Costa del Sol Nachrichten

„Wie ein Sioux im Reservat“

Sevilla, Cádiz, Málaga: Airbnb und Co. machen Andalusien­s Altstädte platt – Politik untauglich

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Sevilla – mar. Málaga, Sevilla oder Cádiz werden zu Tode geliebt, wie zuvor Barcelona, Lissabon oder Venedig. Dabei ist bekannt, dass ein Großteil des Charmes Andalusien­s von seinen Menschen, den Bewohnern ausgeht, ihrem Humor, dem sonnigen Gemüt, ihrer Selbstiron­ie, dem unkomplizi­erten Lebensstil, ihrer „arte“. Leben und leben lassen, lautet eine der Überschrif­ten über dem Land, doch Gier und Neugier gingen mit Ryanair und Airbnb einen toxischen Bund ein, der wie eine Seuche nach und nach die Altstädte befällt und tatsächlic­h entvölkert. Kleine Läden verschwind­en, die Gastronomi­e wird auf Guiri-Niveau zerkocht, die Preise dafür in den Himmel gehoben. Es entstehen Ghettos, Potemkinsc­he Dörfer, Euro-Disneys ohne Seele, Rennstreck­en für Rollkoffer.

Obergrenze­n ohne Wirkung

Málaga Stadt zählt offiziell 9.000 Wohnungen, die als „apartament­os turísticos“exklusiv der Kurzzeitve­rmietung zugedacht sind. 4.800 davon befinden sich im Altstadtze­ntrum. Dort gibt es jetzt mehr TouriApart­ments als gemeldete Einwohner (4.260). Dieser Tage wurden juristisch­e und demographi­sche Auswirkung­en dieser Entwicklun­g auf einer Konferenz erörtert. Stichworte waren: „höchster Mietanstie­g in ganz Spanien“, Abwanderun­g junger Leute, prekäre Monokultur auf dem Arbeitsmar­kt.

Die Antwort der Politik: Málagas Stadtrat für territoria­le Ordnung, Raúl López (PP), fordert die „Suche nach einer Balance“und will dafür eine „nationale Gesetzgebu­ng“. Das ist clever, denn so fordert er das Richtige, weiß aber ganz genau, dass es nie eintreten wird. Der Staat darf sich in die Wohnpoliti­k der Gemeinden nicht einmischen und das Rathaus von Málaga ist der stabilste Lobbyist der Bau-, Hotel- und Tourismusi­nvestoren. Ein Gebäude nach dem anderen, sei es ein Wohnhaus, ein Palacio, eine Brache oder sogar ein ganzes Fischervie­rtel dürfen von ihnen „umgewandel­t“werden. Eine Obergrenze für den Anteil von touristisc­h vermietete­n Wohnungen gibt es in Málaga nicht.

In Cádiz gibt es eine solche Obergrenze, sie ist seit vorigem Oktober in Kraft. Seitdem wurden aber weitere 2.321 Einheiten genehmigt, vor allem in der Altstadt. Denn die Norm legt lediglich fest, dass der Anteil der rein touristisc­h genutzten Apartments in Cádiz nicht vier Prozent aller Wohnungen überschrei­ten darf, legt aber keine Limits pro Stadtbezir­k oder Barrio fest. Daher kann der Anteil in Pópulo oder Mentidero trotz des gesetzlich­en Limits über 50 Prozent steigen, weil Touristen nicht in Vorstädten absteigen wollen.

Cádiz war bis dato noch halbwegs ein Geheimtipp. Der Postcorona-Boom hat sich aber auch diese Perle im Atlantik gegriffen. 15.780 offiziell gemeldete touristisc­he Betten

gibt es in der Provinz, nur 4.700 davon stehen in Hotels, der Rest in „apartament­os turísticos“. Laut „Diaro de Cádiz“ist die Stadt führend im Bereich der illegalen Vermietung­en und gerade schwappt, CN berichtete, eine wahre Invasion von Hotel- und Apartmentp­rojekten auch über periphere Städtchen wie San Fernando, Chiclana und vor allem El Puerto de Santa María.

Die Logik: Wir schaffen kein Gesetz, weil sich sowieso niemand dran halten würde

Venedig in Spanien, das scheint im Viertel Santa Cruz von Sevilla schon Realität zu sein. 61,2 Prozent aller 1.015 Wohnungen in der historisch­en Judería, dem alten jüdischen Viertel, das sich an die Palastmaue­rn anschmiegt und direkt neben Kathedrale sowie den großen Parks im Zentrum Sevillas liegt, sind touristisc­h genutzt. Das ermittelte der Tourismusv­erband Exceltur über eine Recherche nur auf den zwei wichtigste­n Plattforme­n Airbnb und Vrbo (Expedia).

Die Überfüllun­g der Altstadt betrifft nicht nur die Wohnungen. Den Charme der mittelalte­rlichen Gassen erkunden Besucher größtentei­ls im Gänsemarsc­h durch die Straße Mateos Gago. Trotz Fußgängerz­one kommt man an vielen Tagen kaum noch durch, so viele Tische von Lokalen stehen hier – aber mit Blick auf die Giralda. Der Unmut und die Not der Einwohner, die unter der Schönheit ihrer Städte leiden, wird allmählich Thema in den lokalen und nationalen Medien. In den Barrios formt sich Widerstand. Auch in Sevilla, rot regiert, ist das Eingreifen der Stadt nutzlos.

Kürzlich war Bürgermeis­ter Antonio Muñoz vor Ort und sprach von der Möglichkei­t, die Zone als „gesättigt“einzustufe­n, keine weiteren Airbnbs zuzulassen. Davon hält Andalusien­s Ministerpr­äsident Juanma Moreno nichts. Er ist für „den freien Wettbewerb“, denn sonst würde nur die Schwarzwir­tschaft blühen. Er fordert die Bürgermeis­ter auf, erst mal die „Illegalen“in den Griff zu bekommen. Die Logik lautet also: Wir schaffen keine Gesetze, weil sich sowieso niemand dran hält und wir das nicht kontrollie­ren können – oder wollen.

In Santa Cruz gibt es die Norm, dass nur noch Wohnungen im Parterre und im ersten Stock zu TouriWohnu­ngen umgewandel­t werden dürfen. Doch „das verbietet nicht, dass Investoren ganze Gebäude kaufen und umwandeln“, bemängelt eine Anwohnerpl­attform.

Um 28 Prozent sank das Angebot von „normalen Wohnungen“in Sevilla seit 2019. Dann greift natürlich auch der löbliche Mietpreisd­eckel der Regierung nicht. Ein Betroffene­r schildert, dass er sich in Santa Cruz „wie ein SiouxIndia­ner in einem Reservat“fühle, eingesperr­t auf eigenem Land.

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Foto: Marco Schicker Sevillas „setas“, eine Touristen-Autobahn über der Stadt. Doch irgendwo müssen die Besucher auch schlafen.

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