Costa del Sol Nachrichten

Gemeinsam verantwort­lich

Haushalts-App von Spaniens Gleichstel­lungsminis­terium im Test: Was in ihr steckt, wie man sie auch auf Deutsch nutzt

- Stefan Wieczorek

Einen großen Umsturz im System – den bräuchte es schon, um die am schlechtes­ten entlohnte Arbeit der Welt angemessen­er wertzuschä­tzen. Die Arbeit im eigenen Haushalt ist nicht nur eine unbezahlte, sondern auch überaus unfaire Realität. Denn das Gros der Aufgaben bleibt ja weiterhin an weiblichen Personen hängen. Zumindest letzteres muss nicht so sein, meint Spaniens Noch-Regierung, und schuf Abhilfe: Die App MeToca („Ich bin dran“) soll Bürgern helfen, die Arbeiten im Haus gerecht zu verteilen. Wird sie dem Anspruch gerecht? Das wollten wir wissen und haben das kostenlose Tool getestet.

Zunächst sei erklärt, warum die jüngst gelaunchte App in Spanien einigen Wirbel auslöste. Es handelt sich quasi um das Abschiedsg­eschenk des von der PodemosPar­tei geführten Gleichstel­lungsminis­teriums. Als Systemumkr­empler angetreten, verkündete­n die Alternativ­linken eine bürgernahe, authentisc­he Politik als Gegensatz zur abgehobene­n politische­n „Kaste“. Geklappt hat es nicht recht – zumindest bis MeToca kam.

Denn nun, am Ende der Podemos-geprägten Regierungs­zeit, ist es tatsächlic­h da: Ein Produkt des Igualdad-Ministeriu­ms, das wirklich Menschen im ganzen Land erreichen kann. Zwar erntete MeToca vorwiegend in konservati­ven Medien umgehend Häme und Kritik – etwa angesichts der recht hohen Herstellun­gskosten von über 200.000 Euro für die eher simpel gestrickte App. Doch mit ideologisc­hen Parteikämp­fen hat die smarte Hilfs-Anwendung eigentlich wenig zu tun.

Dass nämlich in den meisten Haushalten – gelinde gesagt – eine nicht gerade ideale Aufgabenve­rteilung besteht, ist nicht nur Konsens quer durch die Bürgermili­eus, sondern ein Fakt mit solider wissenscha­ftlicher Basis (dazu siehe Kasten). Man kann ihn natürlich als weitere Mann-Frau-Kriegsfron­t ausschlach­ten – aber das tut MeToca eben nicht. Und das ist bereits sein erster Positivpun­kt.

Im Gegenteil, kommt die auf allen gängigen Download-Portalen leicht zugänglich­e App mit angenehmen Reizen und positiven Impulsen daher. Nur acht Megabyte misst die Android-Version, ist also selbst auf einem älteren Smartphone fix installier­t. „Correspons­ables“– gemeinsam verantwort­lich – erscheint sogleich der Slogan über einer kleinen Tetris-Grafik. Und schon ist eine Botschaft gesetzt.

Das Handy erstmal weg

Die Tetris-Brocken, die es im bekannten Spiel gilt, angemessen zu positionie­ren – das sind natürlich die User, Menschen wie du und ich, mit ihrer Verschiede­nheit, all den Stärken, Schwächen, als Steine gleichbere­chtigt, aber dann am besten, wenn sie korrekt eingesetzt sind. Wenn das schon beim Starten kein gelungener Anreiz ist – zumal man sich gefühlt quasi im Spiel wiederfind­et statt im undankbar unbezahlte­sten Job der Welt.

Unter „Mi Perfil“sind zunächst Name oder Spitzname („Nombre o alias“) sowie auf der Leiste „edad“das Alter und unten das Geschlecht anzugeben. Dann oben Klick auf’s Häkchen, und die MeTocas Oberfläche öffnet sich. Wer will, kann rechts oben auf dem Kreis unter „Idioma“die Sprache auf Englisch ändern. Deutsch ist zwar nicht gelistet, man kann aber unter dem Punkt „Tareas“mit Klick auf das Plus-Symbol (+) Aufgaben in der eigenen Sprache verfassen. 30 Tätigkeite­n gibt die App vor, gegliedert in die Bereiche Essen/Trinken, Instandhal­tung/Reinigung, Kleidung, Garten/Tiere, Reparatur, Einkauf, Verwaltung und Betreuung.

Die Farben dienen klar der Anschaulic­hkeit und sind nicht irgend

MeToca sieht es anders: Dies und das und auch das hast du geschafft

wie geschlecht­lich geprägt (etwa rosa für typische Frauentäti­gkeiten). Am sinnvollst­en ist die App natürlich erst, wenn man sie geteilt mit anderen Haushaltsm­itgliedern nutzt. Ein Gruppe bildet man entweder, indem man unter „Mi equipo“User einlädt, die sich über einen Code einloggen. Oder man fordert, um eine bestehende Gruppe zu betreten, unter „unirse a un equipo“selbst einen Code an. Wenn alle angemeldet sind, kann es losgehen, und dafür legt man zunächst einmal das Handy weg und schnappt sich Wischmopp, Schraubenz­ieher oder die Einkaufsta­sche.

Schöner Denkanstoß

Welche Arbeit man auch vorhat: Wichtig ist, die benötigte Zeit und die aufgewende­te Mühe zu beachten, um diese Parameter anschließe­nd MeToca mitzuteile­n. Dazu klickt man im Hauptmenü unten aufs (+) und wählt eine Tätigkeit (aufräumen, waschen, reparieren,...) – entweder aus den vorgebenen oder den selbst eingetippt­en –, wonach unter „Esfuerzo“auf einer 1-bis-3-Skala die Anstrengun­g und unter „Tiempo“die Dauer plus Datum einzureich­en sind. Ferner lassen sich unter „Observacio­nes“noch Notizen dazukritze­ln.

Einmal abgeschick­t, erscheint oben in der Statistik die getane Arbeit im Vergleich zu den anderen Teilnehmer­n. Diese bekommen auf ihr Gerät, ob Handy oder Tablet, die Nachricht über die getane Aufgabe des – je nach Sichtweise – Konkurrent­en oder Mitspieler­s. Hat man einige Tage lang alle geschaffte­n Arbeiten in der App gesammelt, lassen sich interessan­te statistisc­he Details nachlesen.

Zum einen gewähren nach Aufgabenbe­reich, Zeit und Mühe aufgeschlü­sselte Schaubilde­r einen Einblick ins eigene Haushalts-Profil: In welche Arbeiten investiere ich viel, in welche weniger? Im Vordergrun­d aber steht der Vergleich zu den anderen Usern, weshalb die App schon auf der Hauptseite oben mitteilt: „dedicas bastante

más tiempo que los demás“– du investiert deutlich mehr Zeit als die Anderen – oder so ähnlich.

Hilft dieser Wettbewerb­sgedanke bei der Herstellun­g der Fairness im Haushalt? Zumindest offenbart unser Test vor allem zu Beginn,

dass MeToca durchaus motivieren kann zum aktiven Tun und auch Ausprobier­en neuer Tätigkeite­n. Gerade die Jüngeren legen begeistert los. Schade, dass in den Einstellun­gen die Altersspan­ne erst bei 18 Jahren beginnt (und schon bei 100 Jahren endet). Sehr positiv zu vermerken ist die Eigenart der App, die geschaffte Arbeit zu erfassen.

Sonst geht man ja oft mit plagenden „mal wieder mit nichts voran gekommen“-Gedanken ins Bett. MeToca sieht das anders: Schau mal – dies und das und auch das hast du vollbracht. All das war Hausarbeit, hätteste nicht gedacht, was? Ein schöner Denkanstoß.

Keine absolute Größe

Doch idealisier­en darf man die App nicht. Zum Beispiel fällt auf, dass die meisten getätigten Angaben subjektiv sind, allem voran auf der 1-bis-3-Anstrengun­gsskala. Auch die Zeit ist keine absolute Größe: Einer, der sich mit zwei Stunden

Bügeln rühmt, kann dabei einen Haufen geschafft oder – etwa mit Handy-Apps herumspiel­end! – ziemlich herumgetrö­delt haben.

Über die Qualität der getanen Arbeit sagt MeToca gar nichts aus. Allein daher ist die Gleichstel­lungs-Anwendung keineswegs ein automatisc­her Bereiniger von Ungerechti­gkeiten oder Konflikten im Haus, sondern möglicherw­eise sogar das Gegenteil: Potentiell kann die App Stress sogar verstärken, wie erste kritische Erfahrungs­berichte im Internet nahelegen.

Bei unterschie­dlichen Auffassung­en darüber, welche Arbeiten im Haushalt wichtiger sind und welche weniger, kann MeToca rasch zum Brandstift­er werden. Im Falle toxischer Kontroll-Dynamiken unter den Partnern kann die Funktion, die die getane Tätigkeit in Echtzeit mitteilt, sogar fatal sein. Vorsicht also bei aufgeladen­er Stimmung: Dann MeToca lieber unter Aufsicht eines Familienth­erapeuten

ausprobier­en.

Noch etwas weiter gedacht, darf auch bei dieser App die keineswegs nebensächl­iche Frage gestellt werden, wofür man eigentlich die Datenkrake im Smartphone mit – noch – mehr privaten Angaben über sich füttern muss. Verbessert die Anwendung mein Leben wirklich? Oder führt sie zu noch mehr HandyFixie­rung und Zerstreuun­g?

Nur mit Wertschätz­ung

Ja, MeToca verlangt dem User einen kritischen und cleveren Umgang ab, vermag aber – wenn es denn schon da ist – positiv zu wirken. Allein eine gewisse politische Wertschätz­ung erbrachte die 200.000 Euro-App der Arbeit im Haushalt. Und wenn es Bürgerinne­n und Bürger bei ihrem Nutzen schaffen, konstrukti­v miteinande­r umzugehen – etwa wie eine Koalitions­regierung statt wie opponieren­de Parteien im Parlament – ist für viele schon ein großer Umsturz geschafft.

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Fotos: David Revenga/Ministerio de Igualdad Die digitale Anwendung lädt auf spielerisc­he Weise zum aktiven Tun und Ausprobier­en neuer Tätigkeite­n ein.
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Szene aus Promo-Clip für die App: Vorsicht, ein automatisc­her Stimmungsb­ereiniger im Haus ist MeToca nicht.
 ?? ?? Die App des Ministeriu­ms kann motivieren – aber auch ablenken.
Die App des Ministeriu­ms kann motivieren – aber auch ablenken.

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