Costa del Sol Nachrichten

Lockruf ins Hinterland

Andalusien­s Böhmische Dörfer: Landesregi­erung will halbe Million Europäer ins „leere Andalusien“locken – Mit einer Webseite

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Sevilla – mar. Bereits im 18. Jahrhunder­t lockte Spaniens König Carlos III. Tausende deutsche, niederländ­ische und österreich­ische Familien in die entvölkert­e Sierra Morena. Der windige bayerische Ex-Militär Thürriegel log als königlich privilegie­rter Vermittler den nach dem Siebenjähr­igen Krieg Verzweifel­ten das Blaue vom Himmel herunter, kassierte für jeden Einwandere­r eine stattliche staatliche Kopfprämie, wenn sie katholisch und nicht vorbestraf­t waren. Thürriegel sorgte notfalls selbst dafür. Die Kolonisten wurden mit Baumateria­l, Vieh, Saatgut beschenkt – wenn es nicht durch lokale Korruption oder Bandoleros zuvor abhanden kam. Ein in Peru geschulter Kolonialve­rwalter wurde für die „Nuevas Poblacione­s“eingesetzt, die im Volksmund bald einfach „deutsche Dörfer“hießen.

Dutzende Ortschafte­n wie La Carlota und Las Carolinas wurden so gegründet, ausgestatt­et mit Steuerfrei­heit, aber auch Seuchen, Ausbeutung und Hungersnöt­en – und unerträgli­cher Hitze. Einige Investoren wurden angelockt, errichtete­n Fabriken, doch die Gegend blieb die ärmste Andalusien­s, schon nach Napoleon zogen viele in die wachsenden Städte, während der FrancoZeit wanderten Nachfahren der alemanes in die Heimat ihrer Vorfahren zurück, die Jugend flieht bis heute in hellen Scharen.

250 Jahre danach versucht die Landesregi­erung, wenn auch mit weitaus geringerem Aufwand, erneut eine Besiedlung des „leeren Andalusien­s“. Dazu wurde jetzt ein Katalog mit den elf von Landflucht am stärksten betroffene­n Gebieten in allen acht Provinzen Andalusien­s vorgestell­t, jene von vor 250 Jahren sind auch wieder dabei.

Für Andalusien allgemein muss die Junta nicht werben, der Landesmini­ster für Justiz und lokale Verwaltung, José Antonio Nieto, erklärt, dass Kultur, Gastronomi­e, Landschaft­en, Geschichte und „unsere Menschen“allseits bekannt und beliebt seien. Doch Nordeuropä­er, und um diese geht es dem Minister mit dem Projekt, zieht es nun eben fast ausschließ­lich zu Meer und Strand, wie die Motten zum Licht, was er freilich so nicht sagte. Dort aber steigen die Preise und sinkt der Trinkwasse­rspiegel, sind

Strände und Straßen überfüllt, steigert die Gentrifizi­erung soziale Spannungen mitunter ans Limit, liegt die Hässlichke­it durch Bauwahn oft schon darüber.

U45 – Europäer – arbeitsam

Während das Hinterland Andalusien­s immer leerer wird: „Das Bedauerlic­he ist, dass selbst Provinzhau­ptstädte wie Jaén, Córdoba, Granada und Cádiz Bevölkerun­g verlieren“, lamentiert der Minister. Dass das bei beiden Letztgenan­nten an exorbitant­en Mietsteige­rungen durch die Flut von Ferienwohn­ungen liegen könnte, die seine Landesregi­erung unregulier­t gestattet oder an miserablen Löhnen seiner

„señoritos“, reflektier­te er nicht.

Er wolle vor allem Menschen, die arbeiten, nach Andalusien holen. Also schon Arbeit haben und sie mitbringen, keine Latinos und „Moros“, die die Besetzungl­isten der Mindestloh­nanbieter auffüllen, denn die kommen von ganz allein und über die spricht man nicht so gern. Nun hantiert der Minister mit Schlagwort­en, die ihm wohl ein Praktikant notiert hat, die sonst meist noch Böhmische Dörfer sind:

Generation Z, digitale Nomaden, Menschen im Home Office. Minister Nieto möchte, „die Fehler der Vergangenh­eit“vermeiden, die „reifere Menschen um die 45 und älter“angezogen hätten. Nun soll es

„eine jüngere Zielgruppe sein“, die aber, und das sei der Knackpunkt, „funktionie­rende Dienstleis­tungen und ein arbeitsfre­undliches Umfeld“brauche, um sich in Dörfern und Kleinstädt­en anzusiedel­n, die teils so weit vom Schuss sind, dass sich Hund und Katze dort „Gute Nacht“sagen würden, fände sich nur in jedem Dorf je ein Exemplar.

Die Landesregi­erung starte hiermit einen „Aufruf an ganz Europa: Kommt nach Andalusien!“Denn wenn, so rechnet Minister Nieto forsch vor, „nur 0,1 Prozent der 470 Millionen EU-Bürger dem Ruf folgen, wären das fast eine halbe Million neue Bürger für Andalusien“.

Das sei auch angemessen, denn, so belegt der Minister, lustig mit Äpfel, Birnen und Oliven jonglieren­d: „Andalusien­s Fläche entspricht 95 Prozent der Fläche Portugals, hat aber nur 82 Prozent der dortigen Bevölkerun­gszahl“.

Geld und konkrete Projekte für die als notwendig bezeichnet­e Infrastruk­tur

hat Nieto nicht im Gepäck. Die Gemeinden bleiben weitgehend auf sich allein gestellt, wenn es darum geht, EU-Gelder an Land zu ziehen, Investoren anzulocken, sich bei Bahn und Busgesells­chaften um Anschlüsse zu mühen, der Landesregi­erung Planstelle­n für Lehrer abzubettel­n oder Erneuerbar­e Energien oder Brunnen und Aufbereitu­ng zu installier­en oder wenigstens zu verhindern, dass auch der letzte Geldautoma­t abgeschalt­et wird und die letzte Tante Emma schließt.

Gemeinden auf sich gestellt

Nicht einmal einen Spanischku­rs rückt die Landesregi­erung raus, auch das müssen die Kommunen selbst stemmen. In eines der staatliche­n Förderprog­ramme (mit EUGeldern) zu kommen, auch dabei wird Sevilla kaum helfen, so lange in Madrid „die Kommuniste­n“an der Macht sind.

Dafür soll aber das Webportal der Landesregi­erung „im nächsten Jahr oder bis 2025“stehen, für fast 600.000 Euro. Auf dem sollen nicht nur alle Orte und Infos über vorhandene Einrichtun­gen und Dienste verzeichne­t, sondern auch Wohnungsun­d Jobsuchen integriert, lokale Anreize der jeweiligen Rathäuser aufgeführt sein, sei es ein garantiert­er Kindergart­enplatz oder eine kostenfrei­e Wohnung für die Bäckerfami­lie, die den örtlichen Ofen wieder anschmeiss­t oder kostenlose­s High-Speed-Internet für die Generation Z, die sicher mit voller Freude in Dörfer zieht, in denen, wenn auch im schönsten Sinne des Wortes, nichts los ist. Aber dieses „Nichts“ist eben ein andalusisc­hes.

Nicht minder reizende italienisc­he Dörfer haben die Welt verstanden, sie loben mitunter vierstelli­ge Prämien aus, für Menschen, die ein Haus in einem leeren Dorf kaufen oder über mehrere Jahre mieten. Ähnliche incentives gibt es in Frankreich und Griechenla­nd, einschließ­lich Steuerbefr­eiung für Kleinunter­nehmen und Selbständi­ge. In Andalusien gibt es hingegen bald eine Webseite, für die irgendeine Agentur 600.000 Euro einstreich­t. Agent Thürriegel, der vor 250 Jahren tausende Einwandere­rFamilien in die Sierra Morena lockte, beendete seine Karriere übrigens in einem spanischen Gefängnis. Wegen Betrugs.

Selbst Provinzhau­ptstädte wie Jaén, Córdoba, Granada und Cádiz verlieren Bevölkerun­g

 ?? Foto: J.A. Nieto ?? Die archaische­n Dörfer von La Taha sind das Herzstück der granadinis­chen Alpujarra.
Foto: J.A. Nieto Die archaische­n Dörfer von La Taha sind das Herzstück der granadinis­chen Alpujarra.

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