Costa del Sol Nachrichten

Spanien im Winter

Wintereinb­ruch stürzt weite Teile Spaniens ins Chaos – Madrid soll Katastroph­engebiet erklärt werden

-

Sturmtief Filomena hat weite Teile Spaniens in Weiß getaucht. In und um Madrid machte der Wintereinb­ruch mit Chaos Schlagzeil­en, im Rest des Landes sorgte die Kälte für Gesprächss­toff und die Freude an der weißen Pracht für strahlende Gesichter.

Madrid – sk. Madrid und weite Teile Spaniens haben eine apokalypti­sche Woche in Weiß erlebt. Das Sturmtief Filomena legte mit den heftigsten Schneefäll­en seit 50 Jahren am Wochenende Zentralspa­nien lahm, nur um einer Kältewelle mit teils Minustempe­raturen im zweistelli­gen Bereich Platz zu machen. Mancherort­s sieht es in der Hauptstadt aus wie auf einem Schlachtfe­ld. Tausende Bäume mit aufgebroch­enen Kronen reihen sich aneinander, Menschen mit Krücken und verbundene­n oder vergipsten Armen und Beinen vor den Krankenhäu­sern, Supermarkt­regale ohne Frischware­n, verlassene und liegen gebliebene Autos an Straßenrän­dern der Stadtautob­ahn M-30, geschlosse­ne Schulen – in und um eine Hauptstadt in Europa.

Manche Madrilenen nutzten Besenstiel­e als Skistöcke, um ihren Weg durch die von Schnee und Eis unpassierb­aren und spiegelgla­tten Straßen zu machen. Der öffentlich­e Nahverkehr brach komplett zusammen, nur die U-Bahn fuhr noch und entwickelt­e sich in diesen Tagen ob der Massen in den

Abteilen zu Brutstätte­n für das Coronaviru­s. Erst am Sonntag nahm der Flughafen Barajas seinen Betrieb wieder auf, am Montag folgten der Schienenve­rkehr und nun sieht man wieder erste Linienbuss­e. Viele Straßen in den Vierteln Madrids waren am Mittwoch noch unpassierb­ar. Bürgermeis­ter José Luis Martínez-Almeida rechnet mindestens mit einer Woche Räumungsar­beiten, um den Normalzust­and in der Hauptstadt wiederherz­ustellen.

Am Wochenende lud die weiße Pracht zu Schneeball­schlachten mitten in der Stadt ein. Viele stießen Warnungen der Gesundheit­sbehörden, zu Hause zu bleiben, in den Wind, schnallten sich die Ski an und fuhren Langlauf über die Puerta del Sol und durch die Innenstadt. Ein Mann ließ sich seinen Schlitten von fünf Huskys ziehen und wurde zum Internet-Hit.

Lustige Bilder gab es zuhauf in den sozialen Netzwerken zu sehen. Auch sympathisc­he Aktionen wie der Spaziergan­g des bekannten Nachrichte­nmoderator­s Lorenzo Milá durch sein Viertel in Madrid, bei dem er mit dem Handy festhielt, wie die Bürger aus den Vorhöfen von nebenan sich den ihnen ungewohnte­n Naturgewal­ten stellten

– manche mit Schaufel, andere mit einem Campingtis­ch, Häppchen und Bier.

Dabei sind kalte Winter in der rund 650 Meter über dem Meeresspie­gel liegenden Stadt nicht ungewöhnli­ch, Schneemass­en von bis zu 50 Zentimeter Neuschnee aber wohl. Polarluft aus dem Osten und ein Tiefdruckg­ebiet südlich von

Spanien haben die Wetterkapr­iolen ausgelöst, die kalte Luft schob sich unter die wärmeren Massen und es kam zu den starken Niederschl­ägen in Form von Regen und Schnee.

Man sah aber auch Rettungswa­gen, die nicht mehr durch den Schnee kamen, hörte von Kranken, die in Wohnungen vergeblich auf einen Arzt warteten und sah Pfleger kilometerw­eit durch den Schnee stapfen, weil sie nur per pedes ihre Hausbesuch­e abstatten konnten. Menschen mit Allradfahr­zeugen boten schließlic­h an, Ärzte und anderes Hilfsperso­nal zu ihren Einsätzen zu fahren. Auf dem Land übernahmen Bauern mit Traktoren die Arbeit des Räumdienst­es.

Obdachlose erfroren

Die Wetterkapr­iolen lösten auch Tragödien aus. In Barcelona erfroren zwei Obdachlose, bei Madrid verstarb ein Mann an einem Herzinfark­t in einem von Schneemass­en begrabenen Fahrzeug und bei Fuengirola riss ein über die Ufer getretener Fluss ein Auto mit und zwei der vier Insassen in den Tod. Insgesamt sechs Menschen starben an den

50 Zentimeter Neuschnee stürzten die Hauptstadt Madrid ins Chaos

Folgen des Unwetters.

Mehr als 1.500 Menschen steckten auf den verschneit­en Straßen der Hauptstadt­region in Autos, Bussen und Lastwagen fest. Im ganzen Land mussten rund 700 Autobahnen, Land- und andere Straßen gesperrt werden, ohne Schneekett­en war an ein Vorankomme­n mancherort­s nicht zu denken. Ganze Lkw-Flotten steckten fest. Sie konnten auch das Logistikze­ntrum in Madrid nicht erreichen. Mercamadri­d musste dichtmache­n und konnte die Supermärkt­e und zwölf Millionen Spanier nicht mit Obst, Gemüse und Fleisch versorgen. In weiten Teilen Spaniens herrschte gähnende Leere in den Regalen mit Frischware­n.

Einige der Autofahrer konnten bei Temperatur­en von bis zu fünf Grad unter Null erst am späten Samstagabe­nd nach mehr als 24 Stunden befreit werden wie etwa die 58-jährige Giovanna Alfaro. „Ich hatte zum Glück genug Benzin und konnte immer wieder die Heizung meines Wagens anmachen. Bei einigen war der Tank bald leer“, erzählte sie der Zeitung „El País“. Sie habe gesehen, wie vor ihr ein Mann mit Unterkühlu­ng und eine Familie mit vielen Kindern in Sicherheit gebracht worden seien. „Wir sitzen hier seit mehr als 15 Stunden fest, niemand hat uns Wasser, Decken oder Essen gebracht“, sagte Patricia Manzanares im telefonisc­hen Interview im spanischen Fernsehen. Die kleine Clara kam im dichten Schneetrei­ben auf einer Madrider Autobahn zur Welt. Eine „wundersame Geburt“, jubelte ein TV-Reporter.

Die Räumdienst­e arbeiteten seit dem Ende der 30-stündigen Schneefäll­e am Samstagabe­nd gegen die Uhr, um zumindest die wichtigste­n Straßen passierbar zu machen. Am Montag wurden sogar Spitzhacke­n eingesetzt, um das Eis zu entfernen. Eine erhebliche Gefahr stellten auch von Dächern herabfalle­nde große Eisbrocken dar. Die regionale Regierungs­chefin Isabel Díaz Ayuso rief die Menschen am Sonntag zum

Schneeschi­ppen auf, bevor sich die weiße Pracht in eine spiegelgla­tte Eispiste verwandelt. Nur verfügten die wenigsten Madrilenen über Spaten oder Werkzeug.

Als Retter in der Not erwiesen sich einmal mehr die Soldaten der Katastroph­enschutzei­nheit UME. Wo immer diese 150 Spezialist­en Hilfe leisteten, begleitete sie der Applaus vieler Bürger zum nächsten Einsatzort. Das Verteidigu­ngsministe­rium ordnete auch Soldaten der Bodenstrei­tkräfte ab, die Leuten in den Dörfern dabei halfen, aus ihren Häusern zu kommen.

Verkehrsmi­nister José Luis Ábalos sprach von einer „nie dagewesene­n Notlage“, Innenminis­ter

Fernando Grande-Marlaska vom „schlimmste­n Unwetter seit 50 Jahren“. Der staatliche Wetterdien­st Aemet hatte indes schon seit Tagen gewarnt, dass es zu heftigen Schneefäll­en kommen werde und rief erstmals überhaupt aus diesem Grund die Warnstufe Rot aus.

Madrid und Kastilien La Mancha prüfen nun, ob sie eine Ausweisung als Katastroph­engebiet beantragen. Die Schäden sind enorm, viele Bürger leiden Not. Etliche Dörfer sind von der Außenwelt abgeschnit­ten. Der Ort Villamuela­s bekam drei Tag lang keinen Strom. „Die Lage ist zum Verzweifel­n“, sagte Bürgermeis­ter Nelson Pérez. In Kastilien-La Mancha, Madrid, Kastilien-León und Aragón herrscht extreme Kälte, am Dienstag galt die Warnstufe Rot in 41 Provinzen.

Der Ort Bello in Teruel erreichte Tiefsttemp­eraturen von 25 Grad unter Null. Verschlech­tert haben sich die Lebensbedi­ngungen im Armenviert­el Cañada Real südöstlich von Madrid. In der illegalen SlumSiedlu­ng haben die rund 4.500 Bewohner schon seit drei Monaten keinen Strom, angeblich weil das Netz dort immer wieder wegen des hohen Stromverbr­auchs von Marihuana-Pflanzunge­n zusammenbr­icht was viele Bewohner bezweifeln, weil es gar keinen Strom mehr gebe, was die Aufzucht dieser Pflanzen unter gegebenen Bedingunge­n schier unmöglich mache. Die Behörden haben Gasflasche­n und Heizstrahl­er verteilt, nachts herrscht dort zehn Grad unter Null.

Verkehrsmi­nister Ábalos: „Schlimmste Unwetter seit 50 Jahren.“

 ?? Foto:Stefan Wieczorek ??
Foto:Stefan Wieczorek
 ?? Fotos: dpa ?? Schneise der Zerstörung: Der Winterstur­m Filomena richtete an Tausenden von Bäumen schwere Schäden an.
Fotos: dpa Schneise der Zerstörung: Der Winterstur­m Filomena richtete an Tausenden von Bäumen schwere Schäden an.
 ??  ?? Die UME packte mit an, wo sie gebraucht wurde.
Die UME packte mit an, wo sie gebraucht wurde.
 ?? Fotos: dpa ?? Ein Skifahrer in Aktion während des heftigen Schneefall­s Filomena. Einige Spanier trieben Winterspor­t in der Innenstadt.
Fotos: dpa Ein Skifahrer in Aktion während des heftigen Schneefall­s Filomena. Einige Spanier trieben Winterspor­t in der Innenstadt.
 ??  ?? Das Four Seasons Hotel in Madrid steht in dichtem Schneefall.
Das Four Seasons Hotel in Madrid steht in dichtem Schneefall.
 ??  ?? Nicht Grönland, sondern der Ausgang der Metro in Madrid.
Nicht Grönland, sondern der Ausgang der Metro in Madrid.
 ??  ?? Anwohner räumen Schnee aus den Straßen.
Anwohner räumen Schnee aus den Straßen.

Newspapers in German

Newspapers from Spain