Keltische Geheimbotschaft
Mit Flöten und Violinen stemmt sich Celtas Cortos seit bald 40 Jahren gegen die Verzweiflung
„¡...han cambiadooo, han cambiadoooo!“, erklingt die Stimme des Mannes. „Sie haben sich verändert, verändert!“Ein verzweifelter Schrei, für sich genommen. Doch sorgt er nicht für schlechte Laune, wenn er jeden April aufs Neue in Spanien aus den Musiklautsprechern schallt. Ganz im Gegenteil, ist es ein Evergreen, den so gut wie jeder mindestens mitträllern kann. Auf Konzerten von Celtas Cortos – von der Band ist die Rede – sorgt der Song für absolute Stimmungsexplosionen. Sein Titel: „20 de abril“.
Den 20. April 1990 besingt darin die Gruppe, die vom Stil her aus Limerick oder zumindest Asturien stammen könnte, aber das kastillische Valladolid zur Heimat hat. Mitte der 80er schon tat sich die Band zusammen, die 2023 auf Tour quer durch Spanien wieder Frohmut verbreitet. Und das trotz gar nicht allzu fröhlicher Texte. Diese außergewöhnliche Fähigkeit ist seit jeher das Attribut der „Kurzen Kelten“, die sich ursprünglich spaßeshalber nach einer Zigarettenmarke benannten.
Instrumentales Gegenteil
„Verändert, verändert“haben sich die Folkrocker auf ihrem „Pfad der Zeiten“(„Senda del tiempo“, dazu gleich mehr), blieben ihrem irischkeltischen Faible aber treu. Nach ersten instrumentalen Tracks traute Jesús „Cifu“Cifuentes sich dann doch ans Mikro und wurde zur unverkennbaren Stimme der Kombo. Jedoch nicht zur einzigen: Denn Celtas Cortos ginge einfach nicht ohne die Stimmen der WhistleFlöten, Violinen und Gaita-Dudelsäcken, hervorgezaubert durch Goyo Yeves, Alberto García und Co.
Die Melodien wirken mit den schwungvollen Rhythmen und fetzigen Gitarren wirklich so, als musizierten hier nordeuropäische Folkrocker. Doch eine Anzeige wegen Kultureller Aneignung muss Celtas Cortos nicht fürchten. Zu gekonnt fabrizieren sie ihre keltische Kunst, was ihnen sogar ein britisches KultCover einbrachte: Oysterband sang „20th April“auf Englisch, beließ aber das so prägnante „han cambiadoo“akzentreich auf Spanisch.
Ja, gerade für ausländische Hörer ist Celtas Cortos eine attraktive Wahl. Erstens, weil die Texte trotz poetischer Noten bodenständig und leichtverständlich bleiben. Zweitens eben wegen dem starken instrumentellen Teil, der sehr oft fast wie das Gegenteil des Gesungenen klingt.
Eine Gutelaunenummer ist etwa „20 de abril“nämlich nicht, sondern – vom Text her – ein von Traurigkeit durchsetzter Brief, der den Verlust alter, unbeschwerter Tage beklagt. Fast hätte die Band das Stück vom Album „Cuéntame un cuento“(1991) gestrichen. Einfach, weil es für nichts allzu Besonderes gehalten wurde.
Dann aber wäre Spanien ein Stück Kulturgeschichte abhanden gekommen. Welche Bedeutung „20 de abril“fürs Land hat, zeigte sich in der großen Corona-Not im April 2020, als der Song in einer Neuauflage mit zahlreichen Musikern
Millionen Spanier im Lockdown erfreute. Eine ganz neue Bedeutung nahm dabei der gesungene Brief an, der „Nächte in der Berghütte“beschwor und das „gemeinsame Lachen“herbeisehnte. All das, was unter Covid halt verloren ging, doch in einem tieferen Sinn vielleicht schon lange zuvor.
Als der Song entstand, war Spanien mitten im Aufbruch, hin zu Freiheit und Demokratie, aber eben auch zu Individualismus, Entwurzelung, Einsamkeit. Eine Welle der Hoffnungslosigkeit erfasste die junge Generation der Celtas. Dass die schöne neue Welt keineswegs so bunt war, beklagten die Folkrocker in vielen damaligen Songs.
„Tranquilo majete“etwa, eine kraftvolle Abtanznummer, ruft sarkastisch dazu auf, „in aller Ruhe im Sessel“sitzenzubleiben, während draußen Kriege toben, Menschen in Afrika „wie Ratten“sterben und daheim die Arbeitslosigkeit wächst und wächst. Ebenfalls
Anfang der 90er legten die Celtas Cortos eine der großartigsten Rockballaden Spaniens vor.
„Senda del Tiempo“beschreibt auf fast erschütternde Weise das Gemüt eines Menschen in der Depression. „Manchmal kommt der Moment, in dem du plötzlich alt wirst, ohne Falten auf der Stirn, aber mit dem Willen zu sterben“, singt Cifu brüchig. Doch auch hier geschieht wieder das Erstaunliche.
Geträllerte Rebellion
Sobald die ersten Töne der Geigen und Flöten erklingen, ist es, als habe die Band noch eine weitere, geheime Botschaft für den Hörer parat. Als gebe es, inmitten der tiefen Krise, in der „die Sterne ihren Glanz verloren“haben, tatsächlich noch etwas, das Sinn macht und Hoffnung gibt, um trotz aller Last weiterzugehen. Vor allem live, wenn das Publikum die Melodie mitträllert, ist die Kraft der geradezu rebellisch hoffnungsvollen Klänge unbeschreiblich.
Und nein, diese keltische Botschaft muss kein leeres Versprechen sein: Siehe 20. April 2022, als tatsächlich, exakt zwei Jahre nach der Neuauflage des verzweifelten, aber durch frohe Flötenklänge begleiteten Schreies, in Spanien das Dekret erfolgte, die CoronaMasken endlich abzulegen.
Eine Gutelaunenummer ist „20 de abril“vom Text her überhaupt nicht.
Tourdaten Celtas Cortos (darunter Andalusien und Valencia): celtascortos.com/gira/