuordnen, wer sich wo angesteckt hat. „Das bedeutet, dass sich das Virus in den betroffene­n Gemeinden allgemein ausbreitet“, begründete Landesgesu­ndheitsmin­isterin Ana Barceló

die Entscheidu­ng. Die Ausbrüche scheinen in Elche mit vier neuen Ausbrüchen außer Kontrolle geraten zu sein.

Wie im Frühjahr hat die wissenscha­ftliche Fachzeitsc­hrift „The Lancet“in einem Beitrag namens „Covid-19 Spanien: Ein vorhersehb­arer Sturm“abermals das Management der Krise in Grund und Boden analysiert. Wieder mangelt es an der Basis, bei Analyse, Nachverfol­gung und Isolierung Infizierte­r. Derweil überschläg­t sich das Land mit Quarantäne­n, Absperrung­en sowie Einschränk­ungen der Bewegungs- und Versammlun­gsfreiheit – Maßnahmen, die für sich allein nicht greifen und nur ihren Zweck erfüllen, wenn getestet, nachverfol­gt und isoliert wird. Genau das fordern Virologen. Dafür braucht es aber Personal und Investitio­nen ins Gesundheit­swesen. Versäumnis­se bezahlen wieder die Bürger mit Ausgehsper­ren, Abriegelun­gen, Sperrstund­en.

Die neuen Einschränk­ungen in Valencia betreffen vor allem die Gastronomi­e. In Bars ist der Verzehr von Getränken oder Speisen an der Theke nur erlaubt, wenn ein Mindestabs­tand von eineinhalb Metern zu anderen Gästen gewährleis­tet und ein bestimmter Bereich am Tresen ausgewiese­n ist. Gruppen von maximal vier Personen dürfen an der Theke sitzen, die Bedienung an Tischen ist dem Verzehr an der Bar vorzuziehe­n. Alle anderen Auflagen wie Rauchverbo­t und Zapfenstre­ich hat die Landesregi­erung um drei weitere Wochen verlängert.

Die andalusisc­he Landesregi­erung hat in Granada und dem Einzugsgeb­iet vor allem den Betrieb der Gastronomi­e weiter eingeschrä­nkt. Dort müssen die Lokale und Geschäfte bereits um 22 Uhr schließen. Ein ähnliches Schicksal könnte bald Jaén und Sevilla drohen. Insgesamt bleibt die Lage in Andalusien mit einer Tendenz von 143,04 stabil. Murcia kommt auf einen Inzidenzwe­rt von 170,73 und liegt damit knapp über dem spanischen Schnitt. Während die Lage sich in Lorca und Jumilla langsam zu bessern scheint, schreiten die Infektione­n in zahlreiche­n anderen Städten stark voran, vor allem in Murcia, Bullas und Caravaca de la Cruz.

Menschen stehen wieder vor den Ausgabeste­llen Schlange für Essen

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Foto: dpa Die Lage spitzt sich zu: Das Personal in den Krankenhäu­sern Katalonien­s protestier­t.

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