Vom Regen in die Taufe
Sepharad – Verheißung und Fluch: Eine kleine Chronologie der Geschichte des Judentums in Spanien
Um 1.200 v.u.Z.: Erste jüdische Siedler kommen mit den Phöniziern auf die Iberische Halbinsel, ältester Beleg ist ein bei Cádiz gefundener Ring aus dem 7. Jh. v.u.Z. mit frühhebräischer Inschrift. Schon im Alten Testament und im Tanach werden jüdische Handelsverbindungen mit Tarsis erwähnt, das als keltiberisches Tartessos im heutigen Andalusien, Portugal, Extremadura identifiziert wird und mit Phöniziern kooperierte (bis ca. 500 v.u.Z.). Sepharad wird im Alten Testament die untergegangene Stadt Sfard (Sardis) in Lydien (heute Südwesttürkei) benannt, der Begriff als Verheißung dem neuen Landstrich ganz im Westen Europas gegeben und bald zum Synonym für das jüdische Spanien und die Sepharden, span. sefardíes.
Um 250 v.u.Z.: Während der Punischen Kriege und mit Einmarsch der Römer wächst die Zahl der Juden in Hispanien, viele wagen nach den römisch-jüdischen Kriegen um Jerusalem (um 70 bis 150) einen Neuanfang unter argwöhnischer Beobachtung.
Um 300 u.Z.: Nach dem Konzil von Elvira (um 330), also noch vor Erhebung des Christentums zur Staatsreligion im Römischen Reich, entstehen auf Geheiß christlicher Wortführer erste Juderías als abgetrennte Judenviertel. Der Zuzug jüdischer Hispanier in die Städte rührte in der Folge auch daher, da man ihnen Landbesitz meistens verweigerte.
Ab 500: Mit dem Zerfall des Römischen Reiches übernahmen nach Einfällen verschiedenster Stämme letztlich Westgoten die Halbinsel, die als arianische Christen (keine Dreifaltigkeit) relativ tolerant waren. Nach der (bald wieder scheiternden) Konsolidierung der vielen Gotenfürstentümer unter einer Krone und dem Übertritt zum Katholizismus wegen des byzantinischen Drucks begannen nach dem dritten Konzil von Toeldo (589) jedoch gezielte Verfolgungen, Zwangstaufen, Kindesraub. Ab 638, nach einem weiteren Konzil, wurden Sabbath und Beschneidung verboten, dann den Juden das Bleiberecht endgültig entzogen.
Ab 711: Die Eroberung Hispaniens durch Araber und Berber 711 ist für die hier lebenden Juden eine Befreiung oder Rückkehr aus dem Exil. Sie werden von den Mauren teils bewaffnet und als Verwalter eingesetzt. Ihnen wird später von den christlichen Eroberern vorgeworfen, Türöffner der Moslems und somit Verräter gewesen zu sein, ähnlich schwerwiegend wie der „Mord“an Jesus. Wie Christen, leben Juden als Dhimmi, d.h., sie müssen nicht konvertieren, dafür aber Abgaben entrichten, die für Moslems entfallen. Sie leben als Angehörige der „Buchreligionen“relativ selbstverwaltet, können ihren Glauben (nicht öffentlich) praktizieren, bleiben aber unter dem indiskutablen Primat des Islam. Gelehrte und reichere Kaufleute erhalten indes eine privilegierte Stellung.
Ab 850 bis etwa 1030: Das Goldene Zeitalter des spanischen Judentums. Im Emirat und Kalifat von Córdoba entstehen Elite-Universitäten ähnliche Übersetzerschulen, in denen das Wissen aus Orient und Okzident durch Angehörige der sogenannten „Drei Kulturen“übersetzt und so allgemein verfügbar gemacht wird. Die griechische Philosophie, im christlichen Mittelalter verpönt, findet so den Weg als eine Quelle der Renaissance nach Italien. Religionsgelehrte, Philosophen, Reisende, Naturwissenschaftler und Dichter der Sepharden tragen zum Wissenskanon bei, einige definieren sogar jüdische Glaubensregeln mit und sind bis heute im Judentum hoch angesehen und auf den Lehrplänen der Schulen und Unis in Israel präsent.
11.-13. Jh.: Nach Zerfall des Kalifats in etliche Taifas liegt das Schicksal der Sepharden in Händen des jeweiligen lokalen Emirs. Bei manchen steigen Juden zu Ministern und Verwaltern auf, in anderen Taifas werden sie lediglich geduldet. Als dann die radikal-islamischen Berberstämme der Almoraviden und später Almohaden die Schwächen dieses Flickenteppichs ausnutzten, um ihn an sich zu reißen, fliehen viele Juden vor vernichtendem Terror in den Maghreb oder nach Kastilien.
14. Jh.: U.a. in Toledo, Segovia und Sevilla beginnt eine zweite, wenn auch kurze Blütezeit des intellektuellen Lebens und der Koexistenz. Mit dem Erstarken der Katholischen Kirche im Zuge der „Reconquista“änderte sich das. Lässt König Pedro I. von Kastilien Mitte des 14. Jahrhunderts noch Grundstücke enteignen, damit Sevillaner Juden Synagogen errichten können, gehen von Sevilla 1391 bereits kirchlich und politisch organisierte Pogrome aus, die bald auch in andere Städte getragen werden. Das Emirat Granada unter den Nasriden wird zum, diesmal letzten, Refugium vieler jüdischer Spanier, andere harren aus.
1492:, die Katholischen Könige
unterzeichnen das „Edikt von Granada“, ein Rassengesetz „vom reinen Blut“. Die Folge ist die systematische Ausweisung und Enteignung der jüdischen und muslimischen Spanier, in Andalusien und Extremadura beginnt diese bereits
1483, 1496 auch in Portugal. Zu diesem Zeitpunkt sprechen mehr Juden auf der Welt Spanisch (bzw. Ladino, Judenspanisch) und Arabisch als Hebräisch, die Gelehrten zusätzlich Latein. Viele ziehen ins erstarkende Osmanische Reich, die Eliten werden vom Sultan sogar per Schiff abgeholt. Etliche gelangen auf den Balkan, Griechenland oder nach Nordafrika und Lateinamerika. Historiker gehen von 130.000 bis 300.000 Juden in Spanien damals aus, drei bis fünf Prozent der Gesamtbevölkerung.
Ab ca. 1500: Im „Goldenen Zeitalter“des nunmehrigen Weltreichs Spanien setzt die Verfolgung der (Zwangs-)Konvertiten durch die Inquisition ein. In übergangsweisen
Nischen können Gelehrte jüdischer Abstammung noch existieren, sind aber permanent Zensur und Willkür der Inquisition oder Selbstverleugnung ausgesetzt. Die Kirche sorgt auch dafür, den Antisemitismus im Volk zu popularisieren, zur Kontrolle
Zum Zeitpunkt der Vertreibung sprachen weltweit mehr Juden Spanisch und Arabisch als Hebräisch
und als abschreckendes Feindbild. Die Juden seien schuld an Dürren, Epidemien und Plagen, vergifteten Brunnen und hielten Blutrituale mit christlichen Jungfrauen ab. Bruderschaften (Osterprozessionen) dienen als Manifestation gegen alles Nichtkatholische, aber auch als territoriale und ökonomische Ab- und Ausgrenzung.
Das jüdische Leben wird getilgt, Synagogen zu Kirchen oder Profanbauten umgebaut, Friedhöfe werden geschleift, die Juderías Teil der mittelalterlichen Altstädte, selbst sephardische Rezepte werden verteufelt. Durch Heirat, Namenswechsel, Fälschung von Dokumenten und totale Assimilierung „überlebten“wahrscheinlich tausende Menschen mit sephardischen Vorfahren, darunter der Legende nach sogar einige Kardinäle und Adelige.
Ab 1715: Je nach Aufgeklärtheit schwankt in der Neuzeit die Stimmung zwischen Gleichgültigkeit, „gewöhnlichem“Antisemitismus oder Gleichstellung als Bürger.
Mit dem Begriff „filosefardíes“wird versucht, das intellektuelle Erbe als „gutes Judentum“spanischer Prägung zu würdigen.
Durch kommerziellen Austausch und Öffnung im Zuge der Industrialisierung im 19. und 20. Jh. entstanden durch Zuzug wieder jüdische Gemeinden in Madrid und Barcelona, auf den Kanaren, in Marbella und Torremolinos.
1939-1978: Die faschistische Falange-Partei begrüßt die deutsche Judenverfolgung als Fortsetzung des Edikts von Granada, die Deutschen würden „ein Problem lösen, das wir Spanier schon vor Jahrhunderten gelöst“haben. Franco lässt Synagogen schließen und Gemeindearbeit verbieten. Während der Judenverfolgung Deutschlands repatriiert Franco sephardische Juden als „Spanier“und rettet sie damit vor dem Holocaust, als Versicherung gegenüber den Alliierten. Gleichzeitig lässt er deutsche und osteuropäische Juden deportieren, führt sie so in die Vernichtung. Die División Azul ist in der Sowjetunion aktiv an Massakern auch an der jüdischen Bevölkerung beteiligt. Ab Ende der 1960er Jahre setzen in Spanien Lockerungen bei der Religionsausübung ein, mit dem Kalkül, die internationale Isolation der Diktatur zu mildern.
Ab 1979: Mit der Transición zur Demokratie ab 1978 und der neuen Verfassung endet die staatliche Diskriminierung. In der Populärkultur halten sich indes antisemitische „Traditionen“bis in unsere Tage, darunter die symbolische Verbrennung von „Judas“-Puppen um die Semana Santa herum. 2014 startet Spanien einen Wiedergutmachungsversuch durch die erleichterte Staatsbürgerschaft für Nachfahren der Sepharden, aber nicht der vertriebenen Mauren. Es gehen bis 2020 über 140.000 Anträge ein, vor allem aus Lateinamerika, dem Maghreb, der Türkei und Osteuropa. Die Zahl der gläubigen Juden wird von den Gemeinden mit rund 40.000 angegeben.
Heute: In Spanien werden Synagogen in Stand gesetzt, die alten Juderías, aber auch geistiges und gastronomisches Erbe sind Teil eines aktiven Kulturtourismus, wenn auch als Nischenangebot. Im ultrarechten politischen Spektrum werden antisemitische Klischees bedient, im Klerus gibt es „Ausrutscher“, die sich kaum von jenen in anderen Ländern Europas unterscheiden. Das jüdische Erbe ist vielen Spaniern indes nur ein fernes und exotisches geblieben.