Rückzug der Chemiekeule
Beim Bioanbau ist Spanien ganz vorn mit dabei – Kleine Landwirte wenden altes Wissen an, die große Industrie zieht nach
Vorne seine Orangenplantagen, im Hintergrund das Mittelmeer: Die Aussicht, die Vicente Faro von der Terrasse seines Landhauses aus genießen kann, ist wunderschön. Weniger ästhetisch, aber dafür umso nützlicher ist das, was sich in einem kleinen Raum in dem alten Landhaus vor der Plantage verbirgt. „Hier züchte ich Mikroorganismen“, sagt Vicente Faro kurz beim Blick auf die riesigen Kanister und das für Außenstehende undurchschaubare System von Schläuchen und Schaltanlagen. „Gemischt mit Regenwasser bieten sie den besten Dünger.“Rein biologisch natürlich, wie alles beim Anbau von Zitrusfrüchten auf seinen fünf Hektar großen Felden zwischen Pego und Oliva.
Vicente Faro ist praktisch mit der Landwirtschaft großgeworden. „Schon mein Großvater und mein Vater haben Zitrusfrüchte angebaut“, erzählt er, während er sich, zurück auf der Terrasse mit Blick auf die Plantagen, ein Stück Vollkornbrot
mit Schinken zubereitet. „Biodiversität ist wichtig“, sagt der Spanier und zeigt auf das Sammelsurium an Pflanzen, die unter und zwischen den Orangenbäumen wild um sie herum wachsen. Unkraut, würde manch einer sagen. Ein Wort, das wohl kaum einem Biobauern über die Lippen kommen würde. „Kraut ist Kraut, und ein jedes gibt es aus gutem Grund“, stellt Faro klar.
Auch bei den Bäumen selbst herrscht Diversität. „Das ist wichtig. Wenn in einer Monokultur eine Plage ausbricht, sind gleich alle Bäume auf dem Feld betroffen.“Bei ihm dagegen mischt sich hier ein Avocadobaum unter die Orangen, dort ein Mispelbaum, „der blüht auch im Winter für die Insekten“, dazwischen Lorbeersträucher, „die ziehen Plagen an“, und manch eine Überraschung, die sich von selbst dazwischen schummelt. Grüne Minze zum Beispiel, „die lege ich vorne ins Auto, das riecht wunderbar“.
Doch zurück zu den Anfängen. „Der Beruf des Landwirts war für mich keine wirkliche Entscheidung“, sagt Vicente Faro, der seit 2021 auch Vorsitzender des Komitees für ökologische Landwirtschaft der valencianischen Landesregierung (CAECV) ist, dem die Zertifizierung biologischer Produkte untersteht. Dabei war er zunächst Zahntechniker und Berufsschullehrer, bevor die Landwirtschaft dazukam und er auch noch Forstwirtschaft studierte. Seit zwei Jahren ist Vicente Faro Rentner,
Landwirtschaft betreibt er aber weiterhin.
„Als mein Vater damals krank wurde, wollte er, dass ich die Felder übernehme. Ich habe es nur unter der Voraussetzung gemacht, dass ich radikal anders vorgehe.“Also bio statt konventionell. „Das war um das Jahr 2000, da gab es hier fast noch keinen Bioanbau. Ich musste mir alles selbst beibringen und es gab eine Menge Kritik von außen.“Dabei war es doch eigentlich nichts Neues, was er auf die alten Felder brachte. „Meine Landwirtschaft heute ist traditioneller als alles andere. Wie damals, als es noch keine Chemie gab.“
Aufschwung im Bioanbau
Mehr als 20 Jahre später ist das, womit er als Einzelkämpfer begann, die Zukunft. Und das allen voran in der Region Valencia. Allein zwischen 2012 und 2022 ist die Anbaufläche für ökologische Landwirtschaft hier laut des aktuellen Jahresberichts aus dem Biosektor um 129 Prozent gewachsen, zwischen 2015 und 2022 ist der Umsatz um 373 Prozent gestiegen. In 501 der insgesamt 542 valencianischen Ortschaften wird irgendeine Art von zertifiziertem Bioanbau betrieben. Mit 20,5 Prozent der Gesamtanbaufläche ist der Sektor dem von der EU für 2030 gesteckten Ziel von 25 Prozent erstaunlich nah und liegt damit 10,5 Punkte über dem Bioanbau-Anteil in Spanien (zehn Prozent) und zwölf über dem in Europa (8,5).
Doch auch in ganz Spanien hat
die Bio-Landwirtschaft in den vergangenen zehn Jahren immerhin um 50 Prozent zugelegt. Ähnlich sieht das Wachstum in der gesamten EU aus – wo Spanien allerdings mittlerweile von Frankreich von seiner bisherigen Spitzenposition verdrängt wurde.
„Wir sind es gewohnt, eine Plage sofort zu bekämpfen, wenn wir sie entdecken“, sagt Vicente Faro. „Damit töten wir aber nicht nur die Plage, sondern auch ihre natürlichen Feinde.“Die ökologische Landwirtschaft funktioniere anders. „Wenn ich eine Plage sehe, bewahre ich die Ruhe“, sagt er mit betonter Gelassenheit. Beim Bioanbau gehe es darum, vorzubeugen statt zu attackieren. In der Praxis heißt das für den Landwirt, dass er regelmäßig analysiert. Den Boden, die Pflanzen, die Blätter, das Wasser. „Wenn man den Bäumen schon ansieht, dass es ihnen an etwas mangelt, ist es zu spät. Du musst es vorher wissen, um rechtzeitig etwas unternehmen zu können.“
Neue Chance für Felder
Man müsse die Plagen „verstehen, um vorzubeugen“, sagt knapp 20 Kilometer von den Feldern Faros entfernt auch José Manuel Bisetto und erzählt von Kalk und Kupfer gegen Pilze, von Bakterien gegen Raupen, von Eisen gegen Schnecken. „Man braucht ein unglaublich großes Wissen, und selbst dann passiert es, dass eine Ernte verlorengeht, zum Beispiel durch Hagel. Reich wird man damit nicht. Ich mache es, weil ich es gerne mache.“
Eine Einstellung, mit der José Manuel Bisetto es immerhin zu einem Vorzeige-Biobauern in der Marina Alta geschafft hat. Ein Bioladen in Jalón geht auf sein Konto, er beliefert Schulkantinen mit Biogemüse und hat einen Laden praktisch direkt auf sein Feld in Benidoleig gestellt. Frischer geht es nicht.
Antrieb, sich dem Bioanbau zu widmen, gab ihm unter anderem die wachsende Zahl verwilderter Felder, denen er eine neue Chance geben wollte – mit nachhaltigen, umweltfreundlichen Methoden, „die schon mein Großvater angewandt hat“, sagt er. Und auch beim Direktverkauf auf dem Feld geht es traditionell zu. Wobei die wenigsten Kunden aus dem Dorf selbst kommen. „Es sind vor allem Ausländer“, sagt er. „Viele Deutsche, Belgier, Franzosen, Engländer. Und Spanier, aber nicht von hier, sondern oft aus anderen Teilen des Landes, die bewusst in diese Gegend gezogen sind, um ihr Leben zu ändern. Menschen, die Wert auf gesunde Ernährung legen.“
Dass die Mehrheit der spanischen Bioprodukte von Nicht-Spaniern gekauft werden, zeigen auch die offiziellen Zahlen des Bio-Jahresberichts.
So werden nur 16 Prozent der im Land Valencia angebauten Bioprodukte in der Region selbst konsumiert, 18 Prozent in anderen Teilen Spaniens und 65 Prozent im Rest der Welt. Um den Anteil im eigenen Land zu erhöhen, sind neben den Schulkantinen wie denen, die Bisetto beliefert, auch Kantinen in Seniorenresidenzen, Krankenhäusern oder in anderen öffentlichen Einrichtungen im Gespräch. Zum Beispiel, indem bei öffentlichen Ausschreibungen für diese Institutionen Anbietern von Bioprodukten der Vorrang gegeben wird. Dass das möglich ist, hat das Rathaus von Valencia bereits vorgemacht. Und die valencianische Landesregierung zog Ende vergangenen Jahres, also vor dem Regierungswechsel, mit einem Vorschlag nach, laut dem mindestens 15 Prozent der Produkte in Schulkantinen aus ökologischer Landwirtschaft stammen sollen.
Doch es sind auch die Alltagsgewohnheiten jedes Einzelnen, die
sich ändern müssen. „Wir sind es gewöhnt, im Supermarkt einzukaufen, wo es alles gibt“, sagt Bisetto. Doch wer nachhaltig einkaufen will, muss sich, in seinem Fall, auch mal für das Gemüse direkt aufs Feld oder eben in verschiedene kleine Läden begeben.
Und zwar selbst dann, wenn der Biosalat mittlerweile auch im Discounter zu haben ist. Denn dass ökologische Produkte die Zukunft sind, in die auch die EU mit Maßnahmen, Vorschriften und finanziellen Hilfen drängt, hat längst auch die große Industrie verstanden. „Die intensive, industrielle Landwirtschaft setzt mittlerweile ebenfalls auf ökologischen Anbau, kann aber natürlich billiger produzieren als wir lokalen Landwirte“, sagt Bisetto. Womit sich das Problem,
das die „Kleinen“schon im konventionellen Anbau haben, auch in die biologische Produktion verlagert: Der eine produziert im Kleinen vor Ort und für den Ort, der andere im Großen für die ganze Welt. Der eine kämpft täglich um seinen Lebensunterhalt, der andere macht das große Geld.
„Der Kunde muss entscheiden, welches Modell er unterstützen will“, sagt Bisetto, der auch Überzeugungsarbeit leistet, um die Kunden vor Ort für sich zu gewinnen. „Die Menschen sollten zum Beispiel wissen, dass wir auch Landschaftspflege betreiben. Manchmal frage ich vorbeifahrende Radfahrer, ob sie hier lieber gepflegte oder verwilderte Felder hätten. Wer seinen Salat bei uns kauft, investiert eben auch in die Landschaft.“
Im Gegenzug müssen auch die Bio-Landwirte einiges investieren, zumindest wenn das Gemüse auch offiziell bio sein soll. Das Zertifikat, das das CAECV vergibt und vor dem nach wie vor viele „inoffizielle“Biobauern zurückschrecken, ist trotz Mühe und Extrakosten für José Manuel Bisetto ein Muss. „Den Käufern auf meinem Feld ist das egal, für sie zählt das persönliche Vertrauen. Aber an Schulkantinen könnte ich ohne den Stempel nicht verkaufen“, sagt er. 800 bis 1.000 Euro zahle er dafür im Jahr, dazu kommen Gutachten, Inspektionen, Dokumentationen. Auch das wirkt sich auf den Endpreis des Produktes aus. „Aber ich finde die Zertifizierung wichtig, um den Sektor zu regulieren.“
Tatsächlich seien es vor allem die Papiere, die viele Landwirte vor dieser Zertifizierung abschrecken, weiß Vicente Faro. „Viele bewahren ihre Papiere und Rechnungen nicht auf und haben dann ein Problem mit der Dokumentation“, sagt er. Vor allem älteren Landwirten fällt die Ordnung in den Papieren offenbar oft schwer. Vielleicht ist auch das ein Grund dafür, dass das Durchschnittsalter von Bio-Landwirten im Vergleich zu konventionellen Landwirten relativ gering ist? 48 Jahre sind die Personen, die ihren Anbau im Land Valencia bio-zertifizieren lassen, laut des aktuellen Jahresberichts im Durchschnitt alt, in der konventionellen Landwirtschaft liegt das Durchschnittsalter bei 64.
Junge rücken nach
Für Vicente Faro ist diese Verjüngung allerdings eher ein weiteres Indiz dafür, dass hier die Zukunft liegt. Was für eine Generation noch eher die Ausnahme war, ist für die kommende Standard. „Wenn man heute junge Menschen, die Landwirt werden wollen, danach fragt, werden sie mit Sicherheit kein Gift auf ihren Feldern wollen.“Und übrigens sticht nicht nur der niedrige Altersdurchschnitt bei Biobauern hervor, sondern auch das Geschlecht. Der Frauenanteil liegt in der traditionell stark männerdominierten Branche im Biobereich mittlerweile bei 30 Prozent, Tendenz steigend. „Der Bioanbau im Land Valencia löst damit zwei historische Probleme des Sektors“, sagte jüngst die ehemalige valencianische Landwirtschaftsministerin Isaura Navarro: „den Nachwuchsmangel und die Einbindung der Frau“.
Vicente Faro öffnet noch einmal die Tür zu seinen Mikroorganismen. „In 100 Gramm Erde gibt es die gleiche Menge an Mikroorganismen wie Menschen auf der Welt“, sagt er. Wer den Boden mit chemischen Düngern angreife, greife auch die Mikroorganismen an. „Ich möchte den Boden wieder neu bevölkern“, sagt er, und ein abschließender Blick auf seine Plantage zeigt, dass ihm das offenbar ganz gut gelingt. Auch ohne Chemie.
„Reich wird man damit nicht. Ich mache es, weil ich es gerne mache“