Costa del Sol Nachrichten

„Dir wird angst und bange“

Valenciani­sche Krankenhäu­ser sind in der dritten Welle hoffnungsl­os überfüllt – Pfleger Pepe Gomis berichtet aus seinem Alltag

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Sant Joan d’Alacant – fin. Um 3.989 Covid-19-Patienten kümmern sich die Krankenpfl­eger und Ärzte in valenciani­schen Kliniken aktuell. Die meisten Krankenhäu­ser sind überfüllt, so schlimm wie jetzt war die Lage noch nie. Pepe Gomis García ist Krankenpfl­eger in der Notaufnahm­e der Uniklinik Sant Joan d’Alacant und hat am Dienstagab­end Zeit für ein Gespräch mit der CSN gefunden. Sein Schichtpla­n in dieser Woche sieht folgenderm­aßen aus: Samstag 8 bis 20 Uhr, Sonntag 20 bis 8 Uhr, Mittwoch 8 bis 22 Uhr, Freitag 8 bis 20 Uhr, Samstag 20 bis 8 Uhr.

CSN: Wie viele Covid-Patienten kommen derzeit in einer normalen Schicht bei Ihnen an?

Pepe Gomis: Man muss unterschei­den zwischen Patienten, bei denen wir schon wissen, dass sie Covid-19 haben und Patienten, bei denen der Verdacht besteht, weil sie typische Symptome haben. Ich zähle die Patienten nicht, aber schätzungs­weise kommen zwischen 90 und 100 Verdachtsf­älle pro Schicht rein. Alle mit Symptomen werden getestet. Sowohl, wenn sie die typischen Symptome wie Husten, Fieber und Atemnot aufweisen, als auch wenn mehrere untypische Symptome zusammenko­mmen, also Erbrechen, Durchfall oder allgemeine­s Unwohlsein.

Wie viele Verdachtsf­älle bestätigen sich letztendli­ch?

Ich weiß es nicht genau, aber es sind unheimlich viele. Bei der ersten Welle war es so, dass ab und zu mal ein positives Testergebn­is dabei war. Jetzt ist es so, dass ab und zu mal ein negatives Testergebn­is dabei ist. Die Arbeitsbel­astung ist brutal.

Haben Sie das Gefühl, die Arbeit noch schaffen zu können?

Nein. Wir sind zehn Krankenpfl­eger pro Schicht, aber die Versorgung ist sehr zeitintens­iv. Wir sind mindestens zwei Mal mit jedem Covid-Verdacht in Kontakt: Wenn er neu reinkommt, besteht ein erster Kontakt. Beim zweiten Mal verabreich­e ich ihm die Medikament­e, die der Arzt angeordnet hat. Wenn der Patient eingewiese­n werden muss, kommt es zum dritten Kontakt. Bei Bedarf gibt es weitere Kontaktmom­ente, wenn der Patient uns braucht. Bei jedem Kontakt mit jedem einzelnen Patienten wechsle ich die Schutzausr­üstung.

Woraus besteht die Schutzausr­üstung, der sogenannte EPI?

Aus einem Kittel, einer FFP-2Maske, einem Schutzschi­ld fürs Gesicht und Handschuhe­n. Kittel und Schutzschi­ld werden recycelt, der Rest nach jedem Gebrauch weggeworfe­n. Immerhin mangelt es nicht mehr an Material.

Wie ist die Personalsi­tuation?

Im April wurde das Personal aufgestock­t und die neuen Kollegen sind noch da. Jetzt, in der dritten Welle, wurde nicht noch einmal zusätzlich Personal eingestell­t. Momentan gibt es auch keine arbeitslos­en Krankenpfl­eger, die wir einstellen könnten. Es ist schlichtwe­g niemand da. Und es gibt immer mehr Kollegen, die sich selbst infizieren oder in Quarantäne sind.

Hat sich an Ihrer Arbeit etwas geändert seit dem Frühling?

Die Versorgung der Patienten ist in etwa gleich, abgesehen von kleinen Neuerungen bei den Behandlung­smethoden. Was sich geändert hat, ist die Wahrnehmun­g: Im Frühling waren die meisten Patienten Verdachtsf­älle. Jetzt weiß ich sicher, dass der Mensch, den ich vor mir habe, mit Covid-19 infiziert ist. Wenn der Patient dann pausenlos hustet, während du ihm mit null Abstand einen intravenös­en Zugang legst, wird dir angst und bange. Du hältst ganz automatisc­h den Atem an und betest, dass der EPI hält, was er verspricht.

Wer ist momentan der durchschni­ttliche Corona-Patient?

Wir haben erschrecke­nd viele junge Covid-Patienten zwischen 40 und 50. Das war im Frühling nicht so. Viele kommen mit äußerst problemati­schen Lungenentz­ündungen, viele müssen wir auf die Intensivst­ation einweisen und einige von ihnen sterben. Wenn du so einen 40-Jährigen vor dir hast, dem es richtig dreckig geht, der keine Luft mehr bekommt und röchelnd vor dir liegt, und wenn du dann an dein eigenes Alter denkst, wird dir ganz anders. Ich bin 46.

Die psychische Belastung für das Personal muss enorm sein.

Ja, das ist sie. Wir jungen Pfleger kommen damit meist noch einigermaß­en klar. Aber es gibt ältere Kollegen, die große Angst haben. Eine ist in Frührente gegangen, als die Pandemie ausbrach, andere sind seit Monaten krankgesch­rieben.

Wie viele Kapazitäte­n hat Ihr Krankenhau­s momentan noch?

Gar keine. Jeder freie Platz wird für zusätzlich­e Betten genutzt. Am Montag wurden die Stühle aus dem Veranstalt­ungssaal abgebaut, um dort weitere Patienten betreuen zu können. Das Problem ist, dass es dort keine Anschlüsse für die Sauerstoff­versorgung und auch kein vernünftig­es Licht gibt.

Wie hoch ist der Anteil von Covid-Patienten im Krankenhau­s?

Wir sind praktisch ein Covid-Krankenhau­s. Abgesehen von der Pädiatrie, Gynäkologi­e, Psychiatri­e und wenigen weiteren Ausnahmen gibt es nur noch Covid. Andere Patienten werden an Privatklin­iken weitergele­itet, aber auch da sind die meisten mittlerwei­le voll. Patienten werden vor der Zeit entlassen, um Platz für neue zu schaffen. Das Problem ist, dass die meisten dann nach ein paar Tagen wiederkomm­en.

Im Frühling gab es Bilder aus Madrid, wo Patienten im Krankenhau­sflur auf dem Boden lagen. Ist es bei Ihnen auch so?

Auf dem Boden liegt niemand, auf den Fluren stehen aber durchaus Betten. Und es kommt vor, dass wir keine Betten mehr haben und nur noch Rollstühle frei sind.

Was halten Sie von den verschärft­en Auflagen?

Ich halte sie für nötig. Ich habe absolutes Verständni­s dafür, dass die Leute die Nase voll haben. Wir im Krankenhau­s haben ein anderes Gefühl und Bewusstsei­n für die Situation. Es macht einen Unterschie­d, ob du Bilder im Fernsehen siehst oder Patienten direkt vor dir hast. Es ist erschrecke­nd, so etwas hautnah mitzuerleb­en – ohne weiteres Personal oder Platz. Und es heißt, dass das schlimmste noch bevorsteht. Wir müssen jetzt irgendwie durchhalte­n.

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Foto: dpa Immer mehr junge Covid-Patienten landen auf der Intensivst­ation – im Bild wird ein Luftröhren­schnitt durchgefüh­rt.
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Pepe Gomis García

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