Immobilien in der Krise?
Hat die Corona-Pandemie nun den spanischen Immobilienmarkt erschüttert oder kommt die Krise erst noch?
Madrid – ds. 2020 war für Spaniens Wohnungsmarkt nicht unbedingt ein leichtes Jahr. Bereits 2019, nach einer fünfjährigen Periode des anhaltenden Wachstums, machten sich erste Anzeichen einer Abkühlung des Immobilienmarktes bemerkbar. Dass es dann aber noch schlimmer kommen sollte, konnte keiner ahnen. Der überraschende Ausbruch der Covid-19-Pandemie zu Beginn des Jahres 2020 und die darauf folgenden strikten Lockdown-Maßnahmen seitens der spanischen Regierung haben ihren Tribut gefordert.
Dennoch, interessanterweise wurde der spanische Immobiliensektor trotz erschwerter Bedingungen weniger stark durchgeschüttelt als von einigen Experten angenommen. Der am häufigsten vorgeschobene Grund: Spanien habe aus dem Platzen der Immobilienblase im Jahr 2008 gelernt.
Mit Start des neuen Jahres 2021 steht man nun vor einem weiteren, vom Coronavirus gezeichneten Jahr. Die Ungewissheit, wie es mit dem spanischen Immobiliensektor weitergeht, ist groß.
Ein schwarzer Schwan
Von daher ist es naheliegend, dass die Coronavirus-Pandemie auch als „Schwarzer Schwan“-Ereignis bezeichnet wird. Der Begriff stammt aus einem im Jahr 2007 veröffentlichten gleichnamigen Buch. Der libanesisch-amerikanische Autor Nassim Nicolas Taleb beschreibt darin, wie sehr unwahrscheinliche beziehungsweise unerwartete Ereignisse – ob positiv oder negativ – enorme Auswirkungen auf das Weltgeschehen haben können. Solche Schwarzen Schwäne stellen damit auch immer die Robustheit ganzer Systeme auf den Prüfstand.
So hat das Coronavirus unter anderem viele Bereiche der Wirtschaft erschüttert. Leidtragende sind vor allem der Tourismus, die Hotellerie und der Handel. Der Immobiliensektor
sei, so die Aussagen einiger Immobilienexperten, mit einem „blauen Auge“davongekommen.
Laut einem Bericht von „El Confidencial“ist der Immobilienverkauf in den Monaten des Lockdowns weitgehendst zusammengebrochen, was sich letztendlich negativ auf das Jahres-Gesamtergebnis auswirken wird. Aber auch mit den Lockerungen der strengen Corona-Maßnahmen bleibt das Leben geprägt von großen wirtschaftlichen, sozialen und gesundheitlichen Unsicherheiten. Das heißt, momentan ist nicht unbedingt der beste Moment, um eine Immobilie zu verkaufen.
Entsprechend dem Platzen der Immobilienblase im Jahr 2008 und der darauf folgenden Finanzkrise wird unter solchen Bedingungen meist nur aus einer Not heraus verkauft. Kaufinteressenten können das für sich nutzen und den Preis nach unten verhandeln. Ein Szenario, bei dem wieder die Käufer die Oberhand haben.
Die Immobilienbranche geht davon aus, dass im Jahr 2020 weniger als eine halbe Million Einheiten verkauft worden sind, was dem Niveau von 2015 sehr nahe kommt. Samuel Población, nationaler Direktor bei CBRE, dem weltweit größten Dienstleistungsunternehmen auf dem gewerblichen Immobiliensektor, schätzt einen Rückgang von 35 Prozent bei der Gesamtzahl von Verkaufstransaktionen sowohl für neue, als auch für gebrauchte Immobilien, „was uns eine Zahl von rund 385.000 verkauften Immobilien im Jahr 2020 beschert“, so Población.
Er hebt hervor, dass der Immobiliensektor „untrennbar mit den makroökonomischen Variablen eines Landes verbunden ist. Die Entwicklung der Wirtschaft und die Arbeitslosigkeit wirken sich auf den Wohnungssektor aus, und zu diesem Zeitpunkt werden die positiven und hoffnungsvollen Nachrichten rund um den Impfstoff im Jahr 2021 zu einer Erholung des Sektors beitragen“.
Mit dieser Meinung steht er nicht allein da. Viele Experten sind zuversichtlich, dass sich die Immobiliengeschäfte mit dem Erfolg eines passenden Impfstoffs erholen werden. „Zu Beginn des Jahres
2020 war der Umsatz im Vergleich zum letzten Halbjahr des Vorjahres bereits etwas geringer. Im März gab es dann den absoluten Stillstand aufgrund der Mobilitätseinschränkungen“, erinnert sich Carlos Smerdou, CEO des Immobilienberatungsbüros Foro Consultores Inmobiliarios. „Ab Mai, als wieder eine gewisse Mobilität erlaubt war, stellten wir fest, dass das Interesse am Kauf von Häusern wieder zurück war. Die Leute fingen an, in Immobilienbüros zu gehen und schlossen teilweise sogar Reservierungen ab, ohne das Haus physisch gesehen zu haben. Vom Juni waren wir überrascht, weil es ein guter Verkaufsmonat war, und auch Juli, August und September waren sehr gut in Bezug auf die Transaktionen, weil es eine durch die Lockdown-Maßnahmen aufgestaute Nachfrage gab.“
Ab Oktober hingegen, mit dem Wiederanstieg der Covid-19-Infizierten und den daraus resultierenden erneuten Mobilitätseinschränkungen und Unsicherheiten, seien die Immobilien-Geschäfte wieder zurückgegangen. Dennoch bleibt Smerdou zuversichtlich. Er geht davon aus, dass, wenn die Pandemie wieder unter Kontrolle ist, eine weitere aufgestaute Nachfrage wieder „aus ihrem Versteck“kommen wird.
Mit der Corona-Pandemie hat sich auch der Nachfragewunsch geändert. Infolge der Lockdowns, der auferlegten Beschränkungen und des „Eingesperrtseins“steige die Nachfrage nach größeren Wohnungen, einem Haus am Strand, mit Garten oder im Ländlichen, so die Experten.
Nachfrage nach Häusern steigt
Auch von großen spanischen Online-Immobilienportalen wie Fotocasa ist zu vernehmen, dass die Käuferseite nicht verschwunden ist. „Was wir feststellen konnten ist, dass vor allem die Nachfrage nach Häusern größer geworden ist. In der Tat hatten wir bei Fotocasa noch nie so viele Kaufinteressenten“, berichtet Anaïs López, Leiterin für Kommunikation des Online-Portals. Das Interesse sei von 39 Prozent vor der Pandemie auf 43 Prozent gestiegen. Allerdings hätten einige Interessenten ihren Kaufwunsch erst einmal wieder „auf Eis gelegt“, meist weil sich ihre Arbeits- und wirtschaftliche Situation geändert hat.
Besorgt zeigt sich der Immobiliensektor eher über die langfristigen Auswirkungen der Krise auf den Wohnungsbau. Es sind kaum Bauprojekte mehr zum Verkauf angeboten worden, was in Zukunft zu einer Verknappung von neuem Wohnraum führen könnte.
Bauträger verharren derzeit in einer Art ‚Stand by‘-Modus. Sie warten ab, wie sich die Nachfrage aufgrund der Gesundheits- und Wirtschaftskrise weiter entwickelt. Bei der Laufzeit eines Bauprojekts
– von der Lizenz an bis zur Übergabe – kann man von etwa zwei Jahren sprechen. So gesehen befürchtet man für das Jahr 2023 einen Engpass.
Natürlich fragen sich auch viele, ob die Coronavirus-Krise nun schon einen Rückgang der Wohnpreise verursacht hat oder noch verursachen wird? Mitte 2020 titulierte Bloomberg „Spain’s $6 Trillion Home Market Faces Second
Crash in Decade“(Spaniens 6Billionen-Dollar-Eigenheimmarkt steht vor dem zweiten Absturz in einem Jahrzehnt). Experten, die sich mit dem spanischen Markt befassen, prognostizierten für das Jahr 2020 einen Einbruch der Immobilienpreise zwischen 6,5 und 15 Prozent, andere sprachen sogar von 25 Prozent. All das ist bislang nicht eingetroffen. Gemäß den Aussagen des Immobilienportals Fotocasa sind im Dezember 2019 die Preise für Gebrauchtimmobilien durchschnittlich um 1,3 Prozent gesunken und 2020 zwischen 1,5 und 2 Prozent.
Die Krise hinterlässt demnach ihre Spuren auf dem spanischen Immobilienmarkt, aber nicht so schlimm wie befürchtet. Allerdings, wie anfangs erwähnt, wird das Wort „Preisverhandlung“an Bedeutung gewinnen. Eigentümer, die sich aus der aktuellen Situation heraus veranlasst sehen, ihre Immobilie zu verkaufen, müssen verhandlungsbereit sein. Das wiederum kann zu weiteren Preisanpassungen führen.
Selbstverständlich sind nicht alle Städte, Regionen oder Provinzen gleichermaßen betroffen. Laut dem Gutachterunternehmen Tinsa lag der Durchschnittspreis für Wohnungen beispielsweise in der Provinz Alicante im vierten Quartal 2020 bei 1.133 Euro/m², was einem Rückgang von 7,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Die Provinz Valencia lag bei 997 Euro/m², was einem Rückgang von 6,6 Prozent entspricht. Anders die Provinz Castellón. Mit 921 Euro/m² konnte sie einen Anstieg von 2,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr vorweisen. In der Region Murcia fielen die Immobilienpreise im Vergleich zum Vorjahr um 6,9 Prozent auf 920 Euro/m² und in Andalusien um 10 Prozent auf 1124 Euro/m².
Was passiert 2021?
Nach Berechnungen der RisikoRating-Agentur Fitch werden die Immobilienpreise in Spanien 2021 durchschnittlich zwischen vier und sechs Prozent fallen, um sich 2022 dann wieder zu stabilisieren. Die Agentur untersuchte die Lage der Immobilienmärkte in sechzehn großen Volkswirtschaften weltweit und ist zu dem Schluss gekommen, dass Spanien und Großbritannien, den größten Preisverfall aufgrund der Vernichtung von Arbeitsplätzen infolge der Covid-19-Pandemie verzeichnen werden. Darüber hinaus wird der Einbruch des Tourismus die Investorennachfrage an der spanischen Küste zusätzlich negativ beeinflussen. Mit dem Rückgang des spanischen BIP steige auch der Abwärtsdruck auf die Immobilienpreise, so die Rating-Agentur.
Ein weiterer Kollateralschaden dieser Krise, so Experten, sei auch der erschwerte Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten, nicht nur für Hauskäufer was zu einer weiteren Verlagerung der Nachfrage in Richtung Miete führen wird , sondern auch für viele Bauträger. Die Zinssätze sind zwar so niedrig wie nie zuvor, aber die Banken haben seit Beginn der Pandemie ihre Kreditbedingungen verschärft.
Juan Fernández-Aceytuno von ST-Sociedad de Tasación ist überzeugt, dass „der Schlüssel zum Verständnis, was im Jahr 2021 passieren wird, in der Impfung und in den Medikamenten liegt, die eingesetzt werden können, um die Sterblichkeits- und Infektionsrate sowie die Anzahl der Menschen, die ins Krankenhaus eingeliefert werden, zu senken.“All dies werde das Vertrauen der Verbraucher und Investoren wiederherstellen“.
Mit dem Rückgang des spanischen BIP steigt auch der Abwärtsdruck auf die Immobilienpreise