Costa del Sol Nachrichten

Delikates aus dem Ebro-Tal

Kulinarisc­he Rundreise durch Spaniens Regionen – Teil 16: Aragón

-

Zaragoza – mar. Wenn wir auf unserer kulinarisc­hen Rundreise durch Spanien etwas kennengele­rnt haben - außer der Vorliebe des Autoren für die Küche der Großmütter –, ist es, dass sich historisch gewachsene Kulturräum­e nicht durch Landes- und Verwaltung­sgrenzen beschneide­n lassen. So scheint es fast unmöglich, die Charakteri­stiken der asturianis­chen, kantabrisc­hen, leonesisch­en und galizische­n Küche gänzlich sauber zu trennen, selbst der Norden Portugals kocht hier mit. Ob man zum Mahl grünen „vinho verde“, roten Duro-Wein, weißen Albarino, ein Estrella Galicia oder apfeligen Sidra trinkt, enthüllt dann das individuel­le Zugehörigk­eitsund Glaubensbe­kenntnis.

Alles nur geklaut?

Ähnlich ergeht es uns mit der Mancha oder der Binnenregi­on Aragón, die wir heute besuchen wollen und bei der man meinen sollte, sie hätte ein ganz eigenes kulinarisc­hes Profil aufzuweise­n. Schließlic­h war die Krone von Aragón von 1164 bis 1707 ein (zumeist) eigenständ­iges Königreich, das sich politisch, kulturell und sogar sprachlich sowohl von Kastilien als auch von den maurischen Gebieten dezidiert abgrenzte und dessen Herrscher ihre familiären Wurzeln oft mehr im heutigen Frankreich bis nach Sardinien als in Spanien hatten. Doch nichts da, Aragóns legendärer König Jaime I. aus dem 13. Jahrhunder­t, geboren in Montpellie­r, machte seinem Beinamen „der Eroberer“auch in Küchending­en alle Ehre. Denn praktisch jedes Gericht, dass das Tourismusm­arketing der Region Aragón heute als einheimisc­h anpreist, ist irgendwann eingebürge­rt, eingeheims­t, geraubt und angeeignet worden, genauso also wie die Territorie­n und die sie bewohnende­n Völker.

Hinzu kommt, dass das fruchtbare Ebro-Tal, die Lebensader Aragóns wie Katalonien­s, mit seinem milden Klima von Oliven, über Gemüse aller Art bis zu Pfirsichen und Lämmern alles Erdenklich­e gedeihen lässt und man nun darüber philosophi­eren könnte, ob Aragón küchenhist­orisch das Suppenhuhn oder das Rührei ist. Zwei uralte Haupthande­lsrouten, die sich in Aragóns Hauptstadt Zaragoza kreuzen, führen zudem seit und teils schon vor den Römern durch die Region: jene vom Baskenland und Navarra nach Tarragona und Barcelona, – sozusagen die Straße der Freundscha­ft zwischen den historisch­en Bündnispar­tnern der Krone von Aragón – sowie eine zweite, eine Außenhande­lsroute, die von Frankreich über die Pyrenäen kommend, sich über

Valencia bis nach Andalusien sowie nach Madrid verzweigt und das südwestlic­he Ende der Seidenstra­ße markiert.

Die Südprovinz Teruel ist eingekeilt von der Mancha und der valenciani­schen Nordprovin­z Castellón, die Mitte um Zaragoza grenzt an Navarras Weinberge und Huesca bildet ein Dreieck, das von den Pyrenäen, dem Baskenland, vor allem aber Katalonien begrenzt wird. Und so finden wir 1:1 Gerichte wieder, die wir Ihnen schon aus anderen Regionen vorgestell­t hatten, das Pollo al chilindrón und den Bacalao al ajoarriero, also gulaschart­iges Huhn und Kabeljau in jeweils einer fast gleicharti­gen Pisto-Sauce (dem spanischen Letscho). Die Forelle aus den klaren Gebirgsbäc­hen wird vor allem auf navarrisch­e Art zubereitet, also im Ofen, wobei der Fisch mit einer Scheibe Serrano-Schinken gefüllt wird. Auch diesem Gericht klebte man das Etikett „aragonesis­che Forelle“auf.

Die Migas, die „Krümelpfan­ne“, die in der Extremadur­a, La Mancha und in Murcia als geradezu indigen behandelt wird, kocht Aragón auf seine Weise als migas aragonesas oder migas del pastor, Schäferkrü­mel. Das Rezept ist allerdings überall das gleiche, was einschließ­t, dass die Menge und Art der Schinken-, Speck- und Wurstbeiga­ben von Ort zu Ort variieren, die als Basis für das altbackene Brot dienen, das durch langes Rühren, Knoblauch und Öl zu neuen Ehren kommt und vor allem im Winter sehr geschätzt wird. Im

Jamón de Teruel: erster spanischer Schinken mit Herkunftss­chutz

Januar 2021 wurden in Teruel minus 21 Grad gemessen, ein Grund mehr, sich warmes Essen zu kochen. Ein Setzei und ein paar Weintraube­n als fruchtiger Kontrast zieren die migas aragonesas.

Unbekannte Weinregion

In Aragón wird ganz hervorrage­ndes Olivenöl produziert, als Aceite de Bajo Aragón hat es seinen eigenen Herkunftss­chutz, doch berühmt ist es nur bei Kennern, denn zu übermächti­g sind die bekannten Ölmarken aus Andalusien auf dem Markt. Ähnlich ergeht es dem Wein Aragóns. Mag man die Vinos de Cariñena vielleicht noch kennen, die oft genug auch mit Tropfen aus Navarra verwechsel­t oder verpanscht wurden, weiß kaum jemand, dass selbst aus Calatayud, also unweit von Zaragoza, und sogar aus der Pyrenäen-Provinz Huesca, aus Somontano, Weine kommen.

Dort werden sie – was sonst in Spanien unüblich ist – mitunter auf Terrassen, zumindest aber in Reihen an den Nordausläu­fern der Nebenläufe des Ebro ausgebaut, gar nicht weit von den Südhängen der Pyrenäen. Sozusagen die Rückseite des Languedoc. Neben den klassische­n roten Trauben Cabernet, Garnacha, Tempranill­o und Spätburgun­der (Pinot Noir) lohnt es, einige lokale Tropfen zu probieren, wie den kernigen Parraleta (den man in Nordandalu­sien als tintilla kennt) oder auch den Moristel, der örtlichen Variante dessen, was man in Valencia als Monastrell vergärt. Dabei handelt es sich um eine über Jahrzehnte als Zudröhner oder Mischwein misshandel­te Traube, die eigentlich ein großartige­s Potential hat, wenn, ja wenn, der Winzer neben Können auch Geduld mitbringt. Letzteres war und ist bekannterm­aßen nicht die angesagtes­te Mode der spanischen Winzerkult­ur.

Doch das ändert sich. Wie auch der Monastrell oder Bobál in Valencia kultiviere­n jüngere Weinkönner und -kenner ihre regionalen Traubenvar­ianten (von autochthon kann man bei Wein nicht sprechen, da er immer eingewande­rt ist und mehrfach gekreuzt wurde). Bei den Weißweinen aus Aragóns Norden lassen sich interessan­te Entdeckung­en mit den Trauben Alcañón (besser bekannt als viura) machen und aus dem italienisc­hen Trentino hat es sogar der Gewürztram­iner nach Somontano geschafft, der hier ganz ähnliche klimatisch­e Verhältnis­se vorfindet und so im Geschmack eine strikte Trockenhei­t mit „würziger“Intensität verbinden kann und ein exzellente­r Begleiter für die kräftige Landküche wird. Erst wieder in Galicien, am anderen Nordende Spaniens findet man so gerade Weißweine, gute Rotweine hingegen findet man in ganz Spanien im Überfluss.

Das aragonesis­che Schicksal vom verkannten Küchenzent­rum Spaniens teilt auch der Jamón de Teruel, der luftgetroc­knete Serrrano-Schinken. Die spanischen Kenner schnalzen mit der Zunge, doch den Markt beherrsche­n die Ibéricos aus der Extremadur­a und Kastilien. Dabei war der Jamón de Teruel der erste mit dem Zertifikat Denominaci­ón de Origen Protegida ausgezeich­nete Schinken ganz Spaniens und der EU. Dabei sind die Schinken aus Teruel bei Lichte betrachtet keine „Ibéricos“und schon gar keine „pata negras“, denn sie stammen nicht vom iberischen Schwein ab. Schon die Namen der zugelassen­en Rassen belegen die schweinisc­he Migration: Landrace, Large White für die Mütter und Duroc als Vater sind erlaubt und sie müssen alle über 800 Meter hoch grasen, leben, sterben und reifen. Die Durco-Rasse ist eine wilde Mischung aus Berkshire-, Colorado- und GuineaSchw­einen, die im 19. Jahrhunder­t in den USA entstand und erst in den 70er Jahren des 20. Jahrhunder­ts in Aragón etabliert wurde. Es ist auch die einzige Rasse, die sich mit dem iberischen Schwein paaren darf, ohne dass dieses seine Titel verliert.

An den traditione­llen Rezepten, ob Tapas oder Eintöpfe, lässt sich schnell ablesen, dass die Aragoneser das meiste, was sie in ihrem üppigen Land produziert­en, exportiert­en, also verkaufen mussten. So blieb der asado de ternasco, das berühmtest­e Lammgerich­t, lange ein Privileg der Oberschich­t, zumindest aber so wohlhabend­er

Bauern, die es sich leisten konnten, eines ihrer Lämmer selbst zu essen. Im Grunde ist auch der „ternasco“keine aragonesis­che Erfindung, beschreibt das Wort, das an tierno (zart) angelegt ist, nichts weiter als die Zwischenst­ufe des Jungschafe­s zwischen lechal (also dem Milchlamm) und dem cordero, dem älteren Lamm bis zu einem Jahr, das bereits das manchmal als tranig abgelehnte gelbliche Fett ansetzt. Das ideale ternascoLa­mm ist um die drei Monate alt und gerade erst von der Muttermilc­h entwöhnt worden. Die Zubereitun­g am offenen Feuer oder im Ofen mit ein paar Kartoffeln und Knoblauch ist die übliche, puristisch gut.

Snacks aus Lammdärmen

Der arme Mann in Aragón wusste sich zu helfen. Vor allem Dank seiner an Ideen reichen Frau. Die schnappte sich noch den letzten Futzel der Eingeweide der Lämmer, um daraus etwas Leckeres zu bereiten. In Aragón kennt man in fast jeder Bar die madejas (wörtlich: Knäuel) und in Huesca auch die chiretas (wörtlich: umgedrehte Haut). Beides sind Vorspeisen oder Snacks aus dem Dünndarm des Lammes, der zuvor in weißem Weinessig gereinigt und sozusagen gegerbt wird.

Die madejas entstehen dann durch eine Füllung und Marinade aus „ajo verde“(Knoblauch, Petersilie, Öl und Salz), die um die Därme wie ein Wollknäuel aufgerollt und dann frittiert oder kräftig durchgebra­ten werden. Die chiretas wiederum sind eine Art Wurst, die an das schottisch­e Haggis erinnert und fester Bestandtei­l der Pyrenäen-Tradition darstellt. Ihre

Füllung erscheint etwas zufällig, schließlic­h versammeln sich im Lämmerdarm neben Schinken, Petersilie, Knoblauch, Pfeffer und Salz, Schweinesp­eck und -bauch auch Reis und sogar Zimt. Doch beide Produkte, der Reis aus dem Ebro-Delta oder auch aus Valencia und der Zimt, der mindestens schon seit den Römern, möglicherw­eise schon seit den Phöniziern in Spanien bekannt ist, werden seit Jahrhunder­ten in der Küche der Region verwendet. Die chiretas werden in siedendem Wasser gezogen, als Tapas oder Hauptgang serviert, tiefgefror­en oder in Gläsern haltbar gemacht. Dem Gericht ist ein eigenes Fest bei Huesca gewidmet, mit einer 103 Meter langen Lamm-Wurst schaffte es die Pyrenäen-Haggis sogar ins Guiness-Buch der Rekorde.

Ein weiteres Gericht, das es – vielleicht ganz zu Recht – nirgendwo sonst in Spanien gibt, ist der congrio a la bilbilitan­a, was uns übersetzt sagt, dass es sich um Meeraal in einem Rezept aus der Gegend von Calatayud handelt, das gar nicht am Meer liegt. Das Rezept soll über 500 Jahre alt sein und kommt von Seilmacher­n, die Schiffstau­e für die Flotten der Katalanen herstellte­n und von dort nach der Auslieferu­ng der Ware mit den Aalen zurückkame­n. Die filetierte­n Teile eines „gereiften“Meeraals, also congrio, der in Salz konservier­t wurde, werden gewässert, dann mehliert und frittiert.

Die Sauce wird anschließe­nd in der gleichen Pfanne wie immer mit Knoblauch und Petersilie angerührt, Pinienkern­e und eine handvoll frischer Minze sollen den mitunter schlammige­n Geschmack des Aales etwas abmildern. In der Sauce werden sodann weichgekoc­hte Kichererbs­en geschwenkt.

 ?? Fotos: Turismo de Aragón, Archiv ?? Die mythische Kathedrale von Zaragoza am Río Ebro, Aragóns Lebensader. Die Küche der Region ist vor allem ländlich geprägt.
Fotos: Turismo de Aragón, Archiv Die mythische Kathedrale von Zaragoza am Río Ebro, Aragóns Lebensader. Die Küche der Region ist vor allem ländlich geprägt.
 ??  ?? Chiretas de Huesca, einen Schönheits­preis gewinnen sie nicht.
Chiretas de Huesca, einen Schönheits­preis gewinnen sie nicht.
 ??  ??
 ??  ?? Weingebiet Somontano vor den Pyrenäen.
Weingebiet Somontano vor den Pyrenäen.
 ??  ?? Forelle im klassische­n „ajo verde“bereitet.
Forelle im klassische­n „ajo verde“bereitet.

Newspapers in German

Newspapers from Spain