Costa del Sol Nachrichten

„Der verlorene Berg“

Nationalpa­rk Ordesa - Monte Perdido: Alpines Flair in den spanischen Pyrenäen

- Ingrid Lechner Huesca

Sind wir auch hier an der Mittelmeer­tküste Spaniens mit der Konstellat­ion „ Berge und Meer“mehr als zufrieden, so sehnt man sich doch ab und zu nach den Alpen. Dort wo Murmeltier­e rufen, Gämsen springen, Alpenrosen, Edelweiß und Enzian blühen und Wasserfäll­e die Bergtäler in eine Traumlands­chaft verwandeln. Um das auch in Spanien zu erleben, muss man die Pyrenäen ansteuern, die in ihrer Schönheit und Vielfalt in keinster Weise unseren Alpen nachstehen. Und hier findet man viele fasziniere­nde Bergregion­en. Eine davon ist der Nationalpa­rk Ordesa – Monte Perdido in der Region Aragon.

Manchmal genügt schon ein einziger Besuch, um von einem Landstrich fasziniert und verzaubert zu sein. So wird es Ihnen ganz sicherlich mit dieser Gegend ergehen, die seit 1997 zum Unesco Weltkultur­erbe zählt und durch tiefe Schluchten und schroffe Felsformat­ionen

besticht. Grüne Wälder und Wiesen erstrecken sich bis an die kargen Felswände, wo auch im Frühsommer noch der Schnee in der Sonne glitzern kann.

Schon Victor Hugo beschrieb dieses höchste europäisch­e Kalksteing­ebirge voller Begeisteru­ng als ein „Kolosseum der Natur“. Die dichten Wälder bieten Wölfen, Gämsen, Rehen, Hirschen, Auerhühner­n,

Geiern und Steinadler­n Zuflucht. Aber ohne Wasser kein Leben und ohne Regen kein Grün! Deswegen muss man dort immer mal, speziell im Sommer, mit plötzlich aufkommend­em Gewitterre­gen rechnen.

Mittelalte­rliche Kleinstadt

„Ob ich wohl diesmal endlich einen Bartgeier sehe?“Das war mein

Gedanke, als ich mich dem hübschen Städtchen Aínsa näherte, dem immer mein erster Besuch in dieser Gegend gilt. Dieses Städtchen, die Hauptstadt des früheren Königreich­s Sobrarbe, welches im 11. Jahrhunder­t in das Königreich von Aragón eingeglied­ert wurde, ist ein herrliches Beispiel für den mittelalte­rlichen Städtebau und auch das Tor zum Nationalpa­rk

Ordesa-Monte Perdido. Der alte Ortskern mit seinem pittoreske­n Hauptplatz zählt zu den „Pueblos más bonitos de España“und besticht durch seine urigen Gassen und mittelalte­rlichen Häuser. Hier lohnt ein gemütliche­r Bummel, bevor man sich aufmacht, ins Herz des Parks vorzudring­en.

Der Naturpark gliedert sich auf in die westliche Ordesa- und die

östliche Monte Perdido-Zone. Fährt man zuerst nach Westen, sollte man Torla als Ausgangsor­t wählen. Hier findet man einen großen Besucherpa­rkplatz, ein Informatio­nszentrum und im Juli/August einen Busshuttle ins Hochtal Pradera Ordesa. Von dort aus führen Spazier- und Wanderwege durch den Nationalpa­rk und Bergpfade bis hinauf zum 2200 m hoch gelegenen Refugio de Góriz. Von dort aus könnte man über den Bergkamm die Grenze nach Frankreich überschrei­ten oder sich dem dritthöchs­ten Pyrenäengi­pfel, dem 3.355 Meter hohen Monte Perdido annähern, bei dem sich Mythos mit Naturbegei­sterung untrennbar vermischen.

Erstbestei­gung 1791

Dazu erzählte mir Pedro, ein einheimisc­her Bergführer, folgende Geschichte: „ Es war im August 1802, als der Franzose Louis Ramond mit seinen Führern Rondo und Laurens zur vermeintli­chen Erstbegehu­ng auf den „verlorenen Berg“aufbrach. Nachdem sie tagelang auf der Suche nach dem Gipfel im Massiv des Monte Perdido herumgeirr­t waren, erreichten sie völlig entkräftet, jedoch stolz und glücklich den Gipfelpunk­t. Als sie ihre Flagge hissen wollten, kam die große Enttäuschu­ng. Der spanische Kartograph Maury hatte den Berg schon 1791 vermessen und seine Flagge auf dem höchsten Punkt gehisst.

Trotz der schmerzend­en Niederlage war Ramond vom Anblick der Landschaft wie berauscht und fasste seine Eindrücke in dem vielzitier­ten Vergleich zusammen: Selbst wer den Montblanc gesehen hat, kommt um den Monte Perdido nicht herum: Ist jener der König der Granitgebi­rge, so ist dieser der König der Kalkgebirg­e.“

Ich hörte begierig zu, habe ich doch schon oft mit großer Andacht den Monte Perdido bestaunt. Seine Begehung ist auch heute noch immer ein hochalpine­s Unternehme­n, wurde aber durch die Errichtung der Góriz Hütte um einiges erleichter­t. Wird er auch vom 3.404 Meter hohen Aneto und dem 3.375 Meter hohen Posets um einige Meter überragt, drittklass­ig ist der Monte Perdido dadurch keinesfall­s geworden und als wahrer Kultgipfel der meistbegan­gene der Pyrenäen.

Leider ist die westliche Region in den Sommermona­ten sehr frequentie­rt, Parkplätze und Hotelbette­n sind oft Mangelware. Möchte man es etwas weniger überlaufen, wählt man besser die Vor- und Nachsaison oder die nicht weniger interessan­te östliche Seite des Nationalpa­rks.

Um dort hin zu kommen, fährt man entweder über Aínsa zurück oder man begibt sich auf die spektakulä­re HU 631, die vom Dorf Sarvisé abbiegt und quer durch den Park nach Escalona führt. Zwischen der Kreuzung Nerín – Buerba und Puyarruego führt die Straße durch das vielgeprie­sene Valle de Añisclo, wo ab Mitte Juni bis Ende August eine Einbahnreg­elung herrscht. Kurz vor der Einmündung der HU-631 in die Landstraße A-138 zwischen Aínsa und Bielsa könnte man noch nach Escuaín abzweigen, um die gleichnami­ge Schlucht mit ihren bis zu 1.000 Meter senkrecht aufragende­n Felswänden zu bewundern.

Hübsche Bergdörfer

Letztendli­ch wieder auf der A 138 angekommen, fährt man entlang des Rios Cinca in Richtung Frankreich. Etliche hübsche Dörfchen liegen auf dieser Strecke. So wie Lafortunad­a, von wo aus sich ein lohnenswer­ter Abstecher ins Bergdorf Tella anbietet. Hier in dem 1.400 Meter hoch gelegenen Weiler erwartet den Spaziergän­ger eine kurze, aber wunderschö­ne Panorama-Rundwander­ung „Las Ermitas de Tella“mit wirklich fasziniere­nder Aussicht.

Sehr zu empfehlen ist von der A 138 auch ein Abstecher ins Valle de Chistau, wo man sich dem Naturpark Posets Maladeta annähert. Durch einen etwas abenteuerl­ichen Tunnel erreicht man eine Bilderbuch­landschaft mit hübschen kleinen Dörfern und gut markierten Wander- und Spazierweg­en. Die ganztägig besetzte Touristinf­o in Plan hält alle Arten von Informatio­nen für den Urlauber bereit. In diesem Tal wurde ich von einem seltenen Schauspiel

überrascht. Der Himmel verdunkelt­e sich und Hunderte von Gänsegeier­n verließen wie verabredet im Konvoi das Tal. Ein äußerst seltener und mir in diesem Moment unerklärli­cher Anblick.

Im Bürgerktie­g zerstört

Fährt man auf der A 138 weiter in Richtung „Tunel de Bielsa“erreicht man Bielsa, ein WohlfühlBe­rgdorf mit netten Pensionen und einem sehr schönen Dreisterne­hotel. So wie Torla als das Tor zum Valle de Ordesa gilt, ist Bielsa das Tor zum Valle de Pineta und zum östlichen Teil des Ordesa Nationalpa­rks. Im Spanischen Bürgerkrie­g haben Francos Truppen den Ort völlig zerstört, ab 1939 wurde er wieder sehr liebevoll in traditione­ller Architektu­r aufgebaut. Durch die Nähe der Grenze kommen auch französisc­he Tagestouri­sten nach Bielsa, vor allem zum Stadtfest am 15. August, wo man in bunten traditione­llen Kostümen die ganze Nacht durch die engen Gassen tanzt.

Das Schönste an Bielsa aber ist seine Lage. Nahe der Kirche beginnt der 15 km lange Weg am Río Cinca und seinem großen Stausee entlang bis zum staatliche­n Parador Nacional de Monte Perdido. Er liegt in einem gewaltigen Talkessel mit hohen, schneebede­ckten Steilwände­n und tosenden Wasserfäll­en. Wer hochalpine­s Flair ohne hochalpine Strenge sucht, der ist hier im Valle de Pineta bestens aufgehoben.

Seltene Bartgeier

Und hier machte mich ein Ranger auf drei am Himmel schwebende Bartgeier aufmerksam. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Endlich! Auch seine Freude war sichtlich groß und er erzählte mit Begeisteru­ng, dass dieser Geier mit nur 250 Brutpaaren zu den seltensten Vögeln in Europa zählt. Und hier in den aragonesis­chen Pyrenäen fühlt er sich zuhause. Seine Nahrung besteht zu 80 Prozent aus Knochen gefallener Tiere und Aas. Jungtiere sind noch auf Muskelflei­sch angewiesen, aber erwachsene Tiere können sich fast ausschließ­lich von Knochen ernähren. Für Beute, die nicht sofort verzehrt wird, legt er sich eine Vorratskam­mer an.

Aber nicht nur Geier bekommt man zu Gesicht, auch Murmeltier­e, Gämse und viele seltene Vogelarten fühlen sich in dieser urgewaltig­en Bergszener­ie wohl. Auf der grünen Hochebene La Larri sorgen weidende Kühe und Pferde für ein unvergleic­hliches Ambiente und ein wirkliches Alpen-Aha-Gefühl. Eine Wanderung durch das ehemalige Gletschert­al mit Blumenwies­en, grünen Weiden und Kaskaden ist besonders im Frühsommer ein Hochgenuss. Dann sind die Gipfelkett­en noch schneebede­ckt und wetteifern mit den leuchtende­n Blumenwies­en um die Gunst des Betrachter­s.Auch der Herbst ist eine gute Ausflugsze­it. Dann schmücken sich die Laubbäume mit einem bunten Kleid und warten, vom Sommer Abschied nehmend etwas melancholi­sch auf den herannahen­den Winter.

Ja den Abschied hat man natürlich immer im Gepäck. Als ich mich an meinem letzten Wandertag gedanklich von dieser wunderschö­nen Region verabschie­de, kreisen schwerelos „meine drei Bartgeier“über mir. Ich konnte meinen Blick nicht von ihnen abwenden, es kam mir vor, als wollten sie mir sagen:“komm doch bald wieder!“Das habe ich versproche­n….

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Fotos: Ingrid Lechner Der Nationalpa­rk im Norden von Aragón ist ein Paradies für Wanderer.
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Die Natur zeigt sich von ihrer attraktivs­ten Seite.
 ?? ?? Die Dörfer sind eines schöner als das andere.
Die Dörfer sind eines schöner als das andere.
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Weidende Kühe sorgen im Nationalpa­rk für ein Alpen-Gefühl.
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Landschaft­lich hat die Bergregion viel zu bieten.

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