Eine Herzensangelegenheit
Artischocken sind ein typisches Wintergemüse des Mittelmeerraumes – Sie gelten als kompliziert, denn man muss an ihr Herz
red. Derzeit und noch bis ungefähr März läuft die Artischocke in Spanien auf Hochtouren, es ist ihre Saison. Spanien erntet jede vierte Artischocke Europas, die meisten kommen aus Murcia und der Region Valencia, vor allem aus der Vega Baja im Süden. Doch auch in Tudela (Navarra) und bis nach Almería und Granada in Andalusien haben sich Artischocken-Marken einen Namen erobert.
Das Gemüse gilt vielen als schwierig und kämpft in der Welt des bequemen Comfort-Food um einen Platz. Die „ArtischockenHauptstadt“Almoradí in der Vega Baja hält Kongresse dazu ab, in den Schulen lernen die Kinder die Distel schälen und kochen, auf Messen wirbt auch die Konservenindustrie für die kleinen Herzen.
Was ist also dran an dieser noch nicht geöffneten Blüte, an diesem Distelgewächs, das für ein krasses Missverhältnis sorgt: zwischen seiner Größe von bis zu zwei Metern und dem, was davon am Ende genießbar ist – nämlich nur der Blütenkopf? – Zuerst einmal glaubte man, dass die Artischocke „der Liebe zuträglich“und ein Quell ewiger Jugend sei, und vor allem wusste man schon früh um ihre Heilkraft. Kaum ein magenstärkender Likör oder Bitter, der ohne Artischockenextrakt auskommt. Hauptwirkstoff der Artischocke ist das Cynarin – Cynar heißt denn auch bezeichnend der weltweit zu den 100 beliebtesten Spirituosenmarken zählende italienische Likör, hergestellt aus Artischockenblättern und Kräutern.
Neben reichlich Mineralstoffen wie Kalium, das die Zellen auf Trab bringt, Kalzium, das gut für Haut und Knochen ist, Magnesium für Muskeln und Nerven enthält die Artischocke auch eine Reihe von Vitaminen mit vorzüglichen medizinischen Eigenschaften. Sie hilft nicht nur, hohe Cholesterinwerte zu bekämpfen und die Leberwerte zu besänftigen, ihre Inhaltsstoffe
kommen auch Diabetikern zugute. Artischocken mindern das Risiko der Arteriosklerose und gelten als ausgezeichnetes Diuretikum – und das alles ist zu haben bei höchstem kulinarischem Genuss. Sensationell eigentlich, denn im Allgemeinen dient oraler Lustgewinn selten so eindeutig der Gesundheit.
Artischocken mit D.O.
Spanien und Italien sind weltweit die größten Produzenten des gesunden Gemüses, wobei es sich bei den in den Hauptanbaugebieten Spaniens – Rioja, Navarra, Murcia und Alicante – kultivierten Exemplaren fast ausschließlich um die Sorte Blanca de Tudela handelt. Spanien besitzt heute mit der Alcachofa de Tudela aus Navarra und der valencianischen Artischocke aus Benicarló in Castellón so gute Qualität, dass eigene Herkunftsbezeichnungen zu ihrem Schutz eingeführt wurden.
Wer sich selbst an das Distelgemüse wagen will und keinerlei Erfahrung hat, hält sich beim Einkauf an die spanische Hausfrau. Da wird in der Hand gewogen, betastet, Stück für Stück untersucht.
Wenn die Spitzen stechen, wandern sie wieder zurück. Nicht die größten Früchte sind die besten, jung und frisch sollen sie sein. Das ist dann der Fall, wenn die Blütenblätter den Kopf fest umschließen. Der Stiel soll fest und nicht biegsam sein. Auch schwarz gefleckte, trocken erscheinende und zu leicht befundene Exemplare lässt man besser liegen.
Artischocken lassen sich füllen, kochen, auf der Plancha braten oder zur Tortilla verarbeiten. Sie verlangen nach Knoblauch und Olivenöl, Tomaten und Mittelmeerkräutern. Reis und Nudeln geben sie das gewisse Etwas, auch einem geschmorten Kaninchen. Sie passen ganz wunderbar zu Frühlingsgemüse wie grünem Spargel und jungen Saubohnen. Und machen beileibe nicht vor leckeren Muscheln Halt.
Vielfältige Rezepte
In Kreta beispielsweise bereitet man Artischocken mit Dill und Schnecken zu; in Ägypten mit Mandeln. Und in Rom werden Artischocken und junge Saubohnen mit frischen Erbsen und ungeräuchertem Schweinespeck gekocht.
Tradition im Land Valencia ist, die Artischocken mit Knoblauch, Kräutern und Olivenöl, einem Stück Chorizo oder ManchegoKäse zu füllen und mit etwas Wein oder Wasser im Topf zu garen. Oder sie einfach auf der Plancha zu braten. Ein paar Tropfen Olivenöl und gutes Meersalz machen die Tapa perfekt.
Leichter als gedacht
Artischocken sind nicht so schwierig handzuhaben, wie es den Anschein hat. Man muss nur irgendwie an ihr Herz herankommen. Man reißt mit den Fingern die äußeren Lagen harter Blätter nach unten ab, bis sich die jungen, feinen hellen zeigen. Dann wird der obere Teil großzügig abgeschnitten, das kann ein Drittel bis zur Hälfte ausmachen und geht ganz gut mit einem Sägemesser. Das weiße, flusige „Heu“wird mit einem Löffel herausgekratzt.
Mit einem Schäler trennt man das Harte vom Artischockenboden ab, bis das weiche Fleisch zum Vorschein kommt. Auch der Stiel wird bis zum weichen Inneren geschält – oder, je nach Zubereitung, einfach über der Tischkante abgebrochen. Dass nicht viel übrig bleibt, ist normal und soll einen nicht bekümmern, denn teuer ist das Gemüse hierzulande nicht.
Da das Distelgemüse an der Luft rasch oxidiert und sich hässlich verfärbt – Vorsicht, es hinterlässt auch Spuren an den Fingern –, gibt man meist Zitrone zu; das ist aber Geschmackssache. Eine andere Methode ist, Petersilie oder etwas Mehl ins Wasser zu geben, in dem sie vorläufig aufbewahrt werden. Das hält die Artischocken weiß.
Oder es heißt ganz schnell arbeiten. Will man beispielsweise Artischocken kochen, steht schon ein Topf mit siedendem Wasser bereit, ein etwas kleinerer Deckel liegt daneben. Der hält die Blütenköpfe unter Wasser: so lange, bis sich ein Blatt herauszupfen lässt. Empfehlenswert ist, sie unter einem feuchten Tuch abkühlen zu lassen, sonst verbrennt man sich die Finger.
Simpel und gut
Gekochte Artischocken kann man gut am nächsten Tag in heißem Wasser aufwärmen und mit Vinaigrette servieren. Oder: den Boden herauslösen und einfach mit Knoblauch und Thymian in heißem Olivenöl oder in Butter braten. Welchem anderen Nahrungsmittel würden wir verzeihen, dass es in die Finger pikt, den Abfalleimer überquellen lässt und unsere besten Weine außer Gefecht setzt?
Gratinierte Artischocken
Als Vorspeise für 4 Pers.: 25 g Butter (mantequilla), 8 große Artischocken (alcachofas), 250 ml Milch (leche), 3 EL Mehl (harina), ein paar Safranfäden (azafrán), 1 Msp. Curry, 150 g geriebener Käse (queso rallado), 1 Ei (huevo), Thymian (tomillo), Salz
Artischocken vorbereiten: Stiele und harte Blätter sowie das obere Ende entfernen. In leicht gesalzenem Wasser während 15 Minuten garen oder so lange, bis sie weich sind.
Eine Bechamel bereiten: Mehl in Butter leicht Farbe nehmen lassen, Milch zufügen. Köcheln lassen, mit Safran, Salz und Curry würzen. Umrühren, vom Herd nehmen, Eigelb, Thymian und den Käse dazugeben, gut umrühren.
Eiweiß steif schlagen und unter die Sauce heben.
Abgetropfte Artischocken in eine gefettete ofenfeste Form geben.
Mit der Käsesauce bedecken und bei 180 Grad etwa 20 Minuten backen oder so lange, bis der Käse gebräunt ist. Aus dem Ofen nehmen, fünf Minuten ruhen lassen und servieren.
Blini, Artischocken und Kaviar
Für die Blinis: 125 g Mehl (harina), 100 g Buchweizenmehl (trigo sarraceno), 2 Eier (huevos), 250 ml Milch, 1 Beutel Trockenhefe (levadura seca), 50 ml Sahne (nata liquida), 50 g Butter; weiterhin je nach Größe 3 bis 6 Artischocken (alcachofas), Olivenöl und 80 g gesalzenen, getrockneten Meeräschenrogen (huevas de mújol, ist orangerot und findet man dort auf dem Markt, wo auch Bacalao und Mojama verkauft werden).
Die Hälfte der Milch leicht anwärmen, Hefe darin auflösen. Die beiden Mehlsorten mischen, HefeMilch, Eier, Sahne und restliche Milch zufügen – sowie die Butter, die man aber zuvor in der Mikrowelle leicht schmelzen lässt. Alles mit dem Schneebesen kräftig verrühren, mit einem Tuch bedecken und den Teig an einem warmen Ort eine Stunde aufgehen lassen. Er soll sehr cremig und etwas fester als Crêpe-Teig sein.
Eine beschichtete Pfanne nehmen, damit die Blinis nicht ankleben. Sie sollen weniger als zehn Zentimeter Durchmesser haben und etwas dicker als Crêpes sein. In ein wenig Olivenöl bei mittlerer Hitze von beiden Seiten braten. Im Ofen warm halten.
Die Artischockenböden in feine Streifen schneiden, sofort in Wasser mit Zitronensaft geben. Artischockenstreifen scharf in Olivenöl anbraten, nur kurz, denn sie sollen zum Verzehr noch knackig sein. Anschließend mit etwas Salz und Pfeffer würzen und mit Kaviar, Kräutern oder Rucola servieren.