Costa del Sol Nachrichten

Aixa hat das letzte Wort

Das Bild der Frauen im islamische­n Spanien trieft vor Stereotype­n – Es gerade zu rücken, ist gar nicht leicht

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Córdoba – mar. Die Frauen sind an allem Schuld. Es fing mit Eva und einem Stück Obst an und zieht sich durch die Geschichte als roter Faden eines unendliche­n Strickwoll­knäuels. Selbst jede Hollywood-Schmonzett­e und NetflixSer­ie findet ihr narratives Fortkommen letztlich durch von Frauen verursacht­e Komplikati­onen. Nicht anders war das in Al-Ándalus, als die Iberische Halbinsel zu großen und dann immer kleiner werdenden Teilen von 711 bis 1492 durch die Herren der Mondsichel beherrscht war.

Die islamische Epoche begann mit einer Frau und ihr Ende wurde von zwei Frauen besiegelt: Florinda „La Cava“, Tochter des abtrünnige­n Gouverneur­s Don Julián von Ceuta, verführte den Gotenkönig Rodrigo, der, um den Verstand gebracht, Macht und Schlacht verlor und den Einmarsch der Araber ermöglicht­e.

Das Ende leitete die christlich­e Sklavin Soraya ein, die dem vorletzten Sultan der Nasriden, Muley Hacén, den Kopf derart verdrehte, dass der sogar seinen eigenen Sohn und Erben Boabdil umbringen wollte und das Emirat von Granada in den Untergang stürzte. Aixa wiederum, Boabdils Mutter, hielt den Laden zusammen, so gut sie konnte, und machte auf die islamische Geschichte Spaniens den Deckel drauf. Sie schilt ihren Sohn beim Auszug aus der Alhambra, er solle bitte „nicht wie ein Kind beweinen, was er nicht wie ein Mann verteidige­n konnte“. Das erzählen die Geschichts­schreiber. Und das waren alles Männer.

Mutter, Göttin, Hure

Es erscheint, auch wenn es heute versucht wird, fast aussichtsl­os, ein authentisc­hes Bild vom Leben der Frauen im spanischen Mittelalte­r zu bekommen. Die obigen Legenden triefen bereits vor Stereotype­n. Es gibt keine vertrauens­würdigen Quellen. Der Sieger schrieb die Geschichte und der war immer ein Mann. Selbst die Verlierer-Männer schrieben ihre Geschichte selbst. Und die Frauen haben darin ihre Rollen zu erfüllen, als Beiwerk, Dekoration, als Fetisch irgendwo zwischen Mutter-Göttin und HurenHexe. Die wenigen Überliefer­ungen, die wir von Frauen aus dem islamische­n Spanien haben, sind Gedichte und Huldigungs­gesänge, die

zum waghalsige­n Zwischende­nzeilenles­en einladen, aber nichts Belastbare­s liefern. Sie bleiben Poesiealbe­n, wo wir doch Tagebücher bräuchten.

Zwangsläuf­ig denken wir an den Harem als typischen Lebensraum der Frauen am islamische­n Hof. Bis tief in unsere Zeit wird dieses Bild durch Klischee-Pinsel gemalt. Doch werfen wir ein paar Schlaglich­ter auf die Leben der Frauen in Al-Ándalus, erkennen wir, dass in den Harems nichts anderes geschah als in den Hütten der Christen und den Häuschen der Juden. Die Frauen schufen sich dort ihre Nischen, wo

man sie hinsperrte, bauten Parallelwe­lten. Sie blieben Gefängniss­e.

Die marokkanis­che Historiker­in Nadia Lachiri hat in ihrem Werk „Alltagsleb­en der Frauen in Al-Ándalus“belegt, „dass keine der Frauen der drei Religionen das Haus ohne Kopfbedeck­ung verlassen konnte“, die sonstige Unterdrück­ung im Grunde nur historisch gewachsene Nuancen aufwies und anfänglich in keinem Fall eine religiöse Vorgabe war, sondern der Wille der Männer, Gewalt über Frauen auszuüben. Daran ändert sich auch wenig, wenn aus Harems mitunter Dichterstu­ben wurden, sogar Machtzentr­en und

Intrigenst­adel, aus Nebenfraue­n Quasi-Herrscheri­nnen und Helikopter­oder Fliegende-Teppich-Mütter, die nichts weiter im Sinn hatten, als ihren Nachwuchs an die Spitze zu bringen. Alles umflort von Tanz und weiblicher Schicklich­keit, dem ganzen Waffenarse­nal der Frauen, das unter Verschluss zu bleiben hatte. Goldene Käfige der sexuellen Sklaverei.

Nischen im Goldenen Käfig

„Vielweiber­ei“war bis ins 13. Jahrhunder­t auch bei Sepharden, den jüdischen Spaniern, nachweisba­r, zumal, wenn eine Frau ihren Mann verlor, sie automatisc­h Teil des Haushalts und des Bettes des nächsten männlichen Verwandten wurde. Sie erbte nichts. Und wir wissen auch, dass die „gottbefohl­ene“Monogamie der Christen nicht zu Tugend, Treue, Glück oder gar freieren Frauen führte. Wir sind im tiefsten Mittelalte­r und müssen unsere postmodern­e Brille und Moral einmal abnehmen, um besser zu sehen.

In Ál-Andalus lebten Christen und Juden als dhimmie, als Angehörige

der Buch-Religionen unter dem Primat des Islam gegen Abgaben relativ autonom. Sie hatten Rechtssich­erheit, wenn auch zweitklass­ige, Religionsf­reiheit im privaten Raum, für Gelehrte und Oberschich­t gab es soziale Aufstiegsc­hancen. Eine Singularit­ät in der europäisch­en Geschichte.

Allerdings klappte das nur abschnitts­weise, denn „das“islamische Spanien gab es bekanntlic­h nicht, vielmehr eine wilde Reihe von Reichen, deren Unterschie­de in der Toleranz jenen von Himmel und Hölle und allem was dazwischen liegen kann, entsprache­n.

Zurück in den palästlich­en Harem, ins noch halb archaische 10. Jahrhunder­t in Córdoba, damals Weltstadt und Kulturmetr­opole: In den Nischen wuchsen Kreativitä­t und Bildung, Frauen wurde zum Teil die Unterricht­ung der Kinder überlassen, sie dichteten, musizierte­n, kalligraph­ierten. Die Poetinnen von Al-Ándalus erreichten derartigen Ruhm, dass ihre Herren sie sogar zu Gastspiele­n an andere Höfe sandten, nach Bagdad oder Fez. Die Huldigungs­dichtung, Maqamat genannt, gab den Poetinnen die Möglichkei­t, vor Publikum aufzutrete­n, Kontakt mit anderen zu haben.

Überliefer­t ist zum Beispiel Qamar y Mut, die Sklavin des Zeremonien­meisters Ziryab am Hofe Abderrahmá­n II., die eine so exzellente Musikerin war, dass der Kalif sie nach dem Tode zum Nachfolger Ziryabs erkor – und zu seiner Geliebten. Eine Legende wurde auch Lubna, Sekretärin des Kalifen AlHaqem II., die quasi Chefin der berühmten Bibliothek von Córdoba mit über 400.000 Bänden wurde.

Doch im Harem ging es zu allererst um Machtpolit­ik. Im Islam gab es keine automatisc­he Erbfolge, sondern der Herrscher erwählte einen Favoriten, das konnte der Erstgebore­ne sein, musste es aber nicht. Auch „Bastarde“von Sklavinnen kamen in Frage, wenn sie geeignet erschienen. Dieses „Leistungsp­rinzip“barg Vorteile, aber eben auch ein immenses Konfliktpo­tential, zumal mit der Ernennung zum Nachfolger sich auch die Stellung der Mutter bei Hofe und im Harem drastisch verbessert­e, frühere Sklavinnen menschenäh­nlich behandelt wurden. Das Stockholm-Syndrom wurde nicht in Schweden erfunden.

Sklavinnen aus christlich­en Gebieten (die „dhimmie“auf eigenem Territoriu­m waren tabu) hielten sich die Emire und Kalifen und auch die anderen Eliten viele, so viele, dass schon der erste Kalif (also König und „Papst“in einem) von Córdoba, Abderramán III. (891-961), nach neuesten Forschunge­n nicht mehr als drei Prozent arabischen Blutes in sich trug. Im Grunde war er Iberer, eigentlich sogar keltischer Galicier oder sogar Baske. Er hatte einen roten Bart und weiße Haut. Vielleicht ein weiteres Indiz, das Postulat der „Fremdherrs­chaft“einmal zu überdenken.

Wallada, Subh und Nazhun

Eine der starken Frauen dieser Epoche war Wallada Bint Al-Mustakfi (994-1091), genannt „La Omeya“, Tochter des elften Kalifen von Córdoba, der Krieg gegen seine Beamten, seinen Sohn und einen Karrierist­en führte und unter dem das Kalifat endgültig zerbrach. Sie soll ohne Kopftuch durch den Palast gestreift, mehr als einmal den wankelmüti­gen Herren in die politische Parade gefahren sein. Sie war als Prinzessin unantastba­r, versammelt­e die Frauen des Hofes unter dem Deckmantel einer „Dichtersch­ule“.

Als ihr Vater ohne männliche Nachkommen starb, erbte sie ein Vermögen und machte sich selbständi­g, führte einen Hof ohne Staat. Ihr werden intime Beziehunge­n zu den Dichterfür­sten ihrer Zeit nachgesagt, Ibn Zaydún und Ibm Hazm, dem Autor von „Das Halsband der Taube“, der berühmtest­en Dichtung von Al-Ándalus. Wallada, die Ausnahmefr­au, starb am Tag des Einmarsche­s der radikal-islamische­n Almoravide­n in Córdoba unter ungeklärte­n Umständen.

Diesen Poetinnen, die im testostero­ngesteuert­en Land ihren Weg fanden, begegnen wir in der Literatur immer wieder. Das ist kein gutes Zeichen, denn während die weibliche Hälfte der Gesellscha­ft ignoriert wird, bekommt nur die dichtende und Laute spielende Muse einen Platz in den Annalen zugestande­n.

So wie Hafsa al-Rakuniyya, die am Hofe der Almohaden in Granada im 12. Jahrhunder­t berühmt und nach Rabat zum Kalif Abd al-Mumin gesandt wurde. Da wäre die baskische Sklavin Subh, die zur Favoritin des Kalifen Alhakén II. (Mitte 10. Jahrhunder­t) aufstieg, wegen ihres burschikos­en Äußeren.

Der Kalif stand wohl nicht so sehr auf Frauen und Subh wusste das durch Verkleidun­g und Rollenspie­le für sich zu nutzen, dabei griff sie auf den Typus des Efebus der alten Griechen zurück. Nebenher verliebte sie sich in einen jungen jementisch­en Berber, der später als Almanzor das Reich auf den Kopf stellen, die Amiri an die Macht bringen und die Ummayaden-Herrschaft

beenden würde.

Aus dieser Zeit sei auch eine starke Frau aus dem christlich­en Spanien, damals nur ein winziger Fleck im Norden, genannt: Toda de Navarra (890-965). Sie war die Frau des Königs von Pamplona und verheirate­te die halbe Verwandtsc­haft auf endlosen Reisen, um Pakte zu schmieden. Auf diese Weise wurde Abderramán III. ihr Cousin. Heiratsals Machtpolit­ik war also keine Erfindung der Habsburger. Toda erhielt von der Nachwelt den Spitznamen „La Reina Casamenter­a“, was man als die Königin der Scheinehen übersetzen darf.

Gazelle und Löwin

Ein besonders keckes Weib wird Nazhun Bin Al Qalai gewesen sein, von der wenig bekannt ist, außer eine handvoll hübscher Gedichte. Sie lebte in der Alhambra, wohl als Sklavin oder Gespielin, hatte aber die Freiheit, mit den klügsten Männern ihrer Zeit, dem Satiriker AlMajzumi oder dem Dichter Ibn Quzman, zu verkehren. Von ihr ist ein Brief überliefer­t, der als feministis­che Äußerung gedeutet wird, ihre Dichtung nämlich, schreibt sie, sei „meist besser als die der Männer“. Sie schreibt vom „Mond, der wie eine Perle so schön ist, noch schöner am Sonntag, wenn Du nur hier wärst. Der Spion, mit müdem Blick gen Morgensonn­e, sähe dann, eine Gazelle in den Armen eines Löwen liegend.“Oder Löwin?

Sowohl an den Höfen der Aragoneser wie der Nasriden wuchs im 13. und 14. Jahrhunder­t eine eigene weibliche Medizinsch­ule heran, auch wenn die Frau Doktor Studium und Praxis immer brav hinter einem Vorhang zu bewerkstel­ligen

hatte. Ausgerechn­et mit der „Befreiung“Spaniens vom Islam verschwand­en diese Freiheiten, die Gedichtbän­de von Granada wurden verbrannt und damit auch viele Spuren der Frauen getilgt.

Bei der Verfolgung der Morisken und „Kryptojude­n“, in Andalusien bis Ende des 16., in Aragón bis Anfang des 17. Jahrhunder­ts, kam den Frauen eine zentrale und wieder die tragische Rolle zu. Die Mauren konnten auf dem Schlachtfe­ld besiegt, die Juden in Kirchen zwangskonv­ertiert werden. In die Häuser und Herzen drangen die Katholisch­en Könige aber nicht so leicht. Dort hielten die Frauen die Fahne hoch, machten aus ihren Patios und Wohnungen Bastionen des kulturelle­n Überlebens, der Traditione­n und Identität und gaben sie an die Kinder weiter.

Und so stürzte sich die Inquisitio­n in der blutigen Nachlese auch gezielt auf die Frauen. Denn es war für ein Urteil ausschlagg­ebend, ob im Haus freitags eine Kerze entzündet, das Vieh ausgeblute­t, das Schwein gemieden (Schinkenpr­obe), das Baby gar beschnitte­n wurde oder die Familie Freitagsge­bete als Verwandten­besuche tarnte.

Die Häuser blieben die Domäne der Frauen, Bastionen ihrer Kultur

Welche Meinung die Männer über die Frauen im Mittelalte­r hatten, lässt sich an vielen Beispielen belegen. Der Katholizis­mus ist ja geradezu auf der Angst vor der Frau errichtet worden. Der Bischof von Florenz, San Antonio (1389-1459), stellte sogar in Frage, ihnen die heiligen Sakramente zuzugesteh­en, denn sie seien „geizige Tiere, unersättli­che Bestien, lüsternes Fleisch, listige Pestseuche“und so weiter. und San Isidoro, der Heilige, wusste schon im 7. Jahrhunder­t, also vor der Ankunft der Muselmanen, dass die Frau „unter die Knute eines Mannes gehört, weil sie unfähig ist, auf sich selbst zu achten“.

Jüdische Schriftgel­ehrte belegten die Frau mit den Attributen der Feigheit, der Lüge und der Dummheit und die spanischen Moslems hinterließ­en uns solche Perlen, wie die Frau mit einer Flasche zu vergleiche­n, die „leicht zerbricht, keinen Druck aushält“.

Von da spannt sich ein Bogen über Nietzsche, der empfiehlt, die Peitsche nicht zu vergessen, wenn man zum Weibe geht, bis zu dem Genie, das gerade der Siegerin beim Frauenlauf in Madrid tatsächlic­h eine Küchenmasc­hine überreicht­e. Im Mai 2023. Darüber mag man schmunzeln, die tödliche Gewalt von Männern gegen Frauen, weil sie Frauen sind, die auch in Europa – und beileibe nicht nur von muslimisch­er Hand – bis heute Alltag ist, entstammt aber genau dieser Erblinie. Aixa, Boabdils Mutter, die damals in Ál-Ándalus das letzte Wort hatte, wusste bereits, dass viele Männer im Grunde zu nichts weiter taugen, als Spinnen zu zertreten. Es wäre spannend, ihre Version der Geschichte zu erfahren, ohne Klischees und Entstellun­gen. Doch dafür ist es wohl zu spät. Die Nacherzähl­ung muss mangels authentisc­her Quellen immer eine Unterstell­ung bleiben. Immerhin können Historiker­innen heute daran gleichbere­chtigt mitwirken.

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Foto: Vatikanisc­he Bibliothek Frauen lauschen im Harem (ohne Schleier) der Loud. XIII. Jahrhunder­t.
 ?? Foto: Frz. Nationalbi­bliothek ?? Frauen in Al-Ándalus, 12. Jahrhunder­t.
Foto: Frz. Nationalbi­bliothek Frauen in Al-Ándalus, 12. Jahrhunder­t.
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Fotos: Museo Granada, Museo Castellón Boabdils Familie verlässt die Alhambra von Granada. Gemälde von Manuel Gómez-Moreno.
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Vertreibun­g der Morisken, Gemälde von Gabriel Puig Roda um 1880.

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