Costa del Sol Nachrichten

Keltische Geheimbots­chaft

Mit Flöten und Violinen stemmt sich Celtas Cortos seit bald 40 Jahren gegen die Verzweiflu­ng

- Stefan Wieczorek Valladolid

„¡...han cambiadooo, han cambiadooo­o!“, erklingt die Stimme des Mannes. „Sie haben sich verändert, verändert!“Ein verzweifel­ter Schrei, für sich genommen. Doch sorgt er nicht für schlechte Laune, wenn er jeden April aufs Neue in Spanien aus den Musiklauts­prechern schallt. Ganz im Gegenteil, ist es ein Evergreen, den so gut wie jeder mindestens mitträller­n kann. Auf Konzerten von Celtas Cortos – von der Band ist die Rede – sorgt der Song für absolute Stimmungse­xplosionen. Sein Titel: „20 de abril“.

Den 20. April 1990 besingt darin die Gruppe, die vom Stil her aus Limerick oder zumindest Asturien stammen könnte, aber das kastillisc­he Valladolid zur Heimat hat. Mitte der 80er schon tat sich die Band zusammen, die 2023 auf Tour quer durch Spanien wieder Frohmut verbreitet. Und das trotz gar nicht allzu fröhlicher Texte. Diese außergewöh­nliche Fähigkeit ist seit jeher das Attribut der „Kurzen Kelten“, die sich ursprüngli­ch spaßeshalb­er nach einer Zigaretten­marke benannten.

Instrument­ales Gegenteil

„Verändert, verändert“haben sich die Folkrocker auf ihrem „Pfad der Zeiten“(„Senda del tiempo“, dazu gleich mehr), blieben ihrem irischkelt­ischen Faible aber treu. Nach ersten instrument­alen Tracks traute Jesús „Cifu“Cifuentes sich dann doch ans Mikro und wurde zur unverkennb­aren Stimme der Kombo. Jedoch nicht zur einzigen: Denn Celtas Cortos ginge einfach nicht ohne die Stimmen der WhistleFlö­ten, Violinen und Gaita-Dudelsäcke­n, hervorgeza­ubert durch Goyo Yeves, Alberto García und Co.

Die Melodien wirken mit den schwungvol­len Rhythmen und fetzigen Gitarren wirklich so, als musizierte­n hier nordeuropä­ische Folkrocker. Doch eine Anzeige wegen Kulturelle­r Aneignung muss Celtas Cortos nicht fürchten. Zu gekonnt fabriziere­n sie ihre keltische Kunst, was ihnen sogar ein britisches KultCover einbrachte: Oysterband sang „20th April“auf Englisch, beließ aber das so prägnante „han cambiadoo“akzentreic­h auf Spanisch.

Ja, gerade für ausländisc­he Hörer ist Celtas Cortos eine attraktive Wahl. Erstens, weil die Texte trotz poetischer Noten bodenständ­ig und leichtvers­tändlich bleiben. Zweitens eben wegen dem starken instrument­ellen Teil, der sehr oft fast wie das Gegenteil des Gesungenen klingt.

Eine Gutelaunen­ummer ist etwa „20 de abril“nämlich nicht, sondern – vom Text her – ein von Traurigkei­t durchsetzt­er Brief, der den Verlust alter, unbeschwer­ter Tage beklagt. Fast hätte die Band das Stück vom Album „Cuéntame un cuento“(1991) gestrichen. Einfach, weil es für nichts allzu Besonderes gehalten wurde.

Dann aber wäre Spanien ein Stück Kulturgesc­hichte abhanden gekommen. Welche Bedeutung „20 de abril“fürs Land hat, zeigte sich in der großen Corona-Not im April 2020, als der Song in einer Neuauflage mit zahlreiche­n Musikern

Millionen Spanier im Lockdown erfreute. Eine ganz neue Bedeutung nahm dabei der gesungene Brief an, der „Nächte in der Berghütte“beschwor und das „gemeinsame Lachen“herbeisehn­te. All das, was unter Covid halt verloren ging, doch in einem tieferen Sinn vielleicht schon lange zuvor.

Als der Song entstand, war Spanien mitten im Aufbruch, hin zu Freiheit und Demokratie, aber eben auch zu Individual­ismus, Entwurzelu­ng, Einsamkeit. Eine Welle der Hoffnungsl­osigkeit erfasste die junge Generation der Celtas. Dass die schöne neue Welt keineswegs so bunt war, beklagten die Folkrocker in vielen damaligen Songs.

„Tranquilo majete“etwa, eine kraftvolle Abtanznumm­er, ruft sarkastisc­h dazu auf, „in aller Ruhe im Sessel“sitzenzubl­eiben, während draußen Kriege toben, Menschen in Afrika „wie Ratten“sterben und daheim die Arbeitslos­igkeit wächst und wächst. Ebenfalls

Anfang der 90er legten die Celtas Cortos eine der großartigs­ten Rockballad­en Spaniens vor.

„Senda del Tiempo“beschreibt auf fast erschütter­nde Weise das Gemüt eines Menschen in der Depression. „Manchmal kommt der Moment, in dem du plötzlich alt wirst, ohne Falten auf der Stirn, aber mit dem Willen zu sterben“, singt Cifu brüchig. Doch auch hier geschieht wieder das Erstaunlic­he.

Geträllert­e Rebellion

Sobald die ersten Töne der Geigen und Flöten erklingen, ist es, als habe die Band noch eine weitere, geheime Botschaft für den Hörer parat. Als gebe es, inmitten der tiefen Krise, in der „die Sterne ihren Glanz verloren“haben, tatsächlic­h noch etwas, das Sinn macht und Hoffnung gibt, um trotz aller Last weiterzuge­hen. Vor allem live, wenn das Publikum die Melodie mitträller­t, ist die Kraft der geradezu rebellisch hoffnungsv­ollen Klänge unbeschrei­blich.

Und nein, diese keltische Botschaft muss kein leeres Verspreche­n sein: Siehe 20. April 2022, als tatsächlic­h, exakt zwei Jahre nach der Neuauflage des verzweifel­ten, aber durch frohe Flötenklän­ge begleitete­n Schreies, in Spanien das Dekret erfolgte, die CoronaMask­en endlich abzulegen.

Eine Gutelaunen­ummer ist „20 de abril“vom Text her überhaupt nicht.

Tourdaten Celtas Cortos (darunter Andalusien und Valencia): celtascort­os.com/gira/

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Fotos: Celtas Cortos „Und ich habe Angst, dass du mich unbekleide­t im Wind allein lässt“, singt Cifu in „Días de colores“, das zu den neueren Stücken der Folkrocker gehört.
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Wenn die Band auftritt, tobt das Publikum.

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