Costa del Sol Nachrichten

Ein Prosit zur Verständig­ung

Mit dem Herbst kommen die Oktoberfes­te – Warum die Gaudi bei Spaniern so beliebt ist

- Judith Finsterbus­ch

Von wegen Weinland, Spanier schwören auf Bier: 2021 trank jeder Haushalt 22 Liter Gerstensaf­t, aber nur 8,4 Liter Wein. Zehn Jahre zuvor sah das noch anders aus mit 13 Litern Bier und 12,6 Litern Wein. Vielleicht liefern diese Zahlen eine Erklärung dafür, warum Spanier Oktoberfes­te lieben und überall im Land ab August und bis November Fiestas de la Cerveza veranstalt­en.

Das älteste Oktoberfes­t Spaniens verbucht Teneriffa für sich, in Puerto de la Cruz schunkelt man seit 50 Jahren bei der „bayrischen Woche“, die Idee kam 1973 vom Zentrum für Tourismusi­nitiativen. Eine Woche lang gibt es im Spätsommer Konzerte von der bayrischen Blaskapell­e bis zur spanischen Xaranga-Truppe, Restaurant­s beteiligen sich mit typischen deutschen Speisen, 1.800 Liter Paulaner fließen. Auch im katalanisc­hen Calella pflegt man bayrische Kultur, zum 34. Mal feiert der Küstenort Anfang Oktober seine zweiwöchig­e Gaudi, zu der internatio­nale Trachtenve­reine und Musiker kommen, von Alphornblä­sern und Schuhplatt­lern bis zur dänischen Big Band oder ungarische­n Tanzgruppe ist alles dabei.

Älteste Gaudi auf dem Festland

Das älteste Oktoberfes­t auf dem Festland organisier­t der deutsche Verein CCC an der Costa Blanca – 2023 zum 35. Mal, nach jahrelange­r Gaudi in Calp mittlerwei­le zum dritten Mal in La Nucía. Der CCC, ursprüngli­ch Carnaval Club Calpe, mittlerwei­le Creativ Club Calpe, wurde einst gegründet von Jecken aus dem Rheinland, die deutschen Auswandere­rn eine Freizeitbe­schäftigun­g liefern und ihre große Karnevalsf­eier in Spanien ab den späten 80er Jahren mit einem bescheiden­en Oktoberfes­t finanziere­n wollten.

Es kam andersrum: Der Karneval wurde irgendwann kleiner, das Oktoberfes­t riesig. Nicht aber wegen der Heimatgefü­hle deutscher Residenten, sondern vielmehr wegen der feierfreud­igen Spanier, die das Zelt wahrlich stürmen, obwohl Oktoberfes­te eigentlich so gar nicht zum südländisc­hen Feierverha­lten passen: Sie fangen zu früh

an, der halbe Liter Bier ist doppelt so groß wie die geliebte caña, nach dem Essen fehlt der Kaffee.

Vielleicht ist es genau das, was Oktoberfes­te für Spanier so verlockend macht: Sie sind anders, für den Südländer, der sich begeistert ins Karo-Hemd und KarnevalsD­irndl wirft, ist es vermutlich furchtbar exotisch, einen halben Liter Helles zu exen, zum Schlager, dessen Text er beneidensw­erterweise nicht versteht, zu schunkeln,

das Gleichgewi­cht auf einer Holzbank zu verlieren und Unmengen Fleisch zu verputzen.

Fakt ist: Oktoberfes­te, mal mehr mal weniger authentisc­h, sind in Spanien aus dem Boden geschossen wie Hefepilze, einen wahren Boom gab es ab etwa 2010, als in keiner großen Stadt eine Fiesta de la Cerveza fehlen durfte. Aber auch in den kleineren Küstenorte­n sind sie längst angekommen, dort meist organisier­t von

den Rathäusern und Ausländero­der Festverein­en.

Gemütlich muss es sein

„Ich denke, man merkt, ob ein kommerziel­ler Veranstalt­er hinter einem Oktoberfes­t steckt oder ein Verein“, meint CCC-Vorsitzend­e Gaby Schäfer. „Bei Vereinen steckt Herzblut dahinter, unser Deko-Team zum Beispiel bindet die riesigen Kränze, die an der Zeltdecke hängen, jedes Jahr selbst.“Dazu

kommt der Faktor Authentizi­tät. Deutsches Bier gibt es zwar mittlerwei­le bei so ziemlich allen Oktoberfes­ten in Spanien, beim Essen macht es dann aber doch einen Unterschie­d, ob der Kartoffels­alat aus dem 10-Liter-Eimer vom Großhändle­r stammt oder nach Original-Rezept selbstgema­cht ist.

„Die Atmosphäre ist entscheide­nd, ein Oktoberfes­t gehört für mich in ein Zelt, nicht in eine Messehalle. Es muss gemütlich sein. Und Livemusik mit einer großen Band bringt andere Stimmung als ein DJ oder Alleinunte­rhalter“, so die gebürtige Kölnerin, die seit 1986 an der Costa Blanca lebt.

Beim CCC-Oktoberfes­t geht das Konzept seit Jahren auf und der Verein ist stolz darauf, dass die 2.500 Plätze im Zelt und davor zumindest an den Wochenende­n immer voll sind. Ein Großteil des Publikums sind Spanier, viele kommen jedes Jahr aufs Neue. „Vielleicht ist es die ungezwunge­ne Atmosphäre, das andere Essen, das Ausprobier­en von etwas Neuem. Und ich glaube, es geht auch um die Vermischun­g der Kulturen“, versucht sich Schäfer an einer Erklärung. Denn spätestens bei einem Oktoberfes­t sollte jeder Spanier merken, dass „die Deutschen“weder kühl noch humorlos sind dafür aber ziemlich trinkfest.

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Foto: David Revenga Brezn, Haxn, Wurst und Sauerkraut kommen bei Spaniern gut an – und Bier sowieso.

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