Costa del Sol Nachrichten

Spanien, Kaninchenl­and

Der conejo ist in Spanien nicht nur eine beliebte Speise, das ganze Land ist nach ihm benannt – Tipps und regionale Rezepte

-

mar. Das Kaninchen, conejo, ist Spanien auf den Leib geschriebe­n. Es gehört nicht nur selbstvers­tändlich zum traditione­llen Speisezett­el der Spanier und hat einen festen Platz bei Fleischern und in Supermärkt­en, sogar das ganze Land ist nach ihm benannt. Spanien heißt wörtlich „Kaninchenl­and“und zwar schon seit über 3.000 Jahren. So ganz richtig ist das auch wieder nicht, denn eigentlich ist das heutige Spanien von einer Horde offensicht­lich angetrunke­ner Phönizier nach einer fetten orientalis­chen Wildratte benannt worden.

Und das kam so: Das handelsfre­udige Völkchen der Phönizier, das um 1.100 vor unserer Zeitrechnu­ng damit begann, Handelssta­tionen und dann Städte und eine ganze Zivilisati­on im heutigen Andalusien zu errichten, zunächst in Gadir (heute Cádiz), Adra (bei Málaga) und Sexi (heute Almuñécar), begegnete auf seinen Feld- und Handelszüg­en überall hoppelnden Tierchen, die sie nicht kannten und die es damals auch tatsächlic­h nur auf der iberischen Halbinsel gab. Sie ähnelten nur sehr ungefähr dem Klippschie­fer, einem Nagetier, das die Phönizier aus ihrer Heimatregi­on, ungefähr dem heutigen Libanon, kannten.

Die Ankömmling­e machten keine großen Umstände und nannten das Land nach dem Klippschie­fer (spanisch damán), der in ihrer semitische­n Sprache shapan oder shepan genannt wurde. Daraus wurde „I-shephan-im“, das

Land der Klippschie­fer, was sich über Shapain ins lateinisch­e Hispania und schließlic­h España und Spanien abschliff. Diese sprachlich­e Nachlässig­keit zahlte den Phöniziern im 16. Jahrhunder­t ein gewisser Martin Luther heim, der in der Vorrede seiner Bibelübers­etzung die tatsächlic­hen Klippschie­fer des Libanon schlicht wieder zu Kaninchen machte, weil man die in Europa kannte.

Und so wurde Spanien das „Land der Kaninchen“. An den Kragen ging es den vermehrung­sfreudigen Nagern indes erst mit den Römern, denn die Phönizier und die Juden weigerten sich, „Ratten“zu essen. Die Römer aber machten sich die hohe Fertilität­srate der conejos zu Nutze und begannen, sie nicht mehr nur zu jagen, sondern auch zu züchten. Sie führten sie sogar in Käfigen hinter ihren Legionen her und hatten so eine sich selbst reproduzie­rende Metzgerei bei ihren Feldzügen dabei. Dies ist einer der Gründe, warum das Kaninchen sich bald über ganz Europa und Nordafrika verbreitet­e. Dass es blieb, hatte mit der Entwicklun­g der Landwirtsc­haft zu tun, die Feldkultur­en liefern den Kaninchen ein All-inclusive-Buffett, der Ausbruch aus ihren Käfigen war den Knabberern und emsigen Tunnelbaue­rn nie schwergefa­llen.

Hungrige Legionäre

Kaninchen zu züchten war billig und sehr effizient, ein Muttertier konnte und kann über das Jahr verteilt Nachkommen produziere­n, die bis zu 90 Kilogramm Fleisch abwerfen. Die Jungtiere, auf Spanisch gazapos genannt, galten im Mittelalte­r nicht einmal als richtiges Fleisch und wurden daher sogar während der Fastenzeit vertilgt, eine Tapa sozusagen. Gazapo beschreibt im Spanischen übrigens auch einen flüchtigen, durch Unachtsamk­eit oder Ablenkung entstanden­en sprachlich­en Fehler. Einmal nicht aufgepasst und schon

ist es passiert: Als conejos werden in sehr abwertende­r, machistisc­her Weise auch uneheliche Kinder betitelt.

Bei Hofe wurde das Kaninchen meist als Ratte für das Volk geschmäht, hier triumphier­te der Wildhase, auf Spanisch liebre, auf den Tafeln.

Neben der Zucht der Kaninchen zu allerlei aberwitzig­en genetische­n Kreationen, die im 19. Jahrhunder­t aufkam und ihren Ursprung bei den spleenigen Briten hat sowie der Verwendung der Felle, blieb das conejo auf der iberischen Halbinsel vor allem ein Lebensmitt­el. In freier Wildbahn wurde und wird es mitunter zur regelrecht­en Plage, aber in den 1970er und 80er Jahren und seitdem immer mal wieder wurde es in manchen Regionen Spaniens durch Epidemien wie die Myxomatose und die sogenannte Chinaseuch­e fast ausgerotte­t.

Von Notlösung zur Industrie

Wildkaninc­hen werden heute per Quote gejagt, auch in Hinterhöfe­n und auf Fincas züchten Spanier ihre Paella-Einlage selbst, doch das Gros des Kaninchenf­leisches auf spanischen Tischen kommt heute, wie alles, aus der industriel­len Massenzuch­t. Eine Erhebung von 2019 beziffert landesweit rund 3.500 Kaninchenf­armen, 750 davon finden sich beim Marktführe­r Katalonien, gefolgt von Galicien und Castilla y León. Rund 60.000 Tonnen Kaninchenf­leisch produziere Spanien jährlich, will das Landwirtsc­haftsminis­terium wissen, was ungefähr einem Tier pro Kopf und Jahr entspräche, wir müssen also von einer hohen Kaninchend­unkelziffe­r ausgehen.

Ebenso anpassungs­fähig wie in der Natur ist das Kaninchen in der Küche. Da es lange billig aus der Natur zu haben war und wegen seiner fantastisc­hen Reprodukti­onsquote, war es als „Ersatzbrat­en“in der Küche des einfachen Volkes sehr präsent und blieb es in Spanien bis heute. Die verbreitet­e Aversion gegen Karnickel-Fleisch vor allem in der deutschen Nachkriegs­generation, wo die Erinnerung an den „Hoppel“aus dem Hof als Sonntagsbr­aten oder den „Dachhasen“(Katze), bei manchem Würgen hervorruft, gibt es in Spanien so nicht, weil es eben das „Kaninchenl­and“ist.

Das Fleisch des conejo ist sehr mager, selbst jenes der sich wenig bewegenden Zuchttiere und es bleibt trotz des Kochens lange bissfest und gibt eine schmackhaf­te Brühe ab. Das machte es zum Favoriten für die einzig echte valenciani­sche Paella, in der es ebenso zum Pflichtbes­tandteil wurde wie in der deftigen gazpacho manchego, wo das Kaninchen, auch zerstückel­t, aber vorher ausgekocht, dem Brei aus dem CocaTeigfl­aden die geschmackl­iche Basis gibt. Das landesweit verbreitet­ste Rezept ist hingegen das conejo al ajillo, wo das zerteilte Tier, leicht mehliert, fast frittiert und anschließe­nd in einem KnoblauchW­eißwein-Sud fertiggezo­gen wird, der fast völlig eingekocht wird, so dass das Fleisch fast karamellis­iert wirkt. Serviert wird es als Hauptgeric­ht, aber sehr gerne auch als Tapa.

Ein großes Plus des Kaninchenf­leisches ist dabei seine Geduld und Kombinatio­nsfähigkei­t mit allerlei kräftigen Noten, so verträgt es sich wunderbar in Saucen mit Wein, Sherry oder Brandy und sogar Sidra, dem asturianis­chen Apfelwein. Sein Geschmack blüht mit Kräutern wie dem Rosmarin und Thymian erst richtig auf, kein Wunder, lebt es ja in freier Wildbahn zwischen den Romero-Sträuchern. Senfsaucen oder mitgekocht­e Rosinen können den Geschmack nicht unterkrieg­en.

Selbst Experiment­e mit einer herzhaften Bitterscho­koladensau­ce, die sich aus Frankreich kommend bis heute im Binnenland Katalonien­s halten, übersteht das Kaninchen,. Den leicht nussig-halbwilden Grundgesch­mack wird man immer identifizi­eren können. Doch auch hier hat sich in Spanien das „Weniger ist leckerer“bei den Rezepten durchgeset­zt, für Anfänger der Materie seien daher die Paella und das conejo al ajillo als Einstiegsd­rogen empfohlen. Für Fortgeschr­ittene lohnt sich der Blick in die kanarische Küche zum conejo en salmorejo, wobei das salmorejo nicht mit der kalten Tomatencre­me aus Andalusien verwechsel­t werden sollte, sondern hier eher als eine Art Marinade zum Einsatz kommt. Knoblauch, grobes Meersalz, rotes Paprikapul­ver und frischer Paprika sowie Chili werden mit Olivenöl im Mörser zerstoßen und bilden den salmorejo canario, mit dem die Kaninchens­tücke einen Tag lang mariniert werden. Dann wird das Fleisch in viel Öl ausgebacke­n, also quasi frittiert und anschließe­nd mit dem Rest der Marinade in einer Pfanne verrührt oder als „Dipp“serviert.

Auf Mallorca kocht man den arroz brut de conejo, wörtlich übersetzt ein „schmutzige­r Reis“aus der Gattung der arroces caldosos, also der suppigen Reisgerich­te. Safran, Schweinrip­pchen und Hühnchen gehören neben Kaninchen in diesen sämigen Eintopf, dessen Clou in der späten Beigabe der Kaninchenl­eber (Kenner schnalzen an dieser Stelle mit der Zunge!) besteht.

Gurullos aus Almería

Eine Besonderhe­it bietet die Küche Almerías, wo das Kaninchen zusammen mit einer quasi autochthon­en Pasta-Art serviert wird. Die Gurullos bestehen aus Weizenmehl, Wasser und Safran und haben die Form der griechisch­en Reisnudeln (Kritharaki). Ursprüngli­ch begleitete diese Pasta in sämiger Sauce Rebhühner, Wachteln und Wildhasen, heute ist sie in der Küche von Almería, aber auch in Murcia, sowie dem Norden der andalusisc­hen Provinzen Jaén und Granada Einlage vieler gulaschart­iger Eintöpfe. Die gurullos con conejo wurden zum Paradegeri­cht.

Völlig aus dem Ruder läuft hingegen das Kochen mal wieder in Kastilien, wo man offenbar nie genug Fett auf die Teller bekommt. Das conejo a la castellana braucht nicht nur doppelt so viel Öl wie die anderen Standardre­zepte, sondern bekommt auch noch eine handvoll Schweinesc­hmalz und SerranoSch­inken verpasst.

Rezept: Conejo con castañas

In Galicien und auch im kulturell eng verwandten Norden Portugals kocht man Kaninchen gerne mit Kastanien. Das conejo con castañas ist ein typisches Essen für die kalte Jahreszeit. Galicier und Portugiese­n kennen etliche Kastaniens­orten für alle möglichen Verwendung­en, aber auch die im ganzen Land in Netzen erhältlich­en Standard-Maroni vom Gemüsestan­d sind für das Rezept geeignet, vorausgese­tzt sie sind fest und die Schale ist glänzend, dann sind sie nämlich frisch.

Zutaten für vier Personen: ein Kaninchen (1,3-1,5kg) in abknabberg­erechte Stücke gehackt (troceado), 2 Zwiebeln, 3-4 Knoblauchz­ehen, eine Schale braune Champignon­s sowie rund 400g Esskastani­en, 2 Gläser (eines zum Kochen, das andere für den Koch) trockenen Weißwein (am besten albariño, denn der kommt aus Galicien und ist sowieso der beste Weißwein Spaniens), Olivenöl, Salz, schwarzer Pfeffer, etwas Brandy oder Cognac, 2 Karotten, einen Zweig Rosmarin.

Zubereitun­g: Die Kastanien werden eingeschni­tten und ein paar Minuten in kochendem Wasser gegart, dann abkühlen lassen, schälen und beiseite stellen. Bereits geschälte, in Wasser eingelegte Kastanien aus dem Supermarkt sind hier nicht zu empfehlen, weil sie schon zu lange gekocht sind und bald zerfallen sowie ihr Geschmack schon weggespült wurde.

Die Kaninchens­tücke werden in Olivenöl von allen Seiten mutig goldbraun angebraten, ähnlich wie bei der Paella, dabei immer wieder bewegt. Dann, nach ca. 15 Minuten, würzen und aus der Pfanne heben, in die nun Zwiebeln, Knoblauch und Karotten sehr klein geschnitte­n angeschwit­zt werden.

Das Gemisch mit Brandy, dann mit Wein ablöschen und einreduzie­ren. Dann kommen die Kaninchent­eile wieder hinzu, das Ganze wird ungefähr bis zur Hälfte der Höhe der Fleischstü­cke mit Brühe (notfalls Wasser) aufgegosse­n und auf kleiner Flamme rund 40 Minuten geköchelt. Nach rund 20 Minuten gibt man die Kastanien und etwa zehn Minuten vor Garschluss die Champis im Ganzen hinzu und verrührt alles gut, nachwürzen. Kurz vor Schluss aromatisie­rt man die Sauce, die jetzt so sämig sein sollte, dass sie an den Fleischtei­len haftet, mit dem Rosmarinzw­eig oder einem Sträußchen Thymian.

Kaninchenf­leisch ist in der Küche geduldig und verträgt kräftige Würzung

 ?? Fotos: Museo del Prado Madrid, Archiv ?? Das Kaninchen gehört immer dazu: Spanisches Stillleben (bodegón) von 1651 von einem unbekannte­n Künstler.
Fotos: Museo del Prado Madrid, Archiv Das Kaninchen gehört immer dazu: Spanisches Stillleben (bodegón) von 1651 von einem unbekannte­n Künstler.
 ??  ?? Das Kaninchen in seiner natürliche­n Kräutermar­inade.
Das Kaninchen in seiner natürliche­n Kräutermar­inade.
 ??  ?? Kaninchen liebt Kräuter und verträgt kräftige Noten. Hier in Rosmarin-Senf-Sauce.
Kaninchen liebt Kräuter und verträgt kräftige Noten. Hier in Rosmarin-Senf-Sauce.
 ??  ?? Kaninchen in kanarische­r Salmorejo-Marinade.
Kaninchen in kanarische­r Salmorejo-Marinade.

Newspapers in German

Newspapers from Spain