Es wird heftig
Ausbreitung des Coronavirus außer Kontrolle – Lage in Hospitälern kritisch
Spanien steuert auf den Höhepunkt der dritten Welle der CoronavirusPandemie zu. Die Infektionszahlen gehen in fast allen Regionen durch die Decke, in einigen Krankenhäuser geht es zu wie im April 2020. Vor allem in der Region Valencia steuert die Gesundheitsversorgung auf den Kollaps zu. Derweil versuchen die Regionen mit neuen Einschränkungen die rasante Ausbreitung des Virus abzubremsen. Provinzen werden abgeriegelt, Dörfer unter Quarantäne gestellt und die
Möglichkeiten, Freunde und Familienangehörige zu treffen, weiter beschränkt. Die Forderungen nach einer Ausgehsperre stoßen aber bei der Regierung noch auf taube Ohren. Als einzige Hoffnung bleibt die Durchimpfung.
Málaga/Murcia/Valencia – sk. Spanien steuert auf den Höhepunkt der dritten Welle zu. „Der Scheitelpunkt der dritten Welle ist nicht mehr weit weg, möglicherweise haben wir ihn bereits erreicht“, meint der Leiter des Krisenzentrums für Epidemien, Fernando Simón. Die Fallzahlen steigen seiner Interpretation nach jetzt etwas weniger rasant an, andere Experten können diese Trendwende noch nicht ausmachen. Wie dem auch sei, noch im Januar könnten sich in den Krankenhäusern einiger Regionen ähnlich danteske Szenen abspielen wie im März vor einem Jahr.
84.287 Neuinfektionen und 455 Todesfälle mit Covid-19 an einem Wochenende sind eine katastrophale Zahl, und obendrein sind es 23.000 neue SARS-CoV-2-Fälle mehr als am vorherigen Wochenende. Spanien hat am Dienstag die 14-Tages-Inzidenz von 700 übertroffen. Das Coronavirus breitet sich im Galopp aus¸ der Inzidenzwert am 19. Januar lag bei 710 und mehr als das Doppelte über dem von Deutschland. Fünf Tage zuvor, am 13. Januar, lag die Inzidenz in Spanien noch bei 493 und am 5. Januar bei 296.
Schlimm grassiert das Coronavirus in der Extremadura mit über 1.380, doch schließen andere Regionen auf. Murcia und Kastilien La Mancha vermelden auch Inzidenzen über 1.000, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis Valencia mit 896, La Rioja mit 920 und Kastilien-León mit 910 diese Schallmauer reißen werden. Das Virus breitet sich unkontrolliert aus.
Den Regionen gehen langsam die Ideen aus, um die Ausbreitung des Coronavirus zu zügeln. Die Grundlage für die Eindämmungsmaßnahmen bildet das Notstandsdekret, die Möglichkeiten die Bewegungsund Versammlungsfreiheit noch weiter einzuschränken sind begrenzt. Sportanlagen und Fitnessclubs sind vielerorts geschlossen, Theater, Konzertsäle und Kinos dürfen wenn überhaupt nur einen Bruchteil ihrer Plätze besetzen. Viele Politiker appellieren inzwischen an die Bürger, sich die gängigen Vorsichtsmaßnahmen nochmals bewusst zu machen. Die Angst vor einer Ansteckung hat spürbar nachgelassen, mit ihr die
Sorgfalt sie zu vermeiden – durch Hygiene, Abstand, Masken und eine Einschränkung der sozialen Kontakte.
Das effektivste Mittel sieht Virologe Fernando Simón noch darin, den Barbetrieb in geschlossenen Räumen weiter einzuschränken. Viele Regionen wie Andalusien verpflichten die Wirte ja schon, ihre Gasthäuser um 18 Uhr zu schließen. Viel Spielraum bleibt nicht mehr – außer der Lockdown für die Gastronomie. Den hat Valencia am Dienstag verhängt.
Der weitere Hebelpunkt ist das soziale Leben der Bevölkerung, die Treffen in Familie und mit Freunden. Meist dürfen nicht mehr als sechs Personen zusammenkommen. Die Region Murcia hat die sozialen Treffen auf die Personen im eigenen Haushalt beschränkt – wohl auch, um einer Modeerscheinung vorzubeugen, die man oft beobachten kann: Das Revival der HausFeten. „Es kann nicht sein, dass wir uns nicht mehr in Bars treffen und das Barleben nach Hause verlegen“, wetterte Valencias Ministerpräsident Ximo Puig.
Kein Hausarrest im Notstand
„Es kann nicht sein, dass wir nicht mehr in Bars gehen und das Barleben nach Hause verlegen.“
Nimmt man noch hinzu, dass andere Regionen gar nicht mehr bereist werden können – Kastilien La Mancha hat alle Kommunen abgeriegelt, und in Andalusien darf man nicht einmal mehr in die Nachbarprovinzen fahren – es sei denn man geht zum Jagen oder betreibt Wintersport – kommt das Potpourri von Maßnahmen einem Ausgehverbot nahe. Nur Wirkung zeigt es bisher keine – und zwar nirgendwo. Eine grundsätzliche Ausgehsperre oder Hausarrest wie März 2020 sieht das neue Notstandsdekret nicht mehr vor.
Auf Grundlage des aktuellen estado de alarma kann die Sperrstunde nicht auf 20 Uhr vorverlegt werden wie es Kastilien León gemacht hat. Das kommt eigentlich einer Verletzung der Grundrechte gleich. Die Zentralregierung signalisiert im Vorfeld der Konferenz mit den Regionalministern am Mittwoch aber Bereitschaft, das Notstandsdekret zu überarbeiten.
Wahrscheinlich müssen bald alle Spanier um 20 Uhr zu Hause sein. Der immer lauter werdenden Forderung nach einer generellen Ausgehsperre will oder kann die Regierung nicht nachkommen. Hinzu kommt, dass eine Änderung des Notstandsdekrets durchs Parlament muss. Damit hat Madrid zuletzt keine guten Erfahrungen gemacht.
Gesundheitsexperten fordern jedoch eine strikte Ausgehsperre. Sie zielt darauf ab, die Inzidenzwerte zu drücken und zwar auf ein Niveau, das die Hospitäler entlastet und eine epidemiologische Nachverfolgung der Neuinfektionen sowie der Kontakte wieder ermöglicht. Des weiteren drängen Epidemiologen darauf, die Nachverfolgung der Infektionen spanienweit zu verstärken. Weitere
Forderungen zielen darauf ab, die Dauer der Quarantänen zu verlängern, die Isolierung der Infizierten und die Quarantäne verpflichtend durchzusetzen sowie Gesundheitszentren mit der Durchimpfung der Bevölkerung zu beauftragen.
Derweil spielen sich Dramen in den Krankenhäusern ab. Über 5.600 Menschen mussten binnen einer Woche wegen Covid-19 stationär in den spanischen Krankenhäusern neu aufgenommen werden. In einige Regionen wie Valencia steuert die Gesundheitsversorgung auf den Kollaps zu. „Derzeit sind von zehn Krankenhausbetten sieben mit Covid-19-Patienten belegt. Die Situation ist ernst, uns stehen sehr harte Wochen bevor“, sagt Regionalpräsident Ximo Puig. Die Auslastung der Intensivstationen (UCI) mit Covid-19-Patienten liegt bei 53 Prozent. Manche Hospitäler versorgen Patienten in Kapellen, Sitzungssälen oder wo immer sie noch Platz für Betten finden. In Valencia und Alicante gibt es wieder Feldlazarette.
Das Krankenhauspersonal
kommt kaum noch hinterher auch weil Ausfälle nicht mehr mit neuen Kräften abgefangen werden können. „Sie können in den Krankenhäusern Betten aufstellen, wo sie wollen, es fehlt an Fachkräften, die sie betreuen. Das vorhandene Personal ist erschöpft. Wir brauchen einen neuen Hausarrest oder wir sehen uns wieder mit Bildern wie aus dem ersten Notstand konfrontiert“, sagt María José Campillo, vom Dachverband der Gewerkschaften des Gesundheitswesens, CESM. Nun bittet Valencia Fachkräfte aus dem Ruhestand zurück.
Jeder Dritte bei Test infiziert
Aussichten auf eine schnelle Besserung der Lage in den Spitälern gibt es keine. Im Gegenteil. Inzwischen liegt die Positiv-Quote bei den PCR-Tests in der Region Valencia bei 33 Prozent jeder Dritte, der getestet wird, hat Corona. Die Quoten der Regionen Murcia und Andalusien liegen inzwischen bei 20 Prozent. Und Spanien testet inzwischen massiv, allein in der Woche vom 8. bis 14,. Januar verzeichnete das Gesundheitsministerium 875.000 PCR-Tests und 420.000 Antigentests. Tendenziell aber werden in den nächsten Tagen
mehr Personen eine Behandlung in Krankenhäusern benötigen, nicht weniger.
Aber auch die dritte Welle wird abebben und eine vierte kommen, bis irgendwann der Grad der Durchimpfung den Inzidenzwerten den Rang abläuft. Bis Juli sollen 70 Prozent der Bevölkerung oder 33 Millionen Menschen in Spanien immun gegen das Coronavirus sein. Und Gesundheitsminister Salvador Illa setzt auch alles daran, um dieses Ziel zu erreichen. Neben den Vakzinen von Biontech Pfizer kann das Land auch auf den Impfstoff Moderna zählen. Ab März soll die Durchimpfung der zweiten Gruppe, der Senioren über 70 Jahren. beginnen.
Von den ausgelieferten 1,14 Millionen Biontech-Pfizer-Impfstoffen sind bis Montag 898.000 verabreicht worden. Seit Sonntag gehen die Impfungen bei einigen Senioren in den Residenzen und dem Pflegepersonal bereits in die zweite Runde. Von dem Moment an fehlen dann noch zehn Tage, bis der Schutz vor dem Coronavirus greift. Schon fiebert die 96-jährige Araceli Rosario Hidalgo aus der Seniorenresidenz Los Olmos in Guadalajara, die am 27. Dezember die erste Spritze erhielt und am Sonntag die zweite bekam, einem Treffen mit ihrer Familie entgegen.
Die Durchimpfung kommt allerdings zu spät, um die Urlaubssaison zu retten. Der Tourismus wird dieses Jahr noch eine Bruchlandung verkraften müssen. Es fällt bis Sommer auch alles flach, vom Karneval in Cádiz über die Fallas in Valencia bis zur Semana Santa in Murcia. Die schweren Auflagen für die Gastronomie dürften in strukturschwachen Regionen wie Andalusien, Murcia und Valencia fatale Auswirkungen auf den örtlichen Arbeitsmarkt und die Wirtschaftskraft haben das betrifft nicht nur die Gastwirte, sondern auch ihre Zulieferer, Metzger, Bäcker, Landwirte und Getränkelieferanten.
Mit der Impfung löst sich die Corona-Krise keineswegs gleich in
Luft auf. Ab 31. Mai läuft das just verlängerte Abkommen für die Kurzarbeit ERTE für 700.000 Menschen aus. Die Regierung von Pedro Sánchez rechnet von da an mit „sechs weiteren harten Monaten“für die Wirtschaft. Ein Grund, weshalb Madrid sich gegen ein Ausgehverbot sperrt, dürfte in dem einhergehenden Konsumrückgang liegen.
Neben der Impfung kann Spanien auf die EU-Fördergelder hoffen, um die Wirtschaft in Schwung zu bringen. Allerdings liegen die Prognosen der EU-Kommission und führender Banken bezüglich des Wirtschaftswachstums in diesem Jahr inzwischen näher bei fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (PIB) als bei den fast zehn Prozent, die Spaniens Regierung in ihrem Haushalt anpeilt. Die Folgen hat die EU-Kommission umrissen: Anstieg privater und öffentlicher Verschuldung, Stopp von Lohnerhöhungen, Sozialkrise, Sinken der Immobilienpreise, Arbeitslosigkeit, Firmensterben und Banken in Finanzschwierigkeiten. Bald dürfte sich zeigen, dass der Schutz der Gesundheit nicht so leicht mit dem Erhalt der Wirtschaftskraft zu vereinbaren war, wie man glauben machte.
Regierung rechnet mit harten Monaten trotz Durchimpfung