Initiative gegen Landflucht
Drei Regional-Ministerpräsidenten starten gemeinsamen Vorstoß bei der EU
Madrid – tl. Zentralspanien leidet unter Landflucht. Wer kann, haut ab. Zurück bleiben die Alten. Und leben meist unter ärmlichen Bedingungen. Die Regierungschefs der am stärksten betroffenen Regionen Aragón, Castilla-La Mancha und Castilla-León haben eine parteiübergreifende Initiative gestartet, um die Bevölkerungsverluste nicht nur zu stoppen, sondern umzukehren. Dabei geht es um Steuervorteile, niedrigere Sozialbeiträge oder direkte Hilfen. Adressat der Initiative ist unter anderem die EU. Die Chancen, in Brüssel erhört zu werden, stehen gar nicht einmal schlecht.
Auf 70 Prozent der Fläche Spaniens – also 370.000 Quadratkilometer – wohnen lediglich sechs Millionen Einwohner. Die übrigen 41 Millionen konzentrieren sich auf die Region Madrid, auf die Küsten und auf wenige Städte im Landesinneren. Die drei Provinzen Soria, Teruel und Cuenca sind besonders menschenleer. Dort leben im Schnitt weniger als 12,5 Menschen pro Quadratkilometer. Im
Spanien-Schnitt sind es 93 Personen. Eine derartige Leere ist selbst für EU-Verhältnisse außergewöhnlich. Lediglich im Norden Skandinaviens und in Schottland stößt man noch auf solche Werte.
Die dramatische Situation hat die Regierungschefs der drei Regionen veranlasst, eine gemeinsame Aktion zu starten. Von der EU wünschen sich die Ministerpräsidenten den gleichen Status, den bevölkerungsarme Regionen in Nordeuropa mit weniger als acht Menschen pro Quadratkilometer genießen. In Soria, Teruel und Cuenca könnte dann eine 20-prozentige Ermäßigung bei den Sozialabgaben angewendet werden. Auch eine Senkung des Hebesatzes, der den Regionen bei der Einkommenssteuer (IRPF) zugestanden wird, halten die drei Politiker für eine denkbare Möglichkeit.
Der Vorschlag, die EU-Hilfe im Haushalt 2021 bis 2027 für bevölkerungsarme Regionen und für Regionen mit sehr geringer Bevölkerungsdichte zu vereinheitlichen und in eine einzige Regelung zu überführen, will EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager prüfen. „Die Probleme sind schließlich in beiden Fällen die gleichen“, sagte Emiliano GarcíaPage, PSOE-Regierungschef von Castilla-La Mancha.
Hilfreich könnte die Neuregelung des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) sein. Dieser Fonds soll den wirtschaftlichen Aufholprozess in ärmeren oder mit erheblichen Strukturdefiziten behafteten Regionen fördern. Die Neudefinition der Regionen, die EFRE-tauglich sind, kommt den Wünschen aus den drei Regionen entgegen. Anspruchsberechtigt sind Regionen mit 12,5 oder weniger Menschen pro Quadratkilometer oder Regionen, die zwischen 2007 und 2017 jährlich ein Prozent oder mehr an Bevölkerung verloren haben. Gleichwohl ist EFRE für die drei Ministerpräsidenten nur ein Instrument, das gegen Landflucht helfen kann.
Das Netz der bevölkerungsarmen Gegenden in Südeuropa, das 2016 von den Unternehmerverbänden in Soria, Teruel und Cuenca gegründet wurde, unterstützt die Initiative der drei Regierungschefs. Vorgeschlagen werden Steueranreize für Betriebe und Selbstständige, die sich in den drei Provinzen niederlassen, sowie eine teilweise Erlassung von Sozialbeiträgen.
Weniger Sozialabgaben und geringe Steuer auf Einkommen als Lockmittel
Schottland als Modell
Netz-Koordinatorin Sara Bianchi verweist darauf, dass diese Maßnahmen in den skandinavischen Ländern erfolgreich gewesen seien. Ein anderes erfolgreiches Modell, das man sich als Beispiel nehmen könne, sei die mittel- und langfristige Entwicklungspolitik für die Highlands in Schottland. „Zwischen 1961 und 2011“, sagte Bianchi, „nahm dort die Bevölkerung um 22 Prozent zu, während es im Rest von Schottland nur plus zwei Prozent waren“.