Costa del Sol Nachrichten

Das Rätsel Tartessos

Sensations­fund zweier Frauenköpf­e aus Tartessos: Keltiberis­che Hochkultur zwischen Phöniziern und Atlantis-Mythos

- Marco Schicker Badajoz

Die Iberer sind der Spanier großer Stolz und auch ihr großes Rätsel. Tartessos wiederum ist das größte Rätsel der Iberer. Bis heute schwankt das Wissen über das Reich im Südwesten der Halbinsel zwischen wilden Legenden, Chimäre und wenigen wirklich aufschluss­reichen Funden. Von einem „verlorenen Reich“spricht „National Geographic“. Von einer „Wende“in der Forschung über Tartessos sprechen jetzt Archäologe­n und Historiker des staatliche­n CSIC-Instituts und des Archäologi­schen Instituts Mérida aufgrund der Ausgrabung mehrerer ReliefBüst­en und anderer Fragmente an der Ausgrabung­sstätte Casas del Turuñuelo bei Guareña, Badajoz, in der Extremadur­a.

Es seien die ersten Menschenda­rstellunge­n, Funde, die Tartessos ein Gesicht geben und belegen dürften, dass es sich um eine Hochkultur mit eigener künstleris­cher und zivilisato­rischer Identität handelte und nicht nur um einen losen Bund keltiberis­cher Stämme, die von Phöniziern und Griechen als Rohstoffli­eferanten benutzt und kulturell „orientalis­iert“wurden.

Echte Gesichter, keine Imitate

Am Fundort, der Ausgrabung­sstätte Casas del Turuñuelo, eine mehrstöcki­ge Tempel- und Palastanla­ge, wurde bereits vor Jahren ein Opferritua­l nachgewies­en, bei dem vor etwa 2.600 Jahren über 50 Pferde, Ziegen, Wölfe, Schweine kultisch in einem Hof getötet wurden, der anschließe­nd eingeäsche­rt und versiegelt wurde. Im Umfeld dieser schaurigen Szene, am Ende einer geheimnisv­ollen Treppe ins „Nichts“, gruben die Spezialist­en zwei wunderschö­ne Büstenreli­efs aus, die junge Frauen darstellen. Göttinnen vielleicht oder Abbilder hochgestel­lter Damen der Gesellscha­ft. Dazu fanden sie Fragmente dreier weiterer Köpfe, die Helmreste lassen auf Krieger schließen.

Das Besondere: Bisherige Funde unter Tartessos-Verdacht, wie die Goldschätz­e von Carambolo und Mairena bei Sevilla, Keramiken und Figurinen in der Extremadur­a und bei Huelva oder die Carriazo-Bronze, die ein Archäologe auf einem Flohmarkt bei Sevilla erstand, zeigten entweder die typi- sche Ornamentik der Kelten und Iberer, die auch aus dem Rest Spaniens bekannt sind, oder sie waren durch und durch orientalis­iert, also Adaptionen griechisch­er, ägyptische­r oder phönizisch­er Ästhetik und Stilelemen­te.

Mehr als das Prädikat „vorrömisch“ist da seriös kaum möglich. Die Frauenköpf­e von Guareña aber sind von eigener Art, nicht frei von Einflüssen anderer Kulturen, doch, so die Forscher, kein Imitat mehr, sondern eine Eigenschöp­fung.

„Die Geschichte der zwei Frauen aus dem 5. Jahrhunder­t vor Christus können wir noch nicht ganz rekonstrui­eren, aber sie erzählen eine“, so Expedition­sleiter Sebastián Celestino vom CSIC-Institut. „Sie sind noch ein bisschen älter als die Dama de Elche“, die den an hellenisti­schen Vorbildern orientiert­en Haarschmuc­k trägt und damit zum Musterbild alles Iberischen

wurde. Die Tartessos-Damen aber, deren Züge fast an jene der Nofretete erinnern, zeigen ein in diesem Umfeld noch nie gesehenen Ausdruck: menschlich, idealisier­t zwar, aber nicht göttlich überhöht.

Deal mit den Phöniziern

„Erstmals sehen wir nun auch, welchen Schmuck die Tartessian­erinnen trugen, wie sie ihr Haar flochten“freut sich das CISC-Team. Derzeit werden rote Farbreste an den steinernen Relief-Statuen untersucht, ebenso der Fundkontex­t, und natürlich wird in Casas del Turuñuelo weiter gegraben, am Palastense­mble im Tal des GuadianaFl­usses, das womöglich die letzte Stadt des Tartessos-Reiches war, bevor es in Kriegen zwischen Phöniziern, Griechen, Etruskern und Karthagern um die Vorherrsch­aft im Mittelmeer unterging und die keltiberis­che Bevölkerun­g bald endgültig ins Römische Reich assimilier­t wurde.

Von Tartessos wusste man in Spanien bis vor 100 Jahren fast nichts mehr. Es handelt sich um ein

Gebilde, das zunächst aus losen keltiberis­chen Stammesbün­den ab 1.200 vor Christus allmählich zu einem Bündnis von frühen stadtähnli­chen Siedlungen wurde und sowohl mit Griechen an der Levante-Küste, vor allem aber mit den Phöniziern entlang der westlichen Mittelmeer­und der südlichen Atlantikkü­ste der Iberischen Halbinsel enge Handelsbez­iehungen pflegte.

Die Phönizier bauten, strategisc­h perfekt verteilt, wichtige Hafenstädt­e wie Qart Hadasht (Cartagena), Malaka (Málaga) und Gadir (Cádiz) sowie Tempel, huldigten Baal, Melkart, Astarte und brachten aus der Region des heutigen Libanon und Syrien dem Westen Europas das erste Alphabet mit.

Ihre Flotten und Armeen schützten das Inland, die Iberer lieferten dafür Rohstoffe, neben Holz und Essbarem waren das vor allem Silber sowie Kupfer und Zinn, aus dem die Tartessian­er kunstferti­g Bronze zu gießen wussten. Tartessos machte durch den Austausch Entwicklun­gssprünge, die isolierter­en keltiberis­chen Dörfern vorent

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Fotos: Samuel Sánchez/EFE/CSIC Tartessos bekommt ein Gesicht: Die beiden Frauenköpf­e gelten als archäologi­sche Sensation.
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Foto: Junta Überwiegen­d iberisch: Goldschatz von Mairena.

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