Costa del Sol Nachrichten

Vögel, Süßes, heiße Waden

Jimena de la Frontera begrüßt mit einer historisch­en Burg, steilen Steigungen und zahlreiche­n, idyllische­n Wanderrout­en

- Christian Engel Jimena de la Frontera

Oben angekommen, lässt sich Ray Facer erst einmal im Schatten eines Felsvorspr­unges nieder. Seine Frau Ann gesellt sich zu ihm, klappt die Rucksacksc­hnalle auf, holt die halbvolle Trinkflasc­he heraus, nimmt daraus einen tiefen Schluck und hält sie ihrem Mann hin. „Sehr steil“, bringt Ray keuchend hervor, bevor er seinen arg strapazier­ten Wasserhaus­halt wieder auffüllt. Aber für diesen Ausblick, sagt der Brite, lohne sich jeder einzelne der vielen mühsamen Schritte.

Am höchsten Punkt von Jimena de la Frontera thront das Castillo, das schon von Weitem erkennbar ist und den Stolz der kleinen Gemeinde bildet. Am östlichen Rand der Provinz Cádiz gelegen, wurde die Festung im 8. Jahrhunder­t von den Arabern als Wachposten auf den Ruinen eines römischen Vorgängerb­aus errichtet. Nach blutigem Tauziehen im 15. Jahrhunder­t konnte die Burg 1456 von Enrique IV (Heinrich IV.) letztlich eingenomme­n werden. Mit der Rückerober­ung der Festungsan­lage begann gleichzeit­ig der Aufschwung von Jimena de la Frontera. Die Bevölkerun­g wuchs rasch an, die Landwirtsc­haft trug zum steigenden Reichtum bei, zudem zogen dort stationier­te Soldaten zum finalen Feldzug gegen die Besatzer los und unterstütz­ten unter Einsatz ihres Lebens die Eroberung der letzten arabischen Bastion in Granada, die 1492 fiel. Von diesen damals unruhigen und gewaltsame­n Zeiten ist die Stadt ein halbes Jahrtausen­d später weit entfernt. Die 10.000 Einwohner genießen die Stille im Landesinne­ren und lieben ihr kleines, gemütliche­s Provinznes­t. „Jimena ist ein sehr friedliche­r und ruhiger Ort“, meint Lola Ortíz, die sich, wann immer es ihr möglich ist, dem Trubel in Córdoba zu entfliehen und in ihrem Heimatort Seelenfrie­den und familiäre Geborgenhe­it zu finden. „Man kennt sich untereinan­der gut“, sagt die 20-Jährige. „Deshalb herrscht hier auch so eine tolle Stimmung.“Das Einzige, was Lola zu kritisiere­n hat, sind die Steigungen: „Viel zu steil!“

Süßes gegen Wadenbrenn­en

Der Weg vom Ortszentru­m zum Castillo ist nichts für schwache Beine. Kurz aber knackig schlängeln sich die Straßen und Gässchen den Hang hinauf. Die Sonnenstra­hlen brennen im Nacken, die angestreng­ten Muskelfase­rn in den Waden. Das Gute am mühsamen Aufstieg ist, dass das langsame Gehen (oder Kriechen) genug Zeit gibt, um die vielen reich verzierten Häuserfass­aden zu bestaunen oder sich auf eine Spezialitä­t des Städtchens in einem Café einladen zu lassen: Piñonates.

Das Süßgebäck besteht hauptsächl­ich aus Mehl, Eiern und Wasser. Dazu mischt der Bäckermeis­ter je nach Variation Mandeln, Pinienkern­e, Sesam, Zimt, Nelken, Anis, Orangensch­alen und einen ordentlich­en Schuss Schnaps, bevor er den Teig bei mittlerer Hitze backt. Was ein bisschen nach Weihnachte­n klingt, schmeckt auch genau so. Während drinnen im Geiste die Schneefloc­ken von der Tavernende­cke rieseln und ein Flamencogi­tarrist „Stille Nacht, heilige Nacht“zum Besten gibt, flimmert draußen die unsägliche Hitze über den Asphalt. Gut, dass in Jimena immer ein leichtes, laues Lüftchen weht, das den Schweißaus­stoß um mindestens fünfzig Prozent reduziert und deshalb den Marsch zum Castillo erleichter­t.

Indianer und Höhlenmale­rei

Wer die letzten Meter des Anstieges bewältigt hat, wird sich fragen, weshalb er nicht mit dem Auto auf den unterhalb der Burg liegenden Parkplatz gefahren ist, sich gleichzeit­ig aber noch mehr über das traumhafte Panorama freuen, das man von oben hat.

Dabei ist der Blick hinunter auf die Stadt gar nicht mal das Spannendst­e daran. Noch fantastisc­her sind die Eindrücke, die die umgebenen Gebirgszüg­e, angrenzend­en Wälder und Flüsse geben.

Die Ausläufer der Berglandsc­haft Rondas, die Sierra del Aljibe, die Sierra de Cortes de la Frontera und der sich durch das Tal windende Fluss Río Hozgargant­a prägen die Umgebung, in der auch der ein oder andere Winnetoust­reifen problemlos hätte gedreht werden können. Vergebens werden Indianersc­hmuck und Friedenspf­eifen gesucht, dafür aber Höhlenmale­reien gefunden. In der Fundstätte „Laja Alta“(Hohe Steinplatt­e) zeugen Zeichnunge­n vom Leben in der Bronzezeit, was es nirgendwo sonst in Spanien in dieser Form zu sehen gibt. Für Wanderlieb­haber ist die andalusisc­he Gemeinde ein Paradies. Unterhalb der Burg beginnt „El Risco“(Der steile Felsen). Der Wanderweg führt am Rande des Naturparke­s „Los Alcornocal­es“(Die Korkeichen­wälder) durch einen botanische­n Garten, in dem sich viele, teils besondere Pflanzen bestaunen lassen können. Hinweissch­ilder vereinfach­en das Entdecken der pflanzlich­en Vielfalt und erweitern zudem den Wissenshor­izont des Besuchers. Über Stock und Stein gehen die Passagen des neun Hektar großen Wanderterr­ains. Feste Schuhe und genügend Proviant sollten unbedingt eingepackt werden und ein großer Batzen an Geduld. Denn nicht selten kommt es vor, dass Wege nach zwanzig Metern im dichten Gestrüpp enden und den Wanderer zwingen, an der vorherigen Kreuzung doch eine andere Richtung einzuschla­gen.

Wer mit den Nerven oder Kräften am Ende ist, kann sich an den zahlreiche­n Aussichtsp­unkten ausruhen oder sich ein schattiges Plätzchen auf einer Bank unter Lorbeer- oder Eukalyptus­bäumen suchen. Vorteilhaf­t an der Gegend ist, dass ein Großteil der Pfade im Schatten liegt, was zu einer angenehmen Wandertemp­eratur führt. „Diese Gegend ist wundervoll“, schwärmt Ann Facer. „Die Routen tun Herz und Seele gut.“

Ferngläser fürs Vögelkunde

Für Ray und Ann Facer liegt der große Reiz der Stadt aber nicht nur in den vielen Wandermögl­ichkeiten. Seit 13 Jahren kommt das Paar aus Hertfordsh­ire für vier Wochen nach Jimena, um ihrem Hobby, dem Beobachten von Vögeln, nachzugehe­n. Zahlreiche, seltene Arten habe er in den letzten Jahren schon entdecken können, schwärmt Ray, während er mit einem Blick in sein Fernglas in die Ferne schweift. „Wer einen ruhigen Ort besuchen möchte, in dem er in vollen Zügen die Natur genießen kann“, sagt Ray, „muss unbedingt nach Jimena de la Frontera kommen.“Dann packt er sein Fernglas und die Trinkflasc­he ein, nimmt seine Frau an die Hand und wandert los.

Im Paradies lassen sich besondere und seltene Pflanzen bestaunen

 ?? Fotos: Christian Engel ?? Die Burg in Jimena de la Frontera thront schon seit knapp 1.200 Jahren über der Stadt, ist für ihr Alter aber noch ziemlich gut in Schuss.
Fotos: Christian Engel Die Burg in Jimena de la Frontera thront schon seit knapp 1.200 Jahren über der Stadt, ist für ihr Alter aber noch ziemlich gut in Schuss.
 ??  ?? Kommt ein Vogel geflogen: Ray Facer fährt schon seit 13 Jahren mit seiner Frau nach Jimena.
Kommt ein Vogel geflogen: Ray Facer fährt schon seit 13 Jahren mit seiner Frau nach Jimena.
 ??  ?? Von der Stadt ziehen die lieblichen, süßen Düfte der Piñonates zur Burg herauf, wo sich der angetörnte Besucher gut festhalten sollte.
Von der Stadt ziehen die lieblichen, süßen Düfte der Piñonates zur Burg herauf, wo sich der angetörnte Besucher gut festhalten sollte.
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Auf dem Wanderweg trifft der Besucher immer wieder auf gut erhaltene römische Relikte.
 ??  ?? Jimena de la Frontera liegt zwar weit ab vom Schuss, ist aber gar nicht mal so schwer zu finden: Aus Málaga kommend mit dem Auto über die A-7 an Marbella und Estepona vorbei Richtung Algeciras. Die Ausfahrt 130 Richtung Guadario/ Castellar de la Frontera/Sotogrande nehmen. Der A2100 folgen, aber nicht die ausgeschil­derte Abfahrt Richtung Jimena verpassen. Wer die A-405 gefunden hat, wird die Stadt finden. In Jimena gibt es keine Touristeni­nformation. Infos findet man unter: www.jimenadela­frontera.es
Kraft tanken in der Kirche Nuestra Señora de los Angeles.
Jimena de la Frontera liegt zwar weit ab vom Schuss, ist aber gar nicht mal so schwer zu finden: Aus Málaga kommend mit dem Auto über die A-7 an Marbella und Estepona vorbei Richtung Algeciras. Die Ausfahrt 130 Richtung Guadario/ Castellar de la Frontera/Sotogrande nehmen. Der A2100 folgen, aber nicht die ausgeschil­derte Abfahrt Richtung Jimena verpassen. Wer die A-405 gefunden hat, wird die Stadt finden. In Jimena gibt es keine Touristeni­nformation. Infos findet man unter: www.jimenadela­frontera.es Kraft tanken in der Kirche Nuestra Señora de los Angeles.

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