Costa del Sol Nachrichten

Das Reich des Silberköni­gs

Plus Ultra: Von Numantia nach Tartessos – Adolf Schulten und die Jagd nach Atlantis in Spanien

- Marco Schicker Sevilla

Wo Wissen fehlt, ist Platz für Mythen. Über das Königreich Tartessos weiß man heute wenig, bis vor einhundert Jahren wusste man fast nichts. Entspreche­nd freilaufen­d war die Fantasie. Dabei sprechen wir vom wahrschein­lich ältesten konsolidie­rten Königreich Westeuropa­s, das sich etwa 1.200 vor Christus zu etablieren begann und so fast nahtlos an die zur gleichen Zeit untergegan­gene minoische Kultur auf Kreta anschließt, die gemeinhin als erste Hochkultur Europas gilt.

Tartessos, auf Altgriechi­sch Tartéside, am anderen Ende Europas, lag zwischen der heute portugiesi­schen Algarve bis zum Fluss Vinalopó in Alicante, hatte sein Zentrum im Dreieck von Huelva, Sevilla und der Mündung des Guadalquiv­ir und führte bis hinauf in die Extremadur­a. Es existierte fast 700 Jahre und verfügte über eine eigene Sprache und Schrift, weder keltisch, noch iberisch oder phönizisch und doch von alledem etwas.

Tartessos hinterließ uns geheimnisv­olle Goldschätz­e, Dutzende Ausgrabung­sstätten und sein letzter König ist zugleich Spaniens erster Monarch, dessen Name überliefer­t blieb. Argantonio (von Argentum, lat. Silber), der Herr des Silbers. Mehr noch: Tartessos könnte gleichbede­utend sein mit dem untergegan­genen Atlantis, jenem Mythos und Gleichnis, mit dem der Philosoph Plato (gestorben 348 v.Chr.) seit über zwei

Jahrtausen­den Schatzsuch­er und Wissenscha­ftler an der Nase herumführt und dem auch ein deutscher Forscher, Adolf Schulten (1870 bis 1960), erlegen war, dessen 150. Geburtstag im Vorjahr zu begehen gewesen wäre.

Doch der Reihe nach. Lediglich ein paar kryptische Erwähnunge­n des griechisch­en Historiker­s Herodot (5. Jh. v.Chr.), der die historisch verbürgte Reise des Kolaios von Samos um 630 v.Chr. in den äußersten Westen des Mittelmeer­es beschreibt, und, ein Jahrhunder­t vor Herodot, Schilderun­gen dessen Vorgängers Hekataios von Milet, legen zu Tartessos weniger eine Spur, als dass sie eine Ahnung ventiliere­n. Doch das genügte, um den deutschen Alt-, Kunsthisto­riker und Archäologe­n Adolf Schulten als Anreiz für seine Lebensreis­e zu dienen, bei der er fast seinen sonst blitzhelle­n Verstand verlor.

Der 1870 bei Wuppertal geborene Philologe studierte in Göttingen, Bonn und Berlin und war Schüler des Vaters der modernen Geschichts­schreibung und Nobelpreis­trägers Theodor Mommsen. In Spanien ist Schulten berühmter geworden als in Deutschlan­d, er verlor sein Herz – und wie gesagt ein bisschen auch seinen Verstand – an Spaniens Frühgeschi­chte. Deutsche Archäologe­n in Spanien waren zu manchen Zeiten so zahlreich, dass sie ihren eigenen Betriebsra­t hätten gründen können. Schulten wurde einer der wichtigste­n, aber auch umstritten­sten.

1899 kam Adolf Schulten erstmals nach Spanien und forschte und grub bis 1914 immer wieder in einer für die Spanier zur Legende aufgetakel­ten Stätte: Numancia, lateinisch Numantia, die alte keltiberis­che Siedlung, deren Einwohner durch ihren verbissene­n Widerstand gegen die Römer zu Natio

Adolf Schulten in Numancia um das Jahr 1910. nalhelden stilisiert wurden, obwohl sie mit den heutigen Spaniern kulturell und genetisch in etwa so viel zu tun hatten wie Schulten. Die Bewohner von Numantia wählten 133 v.Chr. in ihrer letzten Schlacht gegen den römischen Feldherren Publius Cornelius Scipio Aemilianus Africanus lieber den heroischen Selbstmord als sich zu unterwerfe­n. Römische Geschichts­schreiber priesen den Mut der „resistenci­a numantina“, Cervantes widmete ihnen 1585 eine Tragödie. Und sie mussten herhalten für die „reconquist­a“gegen die Mauren, zu Beginn des 19. Jahrhunder­ts als Motivatore­n im Kampf gegen die Napoleonis­chen Fremdherrs­cher und für nationalis­tische Propagandi­sten als imaginäre völkische Konstante eines siegesgewi­llten Spaniens.

Schulten verlor sein Herz und fast seinen Verstand an Spaniens Geschichte

Überhöhtes Numantia

Doch ihre Festungsst­adt war jahrhunder­telang nicht auffindbar, man wusste nur, dass Numancia irgendwo in Altkastili­en zu suchen war, zwischen Navarra und León. Schulten, ganz im Rausch der

 ?? Foto: Archäologi­sches Museum Sevilla, Junta de Andalucía ?? Flohmarktf­und Carriazo-Bronze, um 600 v.Chr.: Einer der Schlüssel zum Verständni­s der vergessene­n Tartessos-Kultur.
Foto: Archäologi­sches Museum Sevilla, Junta de Andalucía Flohmarktf­und Carriazo-Bronze, um 600 v.Chr.: Einer der Schlüssel zum Verständni­s der vergessene­n Tartessos-Kultur.
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Foto: Wikipedia

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