Madame Picasso
Manche setzten sich durch, andere zerbrachen – Ein Buch von Rose-Maria Gropp widmet sich den Frauen um den Künstler
Kurze Ankündigung: Am 8. April 2023 wird weltweit Picassos 50. Todestag begangen. Wir stellen nicht ihn, sondern seine Frauen in den Mittelpunkt. Anlass ist das im Piper Verlag erschienene Buch von Rose-Maria Gropp: „Göttinnen und Fußabstreifer. Die Frauen und Picasso“.
Der am 25. Oktober 1881 in Málaga geborene Pablo Picasso hat die moderne Kunst wie kein anderer geprägt. Darüber herrscht kein Zweifel. Eine andere Frage ist die nach seiner Persönlichkeit und seinem Verhältnis zu den Frauen. Schon durch frühe Lebensberichte der Partnerinnen und spätestens seit den Diskussionen um die Ausrichtung von Ausstellungen zu seinem 50. Todestag am 8. April und den feministischen Absagen an den Macho fällt oft ein Schatten auf sein Werk. Das komplizierte Verhältnis zwischen elf Frauen und Picasso untersucht die langjährige Feuilleton-Redakteurin der „Frankfurter Allgemeine“RoseMaria
Gropp in ihrem Buch „Göttinnen und Fußabstreifer“.
Sie erforscht die Biografien, Erwartungen und Enttäuschungen der Frauen im „System Picasso“. Es handelt sich um den „Versuch, den
Auswirkungen nachzugehen, die Picassos Ambitionen, Leidenschaften und Ängste auf die Frauen in seiner Nähe, auf unterschiedliche Weise, hatten“.
Sie hat ein lesenswertes Buch geschrieben, das Schwarzweiß-Malerei und Skandalberichte scheut, das stattdessen die Möglichkeiten der Lebensgefährtinnen in den Mittelpunkt stellt. Manche haben sie genutzt, andere sind zerbrochen. Nicht alle sind dem „Blaubart-Komplex“zum Opfer gefallen oder „Privatmärtyrerinnen“geworden, um zwei gängige Klischees der Biografen zu nennen.
Geflecht von Frauen
Was auch deutlich wird, ist Picassos manisch inszenierter Geniekult, der die Frauen brauchte, um zu glühen, und der ihm die schier überbordende Produktivität bis zu seinem Tod 1973 ermöglichte. Ein
Geflecht von Frauen, die ihn inspirierten, die sich ablösten oder überschnitten und die durch ihre Porträts seine verschiedenen Schaffensperioden zumindest beeinflussten. Dazu gehört auch die amerikanische Schriftstellerin Gertrude Stein, die als eine der ersten Sammlerinnen an ihn glaubte, sich wiederum von seinem Genie inspirieren ließ und so Teil des Systems Picasso wurde, wenn auch als Frau von ihm nicht begehrt.
Anders Fernande Olivier (1881-1966). „Die schöne Fernande“wuchs als uneheliches Kind bei Verwandten in kleinbürgerlichem Milieu auf, wurde mit dem Mann, der sie missbraucht hatte, verheiratet, bekam einen Sohn, floh nach Paris und lebte als Modell in Montmartre. 1905 zog sie zum jungen Picasso und begleitete die Entstehung des Kubismus. Als „archaische Göttin“wob er sie auf
einer Reise in die Pyrenäen in die katalanische Landschaft ein, drei Jahre später in Horta de Sant Joan begann er ihre bildliche und emotionelle Demontage. 1912 war sie als Inspirationsquelle erloschen. Er trennte sich und sie sahen sich nie wieder. Eine Affäre ihrerseits mit einem italienischen Maler könnte den Bruch beschleunigt haben.
Fernande war eine gute Beobachterin und schrieb amüsant, aber sie galt auch als antriebslos, was mit ihrer traurigen Jugend zusammenhängen könnte. 1927 wollte sie ihre Memoiren „Picasso und seine Freunde“veröffentlichen, er zögerte das Erscheinen durch gerichtliche Klagen bis 1933 heraus. Als sie in den 50er Jahren dringend Geld brauchte, schrieb sie die „Souvenirs intimes“. Picasso bot ihr diesmal eine hohe Summe und sie unterließ die Publikation. Fernande dankte ihm innig und äußerte sich glücklich über die Jahre mit ihm. Sie „hielt verzweifelt an der Idee von Picassos Liebe fest“. 1966 starb sie. Das Buch wurde nach dem Tod beider herausgegeben.
Die perfekte Hausfrau
Ihr folgte die zierliche Eva Gouel (1885-1915). Sie hatte ein abenteuerliches Vorleben und eine zerbrechliche Gesundheit. Als sie 1912 mit Picasso zusammenzog, bemühte sie sich, eine perfekte Haus- und Ehefrau zu sein. Sie wollte dem inzwischen immer erfolgreicher werdenden Maler helfen, sich zu etablieren, war aber schwer krank. Eva erscheint offenbar auf keinem einzigen seiner Bilder als naturalistisches Porträt, Picasso schrieb seine Liebe zu ihr in seine Werke, verschlüsselt als Musikinstrumente und „Ma jolie“. Nach zwei Operationen und langer Zeit in Pflegeheimen starb sie am 14. Dezember 1915. Der Künstler war sehr traurig, hatte sich aber schon Monate zuvor mit Gaby eingelassen.
Gabrielle Depeyre (1888-1970) könnte Picasso nicht erst im Januar oder Februar 1915 kennengelernt haben, sondern noch früher, wie Gropp dank Zeichnungen von 1914 vermutet. Ihre Affäre bis ins Frühjahr 1916 hielten beide geheim. Gaby war eigentlich mit dem Künstler Herbert Lespinasse liiert. Sie lehnte einen Heiratsantrag Picassos ab. Erst im November 1987 wurde das „Gaby-Material“auf einer Ausstellung in Basel eine Sensation, da es unverhohlen Picassos Verliebtheit offenbarte. Gaby entschied sich nach der „Episode“mit dem spanischen Maler für Lespinasse, „sie ließ sich nicht vereinnahmen von der schmeichelhaften Werbung“Picassos, bewahrte aber lebenslang Diskretion.
Die Ehe und den begehrten Zugang
zur Bourgeoisie fand der inzwischen 35-jährige Picasso dann bei der russischen Ballerina Olga Khokhlova (1891-1955). Sie tanzte in Djagilevs „Ballets Russes“. Picasso entwarf Kostüm- und Bühnenbild für Jean Cocteaus „Parade“in Rom, als die Russische Revolution ausbrach. Die Uraufführung in Paris im Mai 1917 geriet zum Skandal. Djagilevs Truppe
zog nach Madrid und Barcelona, wo Picasso Olga seiner Mutter vorstellte. Dort entstand das Bild „Olga Khokhlova mit Mantille“, sie in der spanischen Tracht mit
zusammengepressten Lippen.
Der Kontakt zu ihrer Familie in Russland beschränkte sich auf Care-Pakete, übrigens auch mit Zeichnungen Picassos, die dort bereits sehr begehrt waren. Olga musste nach einer Fußoperation ihre Karriere als Tänzerin beenden. Am 12. Juli 1918 heirateten die beiden, obwohl sie schon ahnte, dass ihre intensive Liebe nicht erwidert wurde. Ihre melancholischen Stimmungen nahmen zu. Er wendete sich vom Kubismus hin zur neoklassizistischen Etappe, in die Olga passte. Wie ein Dandy genoss er an ihrer Seite den Zugang zur glamourösen Gesellschaft der französischen Oberschicht.
1921 hat sie den Sohn Paulo geboren. Picassos „Maternités“zeugen mehr von der Liebe zum Kind als zu Olga. Seine Hinwendung zum Surrealismus brachte schließlich „schreckliche beißende Köpfe mit dornigen Zähnen (…), böse weibliche Ideogramme“hervor. Beide litten aneinander ganz offensichtlich und Picasso schaute sich anderweitig um.
1927 lernte er Marie-Thérèse Walter kennen. Sie brachte 1935 die gemeinsame Tochter Maya zur Welt. Die Trennung von Olga war kurz zuvor erfolgt. Zur Scheidung kam es nie. Er zahlte bis zu Olgas Tod 1955 Unterhalt, sie verfolgte ihn mit ihrer Eifersucht und seelischen Verstörung. Sie hatte ihre Familie und das Ballett und nun
auch Picasso und das Sorgerecht für den Sohn verloren. Erinnerungen schrieb sie nicht, so müssen ihre Erwartungen und Gefühle auch für Gropp ein Rätsel bleiben. Olga saß Modell für hochästhetische Bilder, die der Kunstmarkt liebt, und wurde zum gepeinigten Zerrbild, unter dem sie ihr Leben lang litt.
Marie-Thérèse Walter (19091977) hingegen war jung, blond und athletisch, das Gegenteil Olgas. Offensichtlich waren die acht Jahre der geheimen Liaison bis zur Geburt Mayas sexuell erfüllt und glücklich. Doch noch 1935 lernte Picasso Dora Maar kennen und besuchte Marie-Thérèse und Maya seltener. Er ließ aber den Kontakt bis 1958 nicht abreißen. Finanziell und emotional war Marie-Thérèse, der Gropp ebenfalls eine turbulente Kindheit nachweist, völlig abhängig von ihm. Eine Chance, sich gegen die überlegene Dora Maar durchzusetzen, hatte sie nicht. Offensichtlich kam es 1937 zu einer Auseinandersetzung der beiden Frauen, ausgerechnet im Atelier, wo Picasso „Guernica“malte. Beide sind auf dem Wandbild identifizierbar.
„Mein ganzes Leben bestand wegen ihm aus Glück, dann aus Weinen“
Treffen in den Ferien
Der Kontakt blieb bestehen. Die späteren Frauen und die Kinder trafen sich in den Ferien. Erst Jacqueline Roque unterband diesen Brauch und vielleicht auch die
Geldzahlungen. Marie-Thérèse Walter erhängte sich vier Jahre nach Picassos Tod in der Garage ihres Hauses. Nach einer angeblich mündlich überlieferten Auskunft Mayas hätte sie ein „unwiderstehlicher Drang, Picasso zu folgen“bewegt. Tatsächlich gab auch sie in Interviews immer wieder an, er wäre die große Liebe ihres Lebens gewesen. „Mein ganzes Leben bestand wegen ihm aus Glück, dann aus Weinen“.
Mit Dora Maar (1907-1997) trat 1935 eine starke Künstlerin an seine Seite. Sie hatte studiert, machte sich als Reportage-Fotografin einen Namen und dokumentierte auch die Entstehung von „Guernica“. Die Fotos sind heute im Museum Reina Sofía in Madrid zu sehen. Maar und Picasso experimentierten und schufen Gemeinschaftsarbeiten. Dennoch gelang es ihm, ihre Karriere zu bremsen. Aber sie war nie finanziell von ihm abhängig, sondern immer kreativ tätig. Seit den 1940er Jahren malte sie. 1945 erlitt sie im Zuge des Zerfalls ihrer Beziehung schwere Nervenattacken. Ausgerechnet Picassos Hausarzt, der Psychoanalytiker Jacques Lacan, half.
Die „weinende Frau“
Als sie 1997 starb, war sie schwerreich. Ihr Nachlass wurde in Paris versteigert und bestückt seitdem französische Museen mit PicassoWerken, von denen sie sich nie getrennt hatte. In vielen Bildern trat sie, wie auch Olga und Marie-Thérèse, als „weinende Frau“auf, was zum Teil dem Grauen des Spanischen Bürgerkriegs geschuldet war. Bei Maar wechselten sich reizvolle Porträts mit denen der zerstörten weinenden Frau ab.
Dabei war eigentlich Picassos Situation zum Heulen: mit „Auseinandersetzungen um die Trennung von seiner Frau Olga, den Ansprüchen Marie-Thérèse Walters, der Mutter seiner Tochter Maya, und der komplizierten Beziehung zu Dora Maar… Was dem Künstler bleibt, ist, die Weinende Frau in Szene zu setzen als ‚Werkzeug des Leidens‘, das doch sein eigenes innerstes Leiden ist“, schreibt Gropp.
Als wäre es nicht genug, tritt eine vierte Frau auf: Françoise Gilot (geboren 1921). Sie war 21, gebildet und intelligent. Schon mit fünf Jahren wusste sie, dass sie Malerin werden würde. Sie lebte ab Mai 1946 mit Picasso zusammen. 1947 wurde ihr Sohn Claude, 1948 die Tochter Paloma geboren. Als sie im September 1953 mit den Kindern nach Paris zog und Picasso also verließ, tobte der. Nach 1955 sah sie ihn nie wieder. Sie heiratete zwei Mal, hatte noch eine Tochter und erarbeitete sich eine eigene Existenz als Künstlerin. Jahrzehntelang schuf sie ihren Bilderkosmos,
der auf dem Kunstmarkt – im Gegensatz zu den Gemälden Dora Maars – sehr erfolgreich ist.
Ihre Memoiren „Leben mit Picasso“erschienen 1965 in Frankreich. Picasso rief sie ein letztes Mal an und gratulierte ihr. Trotz all seiner juristischen Bemühungen, um die Veröffentlichung zu unterbinden, habe sie gesiegt, sagte er ihr.
Diese Geste veranschaulicht deutlich Picassos Auffassung von Geschlechterbeziehungen als Machtkampf. „Keine Frau verlässt einen Mann wie mich“, soll er 1953 gerufen haben. Françoise
schon. „Sie ließ sein gigantisches Ego zerschellen.“Für Gropp ist es die soziale Herkunft aus begüterter bourgeoiser Familie und ihre Intelligenz, die ihr die Freiheit erlauben. Françoise überlieferte den Ausspruch Picassos, der dem Buch den Titel gibt: „Es gibt nur zwei Kategorien von Frauen – Göttinnen und Fußabstreifer“, wobei er in seinem Machtspiel gerne die eine gegen die andere ausspielte.
Ein Zwischenspiel widmet die Autorin der Lyrikerin Geneviève Laporte (1926-2012). Sie hatte im Sommer 1951 in Saint-Tropez eine kurze Affäre mit dem Maler und taucht auf vielen seiner Bilder auf. Das tut auch die 1934 in London geborene Sylvia David. Das schüchterne Mädchen mit dem Pferdeschwanz inspirierte Picasso im Frühjahr 1954 zu einer ganzen Serie von Arbeiten und gelangte dadurch zu gewisser Berühmtheit.
Als Sylvette David/Lydia Corbett wurde sie Ende der 1980er Jahre selbst zu einer nicht unbegabten Malerin.
Den Rücken freigehalten
Im Herbst 1954 verband sich der alternde Picasso schließlich mit der 27-jährigen Jacqueline Roque (1927-1986). Sie hatte eine gescheiterte Ehe hinter sich und brachte eine Tochter mit. Mangelndem Selbstvertrauen und Demütigungen zum Trotz baute sie ihre Dominanz konsequent aus, besonders, nachdem sie und Picasso 1961 geheiratet hatten. Um dem alten Mann den Rücken für seine Arbeit freizuhalten, schirmte sie ihn besitzergreifend von seinen verflossenen Beziehungen und später auch von seinen Kindern ab. Als sie bei Picassos Beerdigung am 12. April 1973 auch seinem Enkel Pablito den Zutritt verbot, brachte sich dieser um.
Ihr selbst fehlte ab dann der Mittelpunkt des Lebens. Die Jahre nach Picassos Tod verbrachte sie mit Erbschaftsstreitigkeiten, Nachlassverwaltung, Alkohol und Schlaftabletten, am 15. Oktober 1986 schoss sie sich eine Kugel in die Schläfe.
Mehr als 400 Porträts von Jacqueline entstanden in den zwei Jahrzehnten ihres Zusammenlebens. Keine Überblendungen mit anderen Geliebten, keine Zerrbilder. 2021 erschien der Fotoband „Picasso intime“mit 250 Abzügen aus dem Besitz von Jacquelines Tochter, Catherine Hutin. Die Zeugnisse des privaten Lebens hatte Jacqueline selbst aufgenommen. Die Fotos verraten ein humorvolles familiäres Leben und ein Talent ihrerseits, auf das die Witwe später offensichtlich nicht vertraute, um sich beruflich auf eigene Füße zu stellen.
Elf eigene Geschichten
„Ich glaube nicht, dass irgendeine Frau mit meinem Sohn glücklich werden könnte“
Aufschlussreich sind die Worte, mit denen Picassos Mutter früh schon Olga von der Hochzeit abgeraten haben soll, die sich aber auf fast alle Beziehungen anwenden lassen: „Ich glaube nicht, dass irgendeine Frau mit meinem Sohn glücklich werden könnte. Er ist nur für sich da, nicht für andere“.
„Elf Frauen, elf so verschiedene Viten, bestimmt von ganz verschiedenen Einflüssen wie Herkunft und Charakter, eigener Kreativität und Widerständigkeit hat mein Interesse gegolten. Es war mein Ziel, ihnen allen ihre eigene Geschichte, soweit das möglich ist, zu geben – jenseits des ,Systems Picasso‘“, lautet das Fazit RoseMaria Gropps. Was sie zusammengetragen und in ihrer eleganten Sprache aufbereitet hat, bietet nicht nur einer kunsthistorisch interessierten Gemeinde Material genug, sondern uns allen, 288 spannend zu lesende Seiten.