Land und Leute: Der deutsche Fotograf Otto Wunderlich hat Spanien ein umfangreiches Archiv hinterlassen
Deutscher Fotograf legte ab 1914 umfangreiches Archiv an – Nationales Institut für Kulturerbe digitalisiert 4.000 Aufnahmen
Otto Wunderlich (1887-1975) hatte einen Blick für Motive. Für Landschaften, für Monumente, für Menschen. Der gebürtige Stuttgarter konnte stundenlang mit seiner Plattenkamera durch die bekanntesten Orte oder entlegensten Ecken Spaniens streifen, die Ansichten eines Dorfes aus unzähligen Perspektiven ablichten, das alltägliche Leben auf dem Land und in der Stadt einfangen und die Menschen in diesem einen Moment ihres Lebens für die Ewigkeit einfrieren.
Da ist eine Schar wilder Jungs, die sich mit einem Stierkopf aus Stroh als Toreros üben, da sind Wasserträgerinnen in Cáceres, die vom Mädchen bis zur jungen Frau gekonnt tönerne und metallene Krüge auf dem Kopf balancieren, oder die Alpargateros, die im Schatten von Elches Kathedrale Flachsschuhe knüpfen. In ihren Blicken liegt Staunen, vielleicht auch Skepsis, was dieser Ausländer mit dem kuriosen Apparat wohl vorhat.
Durch seine Leidenschaft für das Reisen und die Fotografie hat der Stuttgarter Spanien ein wertvolles Zeugnis aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hinterlassen. 4.000 Glasplattennegative hat das nationale Institut für Kulturerbe jetzt digitalisieren lassen. Das Archivo Wunderlich ist jetzt im Internet der Öffentlichkeit zugänglich.
Nach Spanien verschlägt es Otto Wunderlich 1914. In der Provinz Jaén beginnt er für die Bergbaugesellschaft El Guindo zu arbeiten, die sich dem Abbau und Verkauf von Mineralien in der Sierra Morena bei La Carolina widmete, einer ehemaligen Kolonie, die im 18. Jahrhundert mit Zuwanderern aus Süddeutschland, der Schweiz und Italien besiedelt worden war.
Spätestens ab 1917 aber widmet sich Wunderlich fast ausschließlich der Fotografie und bereist ganz Spanien. Auch an die Mittelmeerküste verschlägt es ihn, in die Provinz Alicante, wo er unter anderem Jávea, Villajoyosa, das Fischerdorf Benidorm und Alicante besucht und sich vor der Straßenbahn in Elche selbst ablichten lässt. Etwas südlicher bannt er Murcias imposante Kathedrale auf Glas und verewigt Arbeiterinnen bei der Paprikaernte in Cartagena.
In Andalusien hat es ihm vor allem Ronda angetan, dutzende
Aufnahmen belichtet der Deutsche mit den hohen Bögen der Puente Nuevo und den hängenden Häusern des „weißen Dorfes“, in Granadas Alhambra steht seine Plattenkamera nicht still. Unter dem Titel „Paisajes y monumentos de España“verkauft Wunderlich seine Aufnahmen als Postkarten und Alben.
Flucht vor Bürgerkrieg
Zum einen erledigt der Deutsche Auftragsarbeiten für Institutionen und Unternehmen, die eine wertvolle Dokumentation der spanischen Industrie dieser Zeit liefern. Zum anderen sind da Wunderlichs spontane Aufnahmen von Alltagsszenen, die er bei seinen Reisen vorfindet.
Nach dem Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs kehrt der Deutsche mit seiner spanischen Frau Margarita und Sohn Rodolfo vorübergehend nach Deutschland zurück. Das letzte Foto, das er 1936 in Spanien macht, zeigt Deutsche, die auf dem Schiff „Baden“Richtung Heimat flüchten. Aus den folgenden Jahren finden sich im Archiv Wunderlich Natur-, Stadt- und Familienaufnahmen im bereits hakenkreuzbeflaggten Deutschland. Bilder aus dem Jahr 1939 zeigen Rodolfo in der Uniform der Hitlerjugend.
Sobald der Bürgerkrieg beendet ist, kehrt Wunderlich ins zerbombte Spanien zurück, fotografiert in den Folgejahren weiter für Unternehmen wie Telefónica und Brown Boveri, ebenso wie für Institutionen Franco-Spaniens. Unter anderem dokumentiert er den Besuch deutscher Nazi-Funktionäre im Kloster El Escorial. Das Archivo Wunderlich ist eben nicht nur Spaniens Geschichte, sondern die des 20. Jahrhunderts.
Die Fotografien von Otto Wunderlich und weitere Archive können eingesehen werden auf: ipce.culturay deporte.gob.es (dort auf „Fototeca“und dann „Fondos“klicken).