Die Dynastie
Spanien, Katalonien und die Dynastie der Bourbonen: Eine Dreiecksgeschichte, in der einiges nicht so recht zusammenpasst
Spaniens König Felipe VI hat in Katalonien einen ganz schweren Stand – und das nicht nur wegen der Skandale seines Vaters. Schon seit dem fruthen 18. Jahrhundert gelten die spanischen Mo- narchen als feindbild der Katalanen. Seit sie im Erbfolgekrieg auf die Habsburger setzen – und verloren.
Katalonien wählt am 14. Februar den Landtag. Abermals holen die Separatisten zu ihrer regionalen Reconquista aus, wieder bestimmt das Streben nach Unabhängigkeit den Wahlkampf. Verloren ging die Eigenständigkeit im Spanischen Erbfolgekrieg (1701 und 1714) unter Felipe V. Er war der erste Bourbone auf dem spanischen Thron. Bis heute rekrutiert Spanien aus dem Adelsgeschlecht der Bourbonen seine Staatsoberhäupter.
Die Monarchie ist ein europäischer Mix: König Felipe VI. hat eine griechische Mutter, die Urenkelin zweier deutscher Kaiser ist. Sein Vater, Juan Carlos, ist in Rom geboren und in Portugal aufgewachsen. Er gehört, wie auch der 1968 geborene Felipe, der Bourbonen-Dynastie an, die aus Frankreich stammt. Diese stellt die Könige in Spanien, nachdem die aus Österreich stammende Habsburger Linie mit dem kinderlosen Karl II., dem Verhexten, 1700 ausstarb.
Die Habsburger wiederum hatten die Krone vom galicischen Haus Trastámara übernommen, das seit 1369 Kastilien, die Länder der Krone Aragóns sowie Navarra und Neapel regierte. Aus diesem Haus stammte Ferdinand II., der sich mit Isabella I. verheiratete. Die beiden gingen als Katholische Könige in die Geschichte ein, vereinigten die Reiche Kastilien und Aragón und schickten Kolumbus auf Entdeckungsfahrt. Ihre Tochter Johanna, die Wahnsinnige, heiratete 1504 den Habsburger Philipp den Schönen und brachte möglicherweise die Anlagen zu Geisteskrankheiten in die Familie der
Habsburger, die 200 Jahre lang die spanische Krone stellten. Depressionen und Kinderlosigkeit prägten die letzten Jahre der Regentschaft.
Ihnen folgten die Borbones, wie die Bourbonen in Spanien heißen. Auch viele dieser Herrscher waren nicht frei von Depressionen, andere zeichneten sich durch Lebenslust aus. Etwas, das Juan Carlos I. geerbt hat und das ihm zum Verhängnis zu werden droht. Bluter, Gehörlose und Blinde, tödliche Unfälle, tragische Familien geschichten und Erbkrankheiten als Konsequenz jahrhundertelanger Eheschließungen unter Blutsvergesucht, wandten – Cousin und Cousine, Onkel und Nichten –, um das Reich beieinander zu halten, zeichnen auch die derzeitige spanische Königsfamilie aus. Felipes Ehe mit der bürgerlichen Journalistin Letizia durchbricht diese Tradition, aber Unglücksfälle und Fehlgriffe bleiben nicht aus. Letizias Schwester nahm sich das Leben, Felipes Schwestern haben sich Männer ausdie nicht als beispielhaft gelten, und das Verhältnis Letizias zu den Schwiegereltern ist gespannt.
Felipe VI. verspielte Sympathien mit seiner Ansprache nach dem Referendum in Katalonien
Juan Carlos: Ansehen verspielt
Tatsächlich sind die Korruptionsfälle von Juan Carlos I. und seine Flucht nach Abu Dhabi Wasser auf die Mühlen der Antimonarchisten. Längst hat er mit seinen Liebesaffären, Luxusreisen und Bankkonten in der Schweiz die Anerkennung verspielt, die er als Garant der Demokratie nach dem Putschversuch der Militärs 1981 gewann und über Jahrzehnte ausbaute. Der Putschversuch jährt sich am 23. Februar zum 40. Mal. Derjenige, der damals die aufständischen Generäle mit klaren Worten in die Kasernen zurückbefahl, sieht sich nun in wirren Manövern wegen Steuerhinterziehung gefangen.
Auch der diplomatische Felipe VI. hat seine Sympathien bei der Bevölkerung verspielt, als er nach dem verbotenen Referendum vom 1. Oktober 2017 in Katalonien eine harte Fernsehansprache gegen die Unabhängigkeitsbefürworter hielt.
Natürlich ist vom König nicht zu erwarten, dass er einen Teil des Reiches sich selbst überlässt – zumal die Hälfte der Einwohner sehr wohl zu Spanien gehören will. Aber er ist laut Verfassung ein Vermittler. Diese Aufgabe hat er nicht erfüllt. Eine Verurteilung der Ausschreitungen, bei denen Ordnungshüter harmlose Bürger knüppelten, und Anteilnahme mit den Opfern blieben aus.
Die Unabhängigkeit Kataloniens, die heute wieder Thema ist, hatte im 18. Jahrhundert ein Ende gefunden – und zwar unter dem direkten Vorgänger in der Nomenklatur, Felipe V. Katalonien war zwar seit dem 12. Jahrhundert mit der Krone Aragóns verbunden und ab dem 15. Jahrhundert dadurch mit Kastilien, blieb aber selbständig. Die katalanischen Herrscher behielten die Hoheitsrechte über ihre Gebiete, die spanischen Monarchen erkannten die Katalanische Verfassung an und handelten jeweils die Abgaben Kataloniens aus. Auch Philipp V. hat im Oktober 1701 die katalanische Verfassung und die weitgehende Eigenständigkeit anerkannt. Das Blatt wendete sich im Erbfolgekrieg.
Nicht schön für Katalonien
Als am 1. November 1700 die spanische Linie der Habsburger mit Karl II. ausstarb, wurde der Herzog von Anjou, ein Enkel des französischen „Sonnenkönigs“Ludwig XIV., als Philipp V. König von Spanien und Erbe der gesamten spanischen Monarchie. Das war der testamentarisch verankerte Wunsch Karl II. – und der des Sonnenkönigs. Felipe V. ist somit Stammvater der spanischen Bourbonen. Allerdings machte ihm der Habsburger Thronprätendent Erzherzog Karl das Anrecht streitig. Er sah sich nach dem Erbrecht der Habsburger als König Spaniens und wurde unterstützt von europäischen Staaten und Regionen. Ein Kandidat auf den spanischen Thron war auch Kurfürst Joseph Ferdinand von Bayern gewesen, ein Urenkel von König Felipe IV. Hätten die Bayern so viel Ausdauer wie die Bourbonen, säßen sie jetzt in Madrid. Doch Joseph Ferdinand starb im zarten Alter von sechs Jahren noch vor Karl II.
Die Gegner der Bourbonen fürchteten deren europäische Führungsrolle durch eine Doppelmonarchie Frankreich und Spanien. Der Sonnenkönig schloss diese aus, und am 24. November 1700 wurde Felipe V. in Versailles zum König Spaniens proklamiert, am 18. Februar 1701 zog der 17-Jährige in Madrid ein. Und zwar so beherzt, dass er den Beinamen „der Tapfere“erhielt.
Am 1. Februar 1701 ließ der Sonnenkönig die Erbansprüche Felipe V. und seiner männlichen Nachkommen auf den französischen Thron vom Pariser Parlament verabschieden. Er brach das Testament Karl II. und das Versprechen, die beiden Königreiche nicht zu verbinden. Die kriegsmüden Monarchien Europas verhandelten hin und her, die meisten hatten Felipe V. anerkannt, nur Österreich gab nicht nach. Der Streit über die Ansprüche auf das Herzogtum Mailand mündete 1701 in den Spanischen Erbfolgekrieg. Die Bündnisse und Verwicklungen halb Europas setzten sich bis nach Nordamerika fort, wo Frankreich und Großbritannien um die Vorherrschaft kämpften.
Auf der einen Seite standen also Frankreich, Spanien und das Kurfürstentum Bayern, auf der anderen Österreich mit dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches an der Spitze, Großbritannien, die Niederlande und Katalonien. Eine Zeitlang wurde der Habsburger Erzherzog Karl tatsächlich als König Carlos III. von Spanien anerkannt – und zwar von Aragón und 1705 von ganz Katalonien, außer der Stadt Rosas, und vom Königreich Valencia mit der Ausnahme der Stadt Alicante.
1713 wurde das Kriegsende mit dem Frieden von Utrecht und Felipe V. auf dem Thron besiegelt. Ausgehandelt hinter dem Rücken vom Sonnenkönig und Großbritannien, musste Felipe V. Zugeständnisse machen. Unter anderem der Verzicht auf Gibraltar, das endgültig an Großbritannien fiel. Für die Briten wurde die Kolonie zum Symbol für ihre Überlegenheit – und für alle bot das Gebiet jahrhundertelanges Konfliktpotential. Ein weiteres gewissermaßen bourbonisches Erbe, das Diplomatie und Politik bis heute beschäftigt, wie sich bei den Brexit-Verhandlungen wieder zeigte.
Auch Menorca wurde britisch, aber das ist schon 1802 korrigiert worden. Außerdem verlor Felipe V. die spanischen Niederlande und die italienischen Gebiete. Katalonien hatte die Ansprüche der Habsburger verteidigt und litt unter den Folgen. Die Belagerung Barcelonas durch bourbonische Truppen endete am 11. September 1714 mit der Kapitulation der Stadt. Felipe V. regierte Spanien nach französischem Vorbild zentralistisch und schaffte die kulturellen, juristischen und politischen Institutionen Kataloniens ab. Er verordnete die kastilische Sprache in seinem Reich, so auch in Katalonien, das seine Eigenständigkeit erstmals seit dem 10. Jahrhundert verlor. Hohe Steuern erdrückten das als Handelsmacht mit der Neuen Welt erfolgreiche Katalonien.
Erstaunlicherweise hat die Region den 11. September, also den
Tag der Niederlage, zum Nationalfeiertag erklärt. Der Zulauf bei der sogenannten Diada Nacional de Catalunya gilt als Thermometer für den Unabhängigkeitswillen der Katalanen. Nach Höhepunkten 2012 bis 2014 nahm die Beteiligung zuletzt ab.
Moderne Verwaltung
Der erste spanische BourbonenKönig Felipe V. hat von seinem Großvater Ratschläge erhalten: Er sollte ein guter Spanier sein, aber seine französischen Wurzeln nicht vergessen, die spanischen Institutionen achten, das Land bereisen, die Kirche, die entscheidenden Einfluss hatte, respektieren und Spanien modernisieren.
Tatsächlich modernisierte er das Steuer- und Verwaltungssystem, das Bildungswesen und den Handel mit den Kolonien, für den der Hafenstadt Barcelona eine wichtige Rolle zukam. Seine Wurzeln vergaß er nicht. Obwohl er die Königliche Akademie der spanischen Sprache gründen ließ, sprach er bis zu seinem Tod nur Französisch. Seinem Geburtsort Versailles setzte er ein Denkmal mit
Katalonien im Spanischen Erbfolgekrieg auf der falschen Seite
dem Schloss und den Gärten der Granja de San Ildefonso bei Segovia. Dort wollte er sich von seiner Melancholie erholen, ein hoffnungsloses Unterfangen. Beruhigend wirkte auf ihn angeblich nur die Gesangskunst des italienischen Kastraten Farinelli. Nach seinem Tod 1746 wurde er auf der Granja beigesetzt.
Bourbone mit Segen: Carlos III
Ihm folgten seine Söhne Ferdinand VI. und entscheidender Karl III., der 1759 bis 1788 regierte. Carlos III. trat seine Regentschaft in Barcelona an und die Bevölkerung bejubelte ihn. „Viva Carlos Tercero, el verdadero“, „Es lebe Karl III., der Echte“, sollen sie gerufen haben. Vielleicht nicht, weil es sich im Spanischen reimt, sondern in Anspielung auf ihre Großeltern, die dem Habsburger Carlos III. bejubelt hatten, weshalb die Stadt dann grausam belagert worden war. Der Bourbone Carlos III. führte das Land zu einem wirtschaftlichen Aufschwung, der die Zahl der Einwohner von sechs auf über zehn Millionen anwachsen ließ. Einer seiner Beinamen lautet „Bester Bürgermeister Madrids“, da er die Stadt mit Krankenhäusern, Kanalisation, Beleuchtung und Abfallbeseitigung modernisierte.
Weitere 20 Jahre regierte offiziell sein Sohn Karl IV., genannt „der Jäger“, denn er ging lieber auf die Jagd und überließ das Herrschen seiner Gattin, Maria Luisa von Parma, und deren Günstling, dem Offizier Manuel de Godoy. Nach einem Volksaufstand gegen Godoy und der Thronbesteigung Ferdinand VII., Sohn von Karl IV., zwang Napoleon die spanischen Bourbonen zum Thronverzicht und setzte seinen Bruder Joseph
Bonaparte zum König von Spanien ein. Das löste den Unabhängigkeitskrieg gegen die napoleonische Besatzung Spaniens 1808 bis 1814 aus.
Wieder war es ein europäischer Krieg, der viele Opfer kostete, und am Ende saß Ferdinand VII. doch auf dem Thron. Ferdinand VII. erhielt den Beinamen „der Ersehnte“und wurde bei seiner Rückkehr nach Madrid von einem jubelnden Volk empfangen. Kurz nach seiner Thronbesteigung 1814 entpuppte er sich allerdings als Tyrann. Die liberale Verfassung, die sich das spanische Volk 1812 in Cádiz gegeben hatte und auf die er als König einen Eid geschworen hatte, ließ er annullieren. Während seiner absolutistischen Herrschaft verlor Spanien die meisten seiner Besitzungen auf dem amerikanischen Kontinent. Gleichwohl erhöhte er die Steuern, besonders in Katalonien, das trotz guter Handelsgeschäfte und einer florierenden Textilindustrie verarmte. Die Infrastrukturen im Fürstentum hätten dringend das Geld gebraucht, das nach Madrid ging. Der einst Ersehnte wurde zum meistgehassten Bourbonen der Dynastie.
Ferdinand VII. hob das geltende Salische Gesetz auf und setzte die alte kognatische Erbfolge wieder ein, um seine dreijährige Tochter Isabella II. zur Königin zu machen. Sein Bruder Carlos, der sich als eigentlicher Thronfolger sah, fand sich mit der geänderten Erbfolge nicht ab. Es folgten die drei Karlistenkriege. Auch sie mussten durch Steuererhöhungen finanziert werden, das Land blutete aus.
Isabella II. regierte von 1843 bis zu ihrem Sturz 1868. Aus dem Exil in Frankreich bestimmte sie ihren Sohn, Alfons XII., zum Nachfolger, der den Thron aber erst nach dem Scheitern der Ersten Republik (1873-1874) einnehmen konnte. Ihm folgte 1886 sein Sohn Alfons XIII., dessen Regentschaft mit dem Ausruf der Zweiten Republik 1931 endete.
Gegen die Regierung der Zweiten Republik putschte 1936 der General Francisco Franco. Der Sieg seiner Anhänger im blutigen Bürgerkrieg führte direkt in eine Diktatur, die erst nach dem Tod des Diktators 1975 endete. Zuvor hatte er jedoch alles organisiert: Don Juan von Bourbon, Sohn von Alfons XIII., verzichtete im portugiesischen Exil auf den Thron und sein Sohn Juan Carlos I., ausgebildet von Franco selbst, übernahm die Regentschaft einer parlamentarischen Monarchie in Spanien. Trotz des zunächst starken Einflusses der extremen Rechten widersetzte sich Juan Carlos der demokratischen Entwicklung im Land nicht, sondern förderte sie.
Was Republikaner bis heute empört: Spanien war eine frei gewählte Republik, keine Monarchie, als Franco Bürgerkrieg und Diktatur brachte. Mit welchem Recht stellen die Bourbonen jetzt das Staatsoberhaupt? Eine Umfrage für die Zeitung „El País“im Oktober 2020 über ein eventuelles Referendum zur Staatsform zeigt: 41 Prozent der Befragten würden für die Republik stimmen, 35 Prozent die Monarchie wählen. Nicht abstimmen würden 24 Prozent. Die meisten Parteien treten für die Beibehaltung der Monarchie ein, aber 91 Prozent der Podemos-Wähler würden für die Republik stimmen.
Felipe VI. hat es nicht leicht, seit er 2014 König wurde: der Vater unter Korruptionsverdacht, ein Schwager im Gefängnis wegen Veruntreuung von Spendengeldern, und der Katalonien-Konflikt ohne Lösung. Seine Auftritte in Barcelona sind brisant. „Weg mit dem Bourbonen!“, schallt es ihm dort entgegen. Beim Königspokal im Camp Nou werden er und die spanische Hymne ausgepfiffen. Die Anhänger des FC Barcelona zeigen ein erstaunliches Geschichtsbewusstsein und rollen in Heimspielen nach 17 Minuten und 14 Sekunden eine riesige Unabhängigkeits-Flagge, die Estelada, aus, zum Gedenken an die Demütigungen, die sie durch Spanien und die Bourbonen seit 1714 zu erdulden meinen.
Katalonien im Spanischen Erbfolgekrieg auf der falschen Seite