Sieg ohne Gewinn
Sozialisten bekommen die meisten Stimmen bei der Katalonienwahl – Den Schlüssel zur Macht hat die ERC
Die Sozialisten haben die Wahlen in Katalonien zwar gewonnen, eine Regierung werden sie aber kaum bilden können. Denn der separatistische Block ist aus dem Urnengang gestärkt hervorgegangen, hat erneut die Mehrheit der Mandate errungen und erstmals auch die Mehrheit der Stimmen verbucht.
Barcelona – sk. Wenn es in der Bibel nicht anders stünde, könnte man meinen, Adam und Eva hätten erst nach einem herzhaften Biss in eine katalanische „poma“die Zwietracht ins Paradies gebracht. 51 Prozent der Katalanen haben sich am Sonntag bei der Landtagswahl gegen den Verbleib der Region in Spanien ausgesprochen. Sie gaben mehrheitlich linken Parteien ihre Stimme, ließen aber auch die Procés-Hardliner um JuntsxCat nicht fallen und stellten ihnen die extrem rechte Vox als stärkste Kraft im Flügel der Frontalopposition gegenüber. Dafür schickten sie die sanftmütigeren Ciudadanos und die moderatere Volkspartei in die politische Bedeutungslosigkeit. Wie konnte das passieren, wie geht es nun in Katalonien und in Spanien weiter?
Der „Illa-Effekt“hat nicht zum gewünschten Ergebnis geführt. Der Spitzenkandidat der katalanischen Sozialisten, Salvador Illa, hat die Landtagswahl zwar gewonnen (33 Mandate, 23 Prozent), aber nicht mit durchschlagendem Erfolg. Die Madrider Zentralregierung schickte den früheren Gesundheitsminister zurück in seine Heimat, um den Wandel herbeizuführen. Die Hegemonie der Separatisten sollte er aufbrechen und die wirtschaftlich starke Region aus dem zermürbenden und alles lähmenden Zwist um Referendum und Unabhängigkeit auslösen. Doch dieses Murmeltier wird wohl auch in den kommenden vier Jahren täglich Katalonien grüßen.
Dennoch, Salvador Illa hat als Wahlgewinner Anspruch auf das Amt des Regierungspräsidenten erhoben. „Die Hoffnung ist stärker als die Angst“, sagte er am Wahlabend, immer noch überzeugt, den Katalonienkonflikt überwinden zu können. Ob der neue Landtagspräsident ihm überhaupt den Auftrag erteilen wird, sich um eine Regierungbildung zu bemühen? Nun muss sich binnen 20 Tagen der Landtag konstituieren und dann hat der neue Präsident zehn Tage für Gespräche Zeit, um den Kandidaten mit den größten Erfolgsaussichten für die Investitur zu bestimmen. Ob das Illa sein wird? Bereits vor der Wahl schlossen alle separatistischen Parteien mit einem
Veto aus, mit Illa und der PSC zu paktieren. Und auf der Pro-Spanien-Seite finden die Sozialisten nicht genug Unterstützung, um eine Koalition mit mehr als 68 Mandaten bilden zu können. Die PSC hat rechnerisch gesehen eigentlich keine Chance, eine Regierung zu bilden, ohne die Separatisten im Boot zu haben. Die Taktik von Illa zielte auch von Anfang an auf einen Bund mit der ERC (33 Mandate, 21,3 Prozent) und En Comú Podem (8 Mandate, 6,86 Prozent) – also Podemos – ab. Mit dem Veto knallten ihm die Separatisten die Tür vor der Nase zu.
Favorit ist Pere Aragonés
Viel bessere Aussichten als Illa bei der Regierungsbildung haben die katalanischen Republikaner (ERC) um Pere Aragónes. Die ERC holte bei der Wahl auch 33 Mandate. Zusammen mit den Sitzen der drittstärksten Kraft, den liberalkonservativen JuntsxCat (32 Mandate, 20 Prozent) um Ober-Separatist Carles Puigdemont, käme die ERC auf 65 Sitze. Nehmen die beiden Parteien noch die fünftstärkste Kraft im Landtag, die anarchistische Cup mit ins Boot, könnten die Separatisten auf eine bequeme Mehrheit von 74 Mandaten bauen. Diese Konstellation hat die besten Aussichten, zumal Aragonés auch noch um Podemos buhlt.
Derweil müssten sich die Sozialisten in Madrid nun in die Waden beißen, dass sie so resolut auf eine Landtagswahl mitten in der dritten Welle der Coronavirus-Krise drängten. Die Angst vor einer Ansteckung dürfte einer der Faktoren für die geringe Wahlbeteiligung von 53,56 Prozent gewesen sein, die 23 Prozent unter der Rekordteilnahme von 2017 lag. Das spielte den Separatisten zu, denen es viel leichter fällt, ihre Wählerschaft zu mobilisieren. Zumal ihnen auch das Wahlrecht zu Gute kommt, das die ländlichen Regionen gegenüber den großen Städten bevorzugt.
Die Separatisten haben die 50Prozent-Marke geknackt, obwohl sie 630.000 Stimmen weniger als
Separatisten haben nach der Landtagswahl die Mehrheit hinter sich
2017 holten und nur den Zuspruch von 26 Prozent der 5,6 Millionen wahlberechtigten Katalanen verbuchen konnten. In den Monaten vor der Wahl hatte der Separatismus auch kontinuierlich an Zuspruch verloren. Es entstand der Eindruck, die Katalanen würden ein neues Kapitel aufschlagen wollen. Und da könnte etwas dran sein.
Die führenden Separatisten verbüßen Haftstrafen oder darben im Exil – so viel Rückenwind verleiht ihnen das Ergebnis auch nicht, wenn man bedenkt, wie sehr das ihre Anhänger mobilisieren müsste. Es wäre bitter für Katalonien, sollte diese komische CoronaWahl nicht mehr bringen als vier weitere Jahre mit sterilem Taktieren um die Amnestie für verhaftete Separatisten, um ein erneutes Referendum für eine Unabhängigkeit und um das Für und Wider einer einseitigen Loslösung von Spanien.
Nun hat aber nicht mehr Carles Puigdemont und JuntsxCat das Sagen, sondern der ERC ist es gelungen, den ungeliebten Weggefährten und Erben der verhassten Convergència y Unió (CiU) zu überholen. Das könnte sich als ein entscheidender Unterschied erweisen. Im Gegensatz zu Junts stehen die Linksrepublikaner unter Zugzwang. Die ERC dürstet seit Jahren nach der Macht in Katalonien und nun muss sie beweisen, dass eine linke Kraft auch eine Region regieren kann, in der traditionell das liberale Bürgertum das Sagen hat.
Die Linke braucht also konkrete Ergebnisse, muss politische Fortschritte vorweisen, einen Haushalt auf die Beine stellen und staatliche Investitionen sinnvoll einsetzen. Bevor die Katalanen überhaupt an die Unabhängigkeit denken können, müssen sie erstmal aus der Misere der CoronaPandemie heraus. Die ERC weiß das, Junts hat das sehenden Auges übersehen.
Es wird schwerer für Sánchez
Die Linksrepublikaner stimmten auch im Madrider Parlament für den Staatshaushalt. Die Brücke zur Zentralregierung wollen sie nicht abreißen, aber sie werden Sánchez das Leben schwerer machen – allein schon, um gegenüber Junts nicht als die „schlechteren“Separatisten zu gelten. Die PSC mit Salvador Illa wäre bei dieser Konstellation die stärkste Oppositionspartei. Ihr könnte eine Vermittlerrolle zwischen Madrid und Barcelona zukommen. Es steht außer Frage, dass die PSC mehr mit der ERC verbindet als mit Vox. Man kann also damit rechnen, dass der Dialog zwischen Madrid und der abtrünnigen Region besser funktionieren wird als etwa mit der Vorgängerregierung der PP unter Mariano Rajoy.
Und in den nächsten Tagen wird sich zeigen, ob wirklich die Option PSC-ERC-Podemos schon zu Grabe getragen ist. Junts und ERC passen nicht gut zusammen. Wenn die Sozialisten einen Schritt zurücktreten würden und eine Präsidentschaft von Aragonés unterstützen, könnte die ERC vielleicht auch über das Veto hinwegsehen. Dann würde ein Linksbündnis unter separatistischer Führung mit einem guten Draht zur Zentralregierung in greifbare Nähe rücken – für Katalonien und die politische wie gesellschaftliche Realität dort dürfte das nicht die schlechteste Option sein.
Eine ähnliche Konstellation gab es schon einmal mit der PSOE von José Luis Rodríguez Zapatero in Madrid und Pascual Maragall in Barcelona. Sie führte zu einer gewissen Entspannung, Katalonien fand Anerkennung als „eine Nation
in der Nation“und bekam ein eigenes Autonomiestatut, das wegen einer Klage der PP vor dem Verfassungsgericht scheiterte. Von da an verschlechterten sich die Beziehungen zwischen Zentralregierung und Katalonien allerdings zusehends, das bald mit CiU-Chef
Artur Mas an der Spitze klar Kurs auf die Unabhängigkeit nahm. Die Sozialisten und vor allem Podemos haben mit Unabhängigkeitsbefürwortern grundsätzlich keine Berührungsängste – solange sie ihre Ziele wie das Recht auf Selbstbestimmung im Einklang mit der Verfassung verfolgen.
Auf der anderen Seite haben die Wähler den Sozialisten am Sonntag auch einen klaren Auftrag erteilt. Die PSC von Salvador Illa hat Ciudadanos als stärkste prospanische Kraft abgelöst. Die Liberalen
verloren 30 Sitze, von ihren 36 Mandaten bleiben ihnen gerademal sechs. Die PSC legt von 17 auf 33 Sitze vor allem dank der Stimmen der Katalanen zu, die 2017 Ciudadanos gewählt hatten. Diese Wählerschaft lehnt die Unabhängigkeitsbewegung ab, nicht aber den Dialog oder die Zusammenarbeit mit den Separatisten.
Mit Carles Puigdemont und Junts gibt es nur wenig Spielraum für Verhandlungen. Die liberalkonservativen Separatisten haben sich dem zivilen Ungehorsam verschrieben und hoffen, dass ein entnervtes Spanien irgendwann Katalonien einfach freigibt. Die Chancen dafür stehen freilich schlecht. Der letzte Versuch, die Unabhängigkeit auf Biegen und Brechen zu erreichen, scheiterte 2017 kläglich, als sich die Region nach einem Referendum kurzzeitig von Spanien lossagte. Katalonien wurde prompt unter Zwangsverwaltung auf Grundlage des Verfassungsartikels 155 gestellt. Die Anführer flohen entweder, wie der damalige Regionalpräsident Puigdemont, nach Belgien oder sie wurden zu Haftstrafen verurteilt.
Seit 2017 stagniert Katalonien. Dem Ziel der Unabhängigkeit rückte die Region keinen Schritt näher. Die Wirtschaft verschlechterte sich unter dem Mandat von Quim Torra zusehends, tausende Firmen suchten wegen der politischen Unsicherheit ihr Heil in der Flucht und zogen in andere Regionen ab. Sogar die CaixaBank hat ihren Firmensitz inzwischen in Valencia. All dies hat die Gräben auf beiden Seiten nur noch vertieft.
Stagnation in Katalonien
Nicht zuletzt daher rührt der Erfolg von Vox (11 Mandate, 7,7 Prozent), die von den tiefen Ressentiments einiger Katalanen gegen die Unabhängigkeitsbewegung profitieren. Die Rechtspopulisten stiegen kometenhaft aus der Asche von Ciudadanos und PP (3 Mandate, 3,8 Prozent) auf und ziehen bei ihrem Debüt im Landtag gleich als viertstärkste Kraft ein. Der eigentlich engagierte Wahlkampf des Spitzenkandidaten der PP, Alejandro Fernández, stieß kaum auf Zustimmung. Nur 3,8 Prozent entschieden sich für eine moderate, konservative Opposition – die PP schnitt noch nie so miserabel in Katalonien ab, obwohl sie in der Vergangenheit schon schlechter aufgetreten war.
Sowohl die PP als auch Ciudadanos werden an dem Fiasko noch länger zu knabbern haben, als sie momentan bekunden. PP-Chef Pablo Casado ging am Dienstag in die Offensive und kündigte den Auszug der Partei aus ihrem Sitz in der Calle Genova in Madrid an. Von nun an, versicherte er den Journalisten, verliere er kein Wort mehr über Bárcenas, Korruption und die Vergangenheit. Das muss wohl ein Witz gewesen sein, bedenkt man, was für Prozesse in die kommenden Jahre Schlagzeilen machen: Bárcenas, Gürtel, Kitchen.
Ist die Option PSC-ERC-Podemos wirklich vom Tisch?