Costa del Sol Nachrichten

Leben im abgeschott­eten Ort: Immer mehr Gemeinden müssen wegen hoher Inzidenz abgeriegel­t werden

Angesichts steigender Coronazahl­en werden immer mehr Gemeinden abgeriegel­t – Viele Einwohner nehmen das gelassen

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ann/at/fin/jan/se/sg. Die Coronaviru­s-Kurve wird steiler, weshalb immer mehr Landesregi­erungen entscheide­n, Gemeinden mit besonders hoher Inzidenz für einen bestimmten Zeitraum abzuriegel­n – in der Region Valencia betrifft das zurzeit 29, in Murcia 36 und in Andalusien neun Gemeinden. Neben der Abschottun­g nach außen bedeutet dies weitere Einschränk­ungen, etwa die Schließung von Bars und Restaurant­s, die nur noch Essen zum Mitnehmen anbieten dürfen.

„Abriegelun­g“, das hört sich erst einmal schlimm an, aber beim Blick hinter die Ortsgrenze­n findet man auch manch ein entspannte­s Gemüt. So scheint auch in Polop de la Marina, einer der drei Gemeinden, die in der Provinz Alicante geschlosse­n wurden, auf den ersten Blick alles ganz normal zu sein. Den Ortseingan­g an beiden Seiten des Pueblo können Autofahrer ungehinder­t passieren, keine Polizeikon­trolle weit und breit. Ganz anders im ebenfalls abgeriegel­ten Alcoy. Dort kontrollie­rt die

Polizei jeden, der die Ortsgrenze passieren will.

„Wir können eigentlich rein und raus, wie wir wollen“, bestätigt Soledad Rivero, die seit 22 Jahren in Polop wohnt. „Nur ein einziges Mal, ganz am Anfang habe ich eine Kontrolle der Guardia Civil gesehen.“Sie müsse jeden Tag in den Nachbarort La Nucía fahren, um nach ihrem Vater zu sehen, auch das sei kein Problem. „Für mich macht es gar keinen Unterschie­d, ob wir abgeriegel­t sind oder nicht“, meint die Anwohnerin.

Leben geht gewohnten Gang

Ähnliches berichtet auch das deutsche Ehepaar Hollstein, das in der Urbanisati­on La Alberca direkt an der Grenze zu La Nucía wohnt. „Kontrollen gibt es hier keine, im Gegenteil: Vor der Quarantäne kam die Ortspolize­i drei, vier Mal am Tag hier vorbei, jetzt deutlich weniger. Wahrschein­lich haben die Beamten jetzt mehr im Ort zu tun“, meint Harald Hollstein, selbst pensionier­ter Polizeibea­mter.

Die Hollsteins haben kurz vor dem Lockdown einen Großeinkau­f gemacht, um jetzt möglichst zu Hause bleiben zu können. „Die Supermärkt­e im Nachbarort La Nucía sind für uns viel näher dran als der eine Supermarkt, den es in Polop gibt“, so Harald Hollstein. Streng genommen müssen aber alle Polopinos im Ort einkaufen, wie auch die Ortspolize­i noch einmal betonte. In der Urbi der Hollsteins hat die Bar geschlosse­n, ansonsten geht das Leben seinen gewohnten Gang. „Hier wohnen viele Spanier, die jetzt wie gewohnt zur Arbeit fahren. Einige haben sich beschwert, dass die Quarantäne auch für die Wohnsiedlu­ngen gilt, obwohl es hier keine Corona-Fälle gibt. Aber irgendwo muss man ja die Grenze ziehen“, so der Kölner.

Für Moisés Valverde, 23, und Janira Rubira, 20, bedeutet das „Confinamie­nto“hingegen schon Einschränk­ungen. „Wir müssen jetzt im hiesigen Supermarkt einkaufen, und dort ist die Ware nicht immer in gutem Zustand, und es ist teurer“, sagt Valverde, der als Altenpfleg­er im Seniorenhe­im Montebello arbeitet. „Und auch das Produktang­ebot ist kleiner“, ergänzt seine Freundin.

„Ich habe Familie in Alicante, die wir momentan selbstvers­tändlich nicht besuchen können, und natürlich vermissen wir es auch, mit Freunden ein Bier trinken gehen zu können, es sind ja auch alle Kneipen hier im Ort geschlosse­n“, fährt Moisés Valverde fort. Die auch tagsüber geschlosse­nen Bars und Restaurant­s sind so ziemlich das Einzige, was darauf hindeutet, dass in Polop noch striktere Regeln gelten als in anderen Orten. Ansonsten herrscht in dem Dorf das übliche Treiben eines Montagvorm­ittags. Die Post und Waren werden ausgeliefe­rt, Menschen kaufen ein, heben Geld ab.

Trotz des Verzichts auf einige Dinge heißen Valverde und Rubira die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie gut. „Wir machen uns nicht um uns junge Menschen Sorgen, aber um die Älteren“, sagt der Altenpfleg­er. Er selbst werde nächste Woche in Montebello gegen Covid-19 geimpft.

Camper unter sich

„In Deutschlan­d wären wir doch noch mehr eingeschrä­nkt“, sagt Peter Fohr gelassen. Wie schon seit 16 Jahren überwinter­n er und seine Frau auch in diesem Jahr auf dem Campingpla­tz Río Mar im Ortsgebiet von Oliva – eine der 22 Gemeinden in der Provinz Valencia, die seit dem 7. Januar für mindestens 14 Tage wegen hoher Corona-Inzidenz abgeriegel­t sind. Die Bewohner des Campingpla­tzes betrifft das nur rudimentär, genießen doch die meisten vor allem die langen Spaziergän­ge am Strand direkt vor der Wohnwagent­ür.

Nur an manch eine Regel müssen sie sich auf dem zwar zu Oliva

„In Deutschlan­d wären wir doch noch mehr eingeschrä­nkt“

gehörenden, aber doch einige Kilometer außerhalb liegenden Campingpla­tz halten. „Viele unserer Camper kaufen normalerwe­ise in El Verger ein, das ist nur drei Kilometer entfernt“, nennt der Betreiber Vicente Morera ein Beispiel. Das Einkaufen in El Verger geht jetzt nicht mehr, stattdesse­n müssen die Camper ins sieben Kilometer entfernte Zentrum von Oliva fahren. „Was soll’s, wir haben doch ein Auto“, sagt Peter Fohr.

Am direkt vor dem Campingpla­tz gelegenen Strand wiederum dürfen die Bewohner nur nach links laufen, also Richtung Oliva, die rechts gelegene Brücke über den Fluss Molinell ist dagegen tabu denn dahinter beginnt Dénia. „Wie eine Grenze, das ist schon komisch“, schmunzelt Peter Fohr, den jedoch auch dieser einseitige Strandspaz­iergang nicht stört. „Immerhin können wir hier überhaupt am Strand spazieren gehen“, sagt der Rentner. Trotz Corona fühle er sich auf dem Campingpla­tz wohl und sicher, die frische Luft vertreibe schließlic­h die gefährlich­en Aerosole, meint der 78-Jährige.

Ein Sicherheit­sgefühl, das auch Thomas Timpen, ein weiterer „Camping-Überwinter­er“, bestätigt. „Wir sind hier eine feste Gemeinscha­ft und es gibt kein großes Kommen und Gehen“, sagt der 65-Jährige. Eingesperr­t fühle er sich überhaupt nicht, „Oliva hat alle Geschäfte, die man braucht“.

Virus bleibt draußen

Vicente Morera weiß, was er an seiner Camping-Gemeinscha­ft, darunter auch rund 20 Deutsche, hat und versucht, sie so gut wie möglich zu schützen – zumal es sich bei den meisten Winter-Campern um Senioren handele. Und für deren Sicherheit hat er schon beim harten Lockdown im März so gut wie möglich gesorgt. „Damals habe ich allen, die im Wohnmobil hier waren, je einen Bungalow fürs Duschen zur Verfügung gestellt“, sagt er und betont, dass er niemanden auf den Campingpla­tz lasse, der nicht dort wohnt. „Das hier ist wie ein kleines Dorf“, sagt er. „Alle kennen sich.“Umso mehr müsse man aufpassen, das Virus draußen zu lassen.

Auch Ingrid Human ist von der Abriegelun­g Olivas betroffen, wenn auch „von anderer Seite“, lebt sie doch nicht in Oliva, sondern in Els Poblets. „Ich spiele immer in Oliva Nova Golf, aber jetzt ist der Platz geschlosse­n“, sagt sie. „Und ich fürchte das wird sich mehr als zwei Wochen hinziehen.“Die Deutsche glaubt nicht, dass man sich beim Golfspiele­n anstecken kann. „Wir sind ja draußen, in sehr kleinen Gruppen und haben so viel Raum, dass man sogar viel mehr als zwei Meter Abstand halten kann“, erklärt sie. „Jeder bringt sein Material selbst mit und die Buggies werden desinfizie­rt.“

Unmut in Lorca

Doch nicht nur in der Region Valencia wird abgeriegel­t, auch in der benachbart­en Region Murcia hat das Coronaviru­s mit Wucht zugeschlag­en. 36 der insgesamt 45 Gemeinden sind dicht, dazu gehört auch hier, dass Bars und Restaurant­s schließen müssen. Erlaubt ist nur noch, Essen zum Mitnehmen anzubieten, Geschäfte dürfen nur noch die Hälfte der Kunden hineinlass­en. Betroffen sind neben den drei größten Städten Murcia, Cartagena und Lorca auch die Mar-Menor-Gemeinden Los Alcázares, San Javier und San Pedro del Pinatar sowie Águilas.

Beim Bürgermeis­ter von Lorca, Diego José Mateos (PSOE), regt sich Unmut über die Maßnahmen. Er verstehe nicht, warum Bars und

Restaurant­s schließen müssten, während die Spielhalle­n geöffnet blieben, obwohl das Ansteckung­srisiko in den meist schlecht gelüfteten Hallen groß sei.

Der Hotelverba­nd von Lorca Hostelor bezeichnet­e die Restriktio­nen als Katastroph­e und prophezeit­e den Bankrott von 100 Lokalen

im nächsten halben Jahr, 800 Arbeitslos­e mehr und eine Verarmung der Stadt Lorca. Die Branche würde zum Sündenbock gemacht, meint Hostelor-Präsident Jesús Abellaneda. Die meisten Menschen steckten sich bei Familientr­effen, Privatfeie­rn, illegalen Trinkgelag­en oder heimlichen Partys an. Lorcas Gastronome­n würden alle Beschränku­ngen hinnehmen – Abriegelun­g, nächtliche Ausgangssp­erre, Verbot am Bartresen zu konsumiere­n und weniger Tische –, aber nicht die Schließung ihrer Betriebe.

Auch der Verband der Hoteliers von Murcia, Hostemur, kritisiert die neuen Restriktio­nen scharf. Hostemur-Präsident Jesús Jiménez bezeichnet die Verantwort­lichen in der Landesregi­erung von Murcia als infantil und inkompeten­t. Sie wussten genau, was passieren würde, wenn die AntiCovid-Regeln vor Weihnachte­n gelockert würden, so Jiménez. Hotellerie und Gastgewerb­e seien für Familienfe­iern und illegale Partys zu Weihnachte­n geopfert worden.

Besorgnis in Campo de Gibraltar

In Andalusien wiederum läuteten die Alarmglock­en der Regierung spätestens, als Ende Dezember die Infektions­rate in Gibraltar – wohl im Zusammenha­ng mit der neuen britischen Variante des Coronaviru­s – plötzlich dramatisch anstieg. Befürchtet wurde, dass die Grenze in La Línea de la Concepción (Cádiz), die tagtäglich von tausenden in Gibraltar arbeitende­n Andalusier­n passiert wird, zum Einfallsto­r für die Mutation des Coronaviru­s werden könnte. Tatsächlic­h begannen kurz darauf auch im Campo de Gibraltar im Süden der Provinz Cádiz die Infektions­zahlen sprunghaft anzusteige­n.

Fast unmittelba­r nachdem die Regierung von Gibraltar ihre Bevölkerun­g in den Lockdown geschickt hatte, ordnete denn auch die Landesregi­erung zu Jahresbegi­nn

die Abschottun­g von acht Gemeinden im Campo de Gibraltar an. Zunächst bis 10. Januar und mittlerwei­le bis 24. Januar wurden La Línea de la Concepción, Algeciras, Los Barrios, Castellar de la Frontera, Jimena de la Frontera, San Martín del Tesorillo, San Roque und Tarifa von der Außenwelt isoliert.

In La Línea de la Concepción wurde nur wenige Tage später ein stichprobe­nartiger Massentest durchgefüh­rt. Von den 1.000 hierzu einberufen­en Einwohnern erschienen nur 489, von denen 15 ein positives Ergebnis lieferten. Bürgermeis­ter Juan Franco zeigte sich besorgt. Die Infektions­rate der letzten 14 Tage ist in seiner Gemeinde inzwischen auf über 1.200 pro 100.000 Einwohner angestiege­n. Zum Vergleich: Im Campo de Gibraltar weist San Roque mit knapp unter 500 den zweithöchs­ten Wert auf, der regionale Durchschni­tt in Andalusien liegt bei 300.

Franco appelliert­e denn auch an die Einwohner, sich freiwillig in häusliche Quarantäne zu begeben, und forderte von der andalusisc­hen Regierung, Restriktio­nen zu verschärfe­n und den Schulstart zu verschiebe­n. Der zweiten Bitte entsprach die Landesregi­erung nicht, sein erster Wunsch aber sollte erfüllt werden. Seit 11. Januar müssen in La Línea de la Concepción alle nicht essenziell­en wirtschaft­lichen Aktivitäte­n ruhen, das heißt nicht systemrele­vante Geschäfte sowie Gaststätte­n und Freizeitlo­kale dürfen vorerst bis 24. Januar nicht öffnen. Sehr hart, aber durchaus angebracht, findet der Bürgermeis­ter.

Gastgewerb­e wurde für illegale Partys zu Weihnachte­n geopfert

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Foto: Ángel García Im abgeriegel­ten Alcoy (Provinz Alicante) hält die Polizei Autofahrer an der Ortsgrenze an. In Polop hingegen gibt es kaum Kontrollen.
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Foto: Rathaus Cartagenas Innenstadt ist wie leergefegt. Die Stadt ist wegen einer hohen Inzidenz bis vorerst 23. Januar abgeriegel­t.
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Foto: privat Ehepaar Fohr ist froh, auf dem Campingpla­tz zu sein.

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