Wo die Toten keine Ruhe geben
Nach Franco holt die Regierung den Faschisten-Führer Primo de Rivera aus dem Tal der Gefallenen
Madrid – sk. Wiedermal erklang die Falange-Hymne „Cara al sol“. Als „Grabschänder“beschimpften einige der 200 Anhänger der faschistischen Partei die Regierung bei der Umbettung des Leichnams des Falange-Gründers José Antonio Primo de Rivera am vergangenen Montag. Die Polizei nahm bei einem Gerangel drei Rechtsradikale fest.
José Antonio Primo de Rivera gilt in Spanien als Opfer des Bürgerkriegs. Der Gründer der Falange wurde 1936 von Republikanern des Staatsstreichs beschuldigt und in Alicante standrechtlich erschossen. Daher ruhten die Überreste des Gründers der faschistischen Partei in der Bürgerkriegsdenkstätte, dem früheren Tal der Gefallenen (Valle de los Caídos), bisher zwar an dem Ort, den das Gesetz der demokratischen Erinnerung für Kriegsopfer vorsieht, aber dennoch nicht an der richtigen Stelle.
Die Gedenkstätte für den „spanischen Duce“so prominent direkt beim Altar in der Basilika neben dem früheren Grab des Diktators Francisco Franco, dessen Gebeine im Oktober 2019 unter enormem Medieninteresse umgebettet wurden, trat das schwierige Bemühen um eine demokratische Aufarbeitung des dunklen Kapitels jüngerer Geschichte mit Füßen. Am Montag verließen die Überreste des
Sohns von Diktator Miguel Primo de Rivera, der Spanien nach einem Staatsstreich von 1923 bis 1930 regierte, das Mausoleum mit dem Ziel San Isidro in Madrid, dem wohl bedeutendsten Friedhof der Hauptstadt, wo bereits Angehörige der Familie Primo de Rivera liegen – für den Falange-Gründer übrigens der vierte Versuch der letzten Ruhe, mit Zwischenstationen in Alicante, in der Palast- und Klosteranlage El Escorial und im Valle de los Caídos.
Anders als bei den FrancoNachkommen fand die Umbettung angeblich auf den ausdrücklichen Wunsch der Familie und mit der Bitte um Diskretion statt. Letzteres klappte nur mit Abstrichen, was einen Monat vor den Landtags- und Kommunalwahlen in Spanien niemand wundern dürfte. „Es ist ein weiterer Schritt, um das Verständnis für dieses Tal neu zu definieren. Dort sollen keine Personen oder Ideologien mehr geehrt oder hochgelobt werden, die im Zusammenhang mit der Diktatur stehen“, sagte der Minister Félix Bolaños (PSOE).
Seit 2007 bemüht sich die Linke um eine Aufarbeitung des Bürgerkriegs und der Diktatur, die vom Geschichtsverständnis der Übergangszeit, der sogenannten Transición, entscheidend abweicht. Ende der 1970er Jahre führte Spanien
die Diktatur auf relativ friedlichem Wege in die Demokratie über, in der das Land ein neues Kapitel aufschlug und über das alte einen Mantel des Schweigens hängte. Man begann erst unter dem Kabinett von José Luis Rodríguez Zapatero (PSOE), faschistische Denkmäler und Straßenschilder in Spanien abzubauen. Als einer der Grundpfeiler dieser neuen Erinnerungskultur galt, die Verehrung und das öffentliche Gedenken an Faschisten zu unterbinden. Derweil appellieren die Konservativen bis heute an den „Geist der Transición“und wollen die Toten am liebsten ruhen lassen. Das taten sie aber nie.
Nicht nur, weil die Ewiggestrigen José Antonio Primo de Rivera wie einen Märtyrer verehren und faschistische Kreisen nicht nur an seinem Todestag am 20. November einen geradezu mystischen Nimbus um ihn nähren, sondern auch, weil in Spanien bis heute zahlreiche Bürgerkriegsopfer in Massengräbern verscharrt sind und ihre Nachkommen sich ein würdiges Begräbnis für sie wünschen.
Der zweite Grundpfeiler beruht auf den Exhumierungen. Vor Primo
de Rivera ließ die Regierung bereits die Überreste des Generals Queipo de Llano aus der Basílica de la Macarena in Sevilla schaffen. All das feiert Ministerpräsident Pedro Sánchez als politische Erfolge und vergisst dabei ein wenig, dass bisher vornehmlich führende Faschisten umgebettet wurden. Im früheren Tal der Gefallenen liegen aber fast 34.000 Tote, nur knapp 22.000 Gebeine gelten als identifiziert. 118 Nachkommen drängen auf eine würdige Bestattung für ihre Angehörigen. Wieso schenkt Madrid ihnen kein Gehör, Familien prominenter Faschisten wohl?
Das offiziell als Valle de Cuelgamuros benannte Mausoleum errichteten einst 20.000 Zwangsarbeiter in der Franco-Diktatur, und dort ruhen auch republikanische Soldaten und Zivilisten, die bis 1983 mit Einverständnis der Kirche, aber ohne das ihrer Angehörigen im Monument der Franco-Diktatur verscharrt wurden. Heute untersteht das Tal bei Madrid dem Denkmalschutz und ist neben dem El Escorial eine beliebte Touristenattraktion der Region. Die Regierung will dort einen Ort der Versöhnung und ein Mahnmal schaffen. Als nächster Schritt dürfte die Ausweisung des Benediktinerordens erfolgen, für die es aufgrund ihrer Sympathien für den Franquismus in dieser Erinnerungskultur keinen Platz mehr geben soll.
Historische Aufarbeitung der Diktatur widerspricht „Geist der Transición“