Literatin und Feministin
Emilia Pardo Bazán: eine Frau voller Widersprüche, konservativ und ihrer Zeit doch weit voraus
Emilia Pardo Bazán (1851-1921) war ein neugieriges Kind und später eine stattliche Frau voller Widersprüche: erfolgreiche Schriftstellerin und abgelehnte Akademikerin, konservative Gräfin und Feministin, katholische Ehefrau und Geliebte, Galicierin und Madriderin, dreifache Mutter und unabhängige Verfechterin unermüdlicher Arbeitstage und langer Reisen. Ihre Kreativität machte auch vor Malerei, Musik und Theater nicht Halt.
Als Romanautorin, Lyrikerin, Essayistin, Übersetzerin, Journalistin und Verlegerin hat sie sich einen männlich dominierten Raum erschlossen. Dass es eigentlich keine männliche Dominanz geben dürfte, schrieb sie schon als Jugendliche. Ihr Leben lang setzte sie sich gegen die männliche Vorherrschaft und für die Gleichberechtigung beider Geschlechter ein: „Unser Heimatland, das sich so männlich glaubt, ist von zwei weiblichen Geistern geformt und durchdrungen, der Katholischen Königin Isabella und der Mystikerin Teresa von Ávila“. Die beiden lebten im 15. und 16. Jahrhundert.
Waffenkauf für Karlisten
Die Gräfin Emilia Pardo Bazán wurde in eine wohlhabende aristokratische Familie in A Coruña geboren. Sie erhielt eine gute Bildung, lernte Sprachen, später auch Deutsch, und begann mit neun Jahren Gedichte zu schreiben. Mit 17 heiratete sie. Ihr Vater war Abgeordneter des demokratischen Parlaments, nachdem Isabel II. ins Exil gehen musste und der dritte Karlistenkrieg begann. Die Karlisten sahen Ferdinands Bruder Carlos als Thronfolger und wehrten sich gegen die Herrschaft von dessen Nichte Isabel.
Emilia Pardo Bazán liebäugelte mit den Karlisten. Als der Thronanwärter sie bat, 30.000 Gewehre in London zu kaufen, willigte sie ohne zu zögern ein. Niemand vermutete, dass eine junge Frau mit ihrem sozialen Status Waffen schmuggelte. Später wiegelte sie ab und bezeichnete die Aktion als Jugenddummheit.
Wovon sie nicht Abstand nahm, war vom Krausismus. Der
Konservative Gräfin und Feministin: Emilia Pardo Bazán. deutsche Denker Karl Christian Friedrich Krause (1781-1832) hatte in Spanien viele Anhänger. Vor allem unter den liberalen Intellektuellen verbreitete sich seine Philosophie gegen ultrakonservatives Denken und klerikale Lehre. Francisco Giner de los Ríos gründete die moderne Schule Institución Libre de Enseñanza und war mit Pardo Bazán befreundet. Ihr gemeinsames Anliegen war eine umfassende fortschrittliche Bildung. Für Pardo Bazán war Bildung die Grundbedingung, damit die Frauen sich einen gleichberechtigten Weg ebnen konnten. Der liberale Krausismus war für die katholische Schriftstellerin ein innerer Widerspruch, aber er galt ihr als Chance, um die Rückständigkeit Spaniens gegenüber anderen europäischen Ländern zu besiegen. Ihre Reisen durch Spanien und Europa haben ihr tiefe Einblicke erlaubt. Das soziale Engagement Émile Zolas und die russische Literatur haben ihre Werke beeinflusst und dieses Gedankengut in Spanien bekannt gemacht. Bisweilen sorgten die Artikel und Romane für heftige Diskussionen.
Die Zeitgenossen waren gespalten: „Doña Verdades“(Frau Wahrheit) oder „die unvermeidliche Frau Emilia“nannten sie Kollegen abschätzig. Der konservative Literaturwissenschaftler Marcelino Menéndez Pelayo riet ihr, Gedichte und Heiligengeschichten zu schreiben, das Metier der Frauen. Clarín nannte sie eine „varonile Schriftstellerin“und meinte das allerdings als großes Lob. Zola staunte über ihren „katholischen Naturalismus“. Miguel de Unamuno und Azorín verkehrten in ihrem Madrider Salon, Pio Baroja hasste sie. Francisco Giner de los Ríos, José Lázaro Galdiano, Vicente Blasco Ibáñez und Benito Pérez Galdós waren Freunde und Geliebte. Mit Galdós, dessen 100. Todestag im vergangenen Jahr begangen wurde, war sie zwei Jahrzehnte liiert. Wenn sie nicht zusammen reisten, schrieben sie sich feurige Briefe.
Der britische Hispanist James Fitzmaurice-Kelly (1858-1923) hat sie als „die beachtlichste Schriftstellerin, die Spanien im 19. Jahrhundert hervorgebracht hat“, bezeichnet. Tatsächlich gab es eine ganze Reihe von Schriftstellerinnen, aber außer der Lyrikerin Rosalía de Castro und Emilia Pardo Bazán sind sie heute weitgehend vergessen.
Keine Frau in Sprachakademie
Anlässlich ihres 100. Todestags am 12. Mai, erhielt Pardo Bazán eine Hommage in der Königlichen Spanischen Sprachakademie (RAE) in Madrid. Eine Art Wiedergutmachung, denn 1912 wurde ihre Bitte um Aufnahme in die Akademie abgelehnt. Der Grund? Pardo Bazán war eine Frau und wollte aus eigenem Antrieb und Verdienst Mitglied werden. Hätte sie drei männliche Akademiemitglieder als Fürsprecher angeführt, hätte sie vielleicht mehr Erfolg gehabt. Angesichts der Tatsache, dass die erste Frau 1977 zugelassen wurde – Carmen Conde aus Cartagena –, bleibt es beim „vielleicht“. Der ehemalige Direktor der RAE und Herausgeber des Gesamtwerks der Autorin, Darío Vil
lanueva, bezeichnete während der Hommage die Ablehnung Pardo Bazáns als „größten Irrtum in den 300 Jahren der Akademie“. Allerdings sind auch heute nur acht von 48 Mitgliedern weiblichen Geschlechts.
Als sie das Gesuch um Aufnahme stellte, hatte sie bereits 50 Werke, Romane, Erzählungen, Essays, veröffentlicht und galt als große Erneuerin des naturalistischen Romans in Spanien. 1879 publizierte sie mit „Pascual López. Autobiografie eines Medizinstudenten“ihren ersten Roman. „Los Pazos de Ulloa“(1886), „Insolación“(1889), dessen Erotik die Zeitgenossen schockierte, und „Morriña“(1889) waren große Erfolge.
Botschaften bis heute aktuell
Ihr katholischer Glaube hinderte sie nicht, in ihren Romanen und im Leben gegen die enge Moral zu verstoßen und Sinnlichkeit und weibliches Selbstbewusstsein zu formulieren. In „La Tribuna“(1883) schrieb sie über die sozialen Verhältnisse der Zigarettendreherinnen Galiciens, in der Essaysammlung „La cuestión palpitante“(1882-1883) über die Theorien Émile Zolas. In „Memorias de un solterón“lehnt die Protagonistin Feíta den Heiratsantrag des Junggesellen ab. „Ich möchte die Freiheit genießen, nicht um mich in Liebesdingen auszutoben, sondern um mich zu entdecken, um zu sehen, wozu ich in der Lage bin, um meine Bildung weitmöglichst zu vervollständigen, um Erfahrungen zu sammeln, um eine Zeitlang und wer weiß für wie lange! jemand zu sein, eine Person, ein Mensch, der mit sich vollständig glücklich ist.“Diese Schilderung zeigt den tiefen Naturalismus, das Wissen um die menschliche Natur und den Mut der Autorin, deren Botschaften bis heute aktuell sind.
Sie nahm ihren Beruf ernst und kümmerte sich selbst engagiert um alles: suchte Verleger, Werbung und Geld. Und konnte vom Schreiben leben.
1892 auf dem Pädagogischen Kongress erklärte sie, dass sich Frauen nicht nur über ihre Rollen als Mutter und Ehefrau definieren dürften. „Ich möchte, meine Herren, dass Sie anerkennen, dass die Frauen eine eigene Bestimmung haben; dass ihre ersten natürlichen Pflichten sich selbst gelten, nicht der moralischen Einheit der Familie, die sie eines Tages bilden könnten oder nicht; dass ihr Glück und ihre persönliche Würde das wesentliche Ziel ihrer Kultur sind.“
Als erste Frau wurde sie 1905 im Madrider Gelehrtenzirkel Ateneo aufgenommen. 1916, fünf Jahre vor ihrem Tod, erhielt sie einen Lehrstuhl für Neulateinische Sprachen und Literatur an der Universidad Central in Madrid, der heutigen Complutense. Sie war die erste Frau, die an einer Universität in Spanien lehrte.
Viele ihrer Bücher schrieb sie in Galicien, im Pazo de Meirás. Das von Napoleons Truppen niedergebrannte Anwesen war seit Langem im Familienbesitz und halb zerfallen. Die Autorin ließ 1893 zwei Türme in neu-gotischer Stilmischung errichten und wählte die Torre de la Quimera als literarischen Rückzugsort. Vor den Bücherregalen stand ihr Schreibtisch. Sie nannte das Anwesen „Alborada“(so wie sie A Coruña in ihren Werken „Marineda“nannte) und beschrieb es 1905 im Roman „La Quimera“. Der junge Maler Joaquín Pérez Vaamonde malte sie und verwandelt sich in den Protagonisten in „La Quimera“, bevor er dort ganz jung verstarb.
Ein Trugbild scheint es in der Tat, dass ausgerechnet dieses Refugium dem spanischen Diktator Francisco Franco vermacht wurde. 1938 erwarben regimetreue Galicier das Gut und schenkten es „ihrem Regierungschef“. Bis vor kurzem machten die Erben des Diktators dort Urlaub. Unterhalten wurde es auf Staatskosten.
Nach der Umbettung des Diktators aus dem Tal der Gefallenen auf einen kleinen Friedhof am Stadtrand Madrids im November 2019 war der Landsitz Pazo de Meirás in Galicien der zweite Meilenstein historischer Wiedergutmachung. Im September 2020 entschied das Landgericht A Coruña, dass die Erben Francos den Sommersitz räumen müssten. Seitdem herrscht Streit über das Mobiliar und die Kunstwerke.
Und dazu gehören der Schreibtisch und die Bibliothek Emilia Pardo Bazáns. Die Franco-Erben wollen die Bibliothek, die im Pazo 3.000 Werke und in ihrem Madrider Familiensitz 800 Bücher umfasst, der RAE in Madrid überlassen. Die Regionalregierung Galiciens will sie hingegen als „Kulturerbe der Galicier“bewahren. Die Galicische Sprachakademie (RAG) würde die gesamte Bibliothek gerne in ihrem Gebäude vereinen. Ursprünglich machte sie 10.855 Bände aus. Nach einem Brand 1978 schenkte Carmen Polo 7.883 Bände der RAG und ließ 800 Werke in ihr Madrider Eigenheim bringen. Der Rest blieb im Pazo und wurde nach einem Inventar 2018 zum geschützten Kulturgut (BIC) erklärt. Diese BIC-Erklärung ist noch nicht abgeschlossen, gilt aber dennoch, heißt es.
Die Bibliothek hat die Schwiegertochter Emilias direkt dem Ehepaar Franco geschenkt, nachdem ihr Mann und ihr Sohn im Bürgerkrieg von Verteidigern der Republik ermordet wurden. „Für uns bedeutet es ein moralisches Dilemma, dieses Geschenk jetzt an dieselbe Volksfront-Regierung auszuhändigen, die diese Personen ermordet hat“, soll der Enkel des Diktators, Francisco Franco Martínez-Bordiú, der Zeitung „La Razón“gesagt haben.
Derzeit ist die Räumung des Landsitzes wieder gerichtlich ausgesetzt, bis entschieden ist, was die Franco-Erben mitnehmen dürfen und was nicht. Die Madrider Sprachakademie lässt durchblicken, dass sie auf das Geschenk der Franco-Erben wohl zugunsten Galiciens verzichten wird. Keine Rede ist mehr davon, eine zweite Gedenkstätte neben dem Geburtshaus-Museum in A Coruña im Pazo einzurichten. Zum 100. Todestag Emilia Pardo Bazáns ist in den alten Gemäuern keine Ruhe eingekehrt.
Die Staatsbibliothek in Madrid widmet Emilia Pardo Bazán vom 9. Juni bis 26. September eine große Ausstellung. Dafür hat die Biografin und Professorin für Zeitgeschichte an der Universität Valencia, Isabel Burdiel, Manuskripte, Bücher und Fotografien zusammengetragen, um das Leben und Schaffen der Autorin zu beleuchten. Ab 22. Oktober ist die Schau in A Coruña zu sehen. Burdiel schilderte Emilia Pardo Bazán als „gleichzeitig konservativ und progressistisch, auf kämpferische Weise modern“. Zu den Widersprüchen gehört, dass sie im Pazo beerdigt werden wollte und in Madrid liegt. Dass sie am 12. Mai 1921 starb, auf dem Grabstein aber 12. März steht.
Auf Deutsch liegt außer einer Reihe von Büchern über die Autorin von ihr vor: „Das Gut von Ulloa“, 1946 und Neuübersetzung im Manesse-Verlag Zürich 1993. Das Hörspiel „Der Blutstropfen“, BR 1966. „Das Geschenk der drei Könige. Spanische Weihnachtsgeschichten“, Manesse-Verlag Zürich 2008. „Der Blutstropfen“wurde 1911 veröffentlicht und erscheint in Spanien 2021 im erstmals publizierten „Los misterios de Selva“, einem Buch mit Kriminalgeschichten der Autorin.
„Ich möchte, meine Herren, dass Sie anerkennen, dass die Frauen eine eigene Bestimmung haben“