Das Rätsel Tartessos
Sensationsfund zweier Frauenköpfe aus Tartessos: Keltiberische Hochkultur zwischen Phöniziern und Atlantis-Mythos
Die Iberer sind der Spanier großer Stolz und auch ihr großes Rätsel. Tartessos wiederum ist das größte Rätsel der Iberer. Bis heute schwankt das Wissen über das Reich im Südwesten der Halbinsel zwischen wilden Legenden, Chimäre und wenigen wirklich aufschlussreichen Funden. Von einem „verlorenen Reich“spricht „National Geographic“. Von einer „Wende“in der Forschung über Tartessos sprechen jetzt Archäologen und Historiker des staatlichen CSIC-Instituts und des Archäologischen Instituts Mérida aufgrund der Ausgrabung mehrerer ReliefBüsten und anderer Fragmente an der Ausgrabungsstätte Casas del Turuñuelo bei Guareña, Badajoz, in der Extremadura.
Es seien die ersten Menschendarstellungen, Funde, die Tartessos ein Gesicht geben und belegen dürften, dass es sich um eine Hochkultur mit eigener künstlerischer und zivilisatorischer Identität handelte und nicht nur um einen losen Bund keltiberischer Stämme, die von Phöniziern und Griechen als Rohstofflieferanten benutzt und kulturell „orientalisiert“wurden.
Echte Gesichter, keine Imitate
Am Fundort, der Ausgrabungsstätte Casas del Turuñuelo, eine mehrstöckige Tempel- und Palastanlage, wurde bereits vor Jahren ein Opferritual nachgewiesen, bei dem vor etwa 2.600 Jahren über 50 Pferde, Ziegen, Wölfe, Schweine kultisch in einem Hof getötet wurden, der anschließend eingeäschert und versiegelt wurde. Im Umfeld dieser schaurigen Szene, am Ende einer geheimnisvollen Treppe ins „Nichts“, gruben die Spezialisten zwei wunderschöne Büstenreliefs aus, die junge Frauen darstellen. Göttinnen vielleicht oder Abbilder hochgestellter Damen der Gesellschaft. Dazu fanden sie Fragmente dreier weiterer Köpfe, die Helmreste lassen auf Krieger schließen.
Das Besondere: Bisherige Funde unter Tartessos-Verdacht, wie die Goldschätze von Carambolo und Mairena bei Sevilla, Keramiken und Figurinen in der Extremadura und bei Huelva oder die Carriazo-Bronze, die ein Archäologe auf einem Flohmarkt bei Sevilla erstand, zeigten entweder die typi- sche Ornamentik der Kelten und Iberer, die auch aus dem Rest Spaniens bekannt sind, oder sie waren durch und durch orientalisiert, also Adaptionen griechischer, ägyptischer oder phönizischer Ästhetik und Stilelemente.
Mehr als das Prädikat „vorrömisch“ist da seriös kaum möglich. Die Frauenköpfe von Guareña aber sind von eigener Art, nicht frei von Einflüssen anderer Kulturen, doch, so die Forscher, kein Imitat mehr, sondern eine Eigenschöpfung.
„Die Geschichte der zwei Frauen aus dem 5. Jahrhundert vor Christus können wir noch nicht ganz rekonstruieren, aber sie erzählen eine“, so Expeditionsleiter Sebastián Celestino vom CSIC-Institut. „Sie sind noch ein bisschen älter als die Dama de Elche“, die den an hellenistischen Vorbildern orientierten Haarschmuck trägt und damit zum Musterbild alles Iberischen
wurde. Die Tartessos-Damen aber, deren Züge fast an jene der Nofretete erinnern, zeigen ein in diesem Umfeld noch nie gesehenen Ausdruck: menschlich, idealisiert zwar, aber nicht göttlich überhöht.
Deal mit den Phöniziern
„Erstmals sehen wir nun auch, welchen Schmuck die Tartessianerinnen trugen, wie sie ihr Haar flochten“freut sich das CISC-Team. Derzeit werden rote Farbreste an den steinernen Relief-Statuen untersucht, ebenso der Fundkontext, und natürlich wird in Casas del Turuñuelo weiter gegraben, am Palastensemble im Tal des GuadianaFlusses, das womöglich die letzte Stadt des Tartessos-Reiches war, bevor es in Kriegen zwischen Phöniziern, Griechen, Etruskern und Karthagern um die Vorherrschaft im Mittelmeer unterging und die keltiberische Bevölkerung bald endgültig ins Römische Reich assimiliert wurde.
Von Tartessos wusste man in Spanien bis vor 100 Jahren fast nichts mehr. Es handelt sich um ein
Gebilde, das zunächst aus losen keltiberischen Stammesbünden ab 1.200 vor Christus allmählich zu einem Bündnis von frühen stadtähnlichen Siedlungen wurde und sowohl mit Griechen an der Levante-Küste, vor allem aber mit den Phöniziern entlang der westlichen Mittelmeerund der südlichen Atlantikküste der Iberischen Halbinsel enge Handelsbeziehungen pflegte.
Die Phönizier bauten, strategisch perfekt verteilt, wichtige Hafenstädte wie Qart Hadasht (Cartagena), Malaka (Málaga) und Gadir (Cádiz) sowie Tempel, huldigten Baal, Melkart, Astarte und brachten aus der Region des heutigen Libanon und Syrien dem Westen Europas das erste Alphabet mit.
Ihre Flotten und Armeen schützten das Inland, die Iberer lieferten dafür Rohstoffe, neben Holz und Essbarem waren das vor allem Silber sowie Kupfer und Zinn, aus dem die Tartessianer kunstfertig Bronze zu gießen wussten. Tartessos machte durch den Austausch Entwicklungssprünge, die isolierteren keltiberischen Dörfern vorent