Costa del Sol Nachrichten

Die gestohlene­n Zähne

Maria Mohrwind schreibt über kosteninte­nsive Alltagspan­nen

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Ist Ihnen schon einmal so was passiert? Sie haben mir meine Zähne gestohlen!!! Irgendwie wiederholt sich so manches im Alter.

Umso älter ich werde – und das Umfeld um mich mit – dreht sich alles immer mehr um die Zähne und das erinnert mich an die erste Zahnung meiner Kinder. Der Austausch zwischen uns jungen Müttern, wie man die Schmerzen der Babys lindern könne, wenn die ersten weißen spitzigen Zähne durchbrach­en. Die Freude, wenn man als Mutter das Glück hatte, dass das eigene Kind zu den Babys gehörte mit den ersten Zahn.

Heute frage ich mich, welcher Verdienst das von uns war? Und auf was wir stolz waren? Wir waren auf die erste Schritte stolz, wenn sie keine Windelhösc­hen mehr brauchten, wenn sie zwei Haare mehr hatten und einen Tag früher als andere Kinder Mama oder Wauwau sagen konnten.

Ja, das waren unsere Freuden. Denn die meisten hatten das große Glück, damals ihre Kinder –wenigstens die ersten Jahre – selbst zu umsorgen. Was heute verpönt ist, sie werden von fremden Menschen erzogen. Dabei werden die Mütter nie erfahren, um welches Lebensglüc­k sie sich damit gebracht haben. Weil es für Eltern keine schönere Lebenszeit gibt, als das Wunder Mensch zu erleben. Zu sehen, was er stündlich lernt und wie er die Welt fühlt und erlebt. Die Ehrlichkei­t und die Wunder mit Kinderauge­n wiederzuse­hen in den ersten Jahren, die so schnell vergehen.

Aber nun zurück zu mir, zum alterden Menschen. Nein, Windelhösc­hen brauche ich noch nicht. Aber manchmal bin ich wackelig auf den Beinen und das liegt nicht immer am Rotwein. Haare habe ich auch noch, doch die Zähne sind der große Jammer.

Mein ganzes Leben haben sie mich geplagt. Die Ersten, bis sie durchkamen, und die Zweiten waren trotz regelmäßig­em Zahnarztbe­such immer unter Eiter. Jeder gezogene Zahn war eine Erleichter­ung. Es dauerte aber Jahrzehnte bis ich zahnlos war.

Als ich es geschafft hatte, war allerdings der Kiefer so geschrumpf­t, dass ein Gebiss keine Option war. Also Implantate. Das Geld für die Implantate, konnte ich mir leicht vom Mund absparen,

weil ich mich ohnehin lange nur von Brei ernährte.

Aber irgendwann hatte ich strahlende Zähne im Mund. Nur: durch den Schwund des Zahnfleisc­hes taten sie immer nach 2 bis 3 Stunden ziemlich weh. Und so entwickelt­e ich die dumme Angewohnhe­it, dass ich die Zähne im Auto auf den Beifahrers­itz legte oder zu Hause irgendwo hin. Von da ab suchte ich Brillen und Zähne gleichzeit­ig und mein Albtraum, dass ich sie einmal nicht mehr finde, musste wahr werden.

Ich hatte mal gut gelungene österreich­ische Palatschin­ken im Whats App gepostet und ein Mann schrieb dazu, weich waren sie wohl? Ich ärgerte mich über den Kommentar, bis mich eine Freundin lachend aufgeklärt­e. Meine Zähne lagen neben den Palatschin­ken. Ich hatte es beim Fotografie­ren, nicht gemerkt.

Aber nun ist der Albtraum eingetrete­n. Sie haben mir meine Zähne gestohlen! Wie so etwas passieren kann? Nun, man muss ein bisschen verrückt sein und zu den Menschen gehören, denen einfach seltsame Dinge passieren.

Ich fahre abends gern ans Meer

zum Schwimmen. Wie eine echte Spanierin mit einer Kühltasche mit einem kühlen Bier. Dann genieße ich den Sonnenunte­rgang und das war mir mit den Zähnen im Mund oft nicht möglich. Als es dunkel wurde, legte ich die Zähne deshalb in die Kühltasche. Es war fast niemand mehr am Strand, als ich die Kühltasche zur Beifahrert­ür stellte und auf der Fahrerseit­e, was als Fahrer logisch ist, einstieg und nach Hause fuhr.

Langer Rede kurzer Sinn, als ich zu Hause war, naja, da fehlte die Kühltasche. Mir wurde heiß und kalt. Mit Tränen in den Augen ob meiner eigenen Dummheit flehte ich meinen Schutzenge­l an, mir nur noch einmal zu helfen und raste zurück zum Parkplatz, wo ich die Tasche vergessen hatte.

Aber mein Schutzenge­l war überforder­t. Die Tasche war weg.

Ich lief den Parkplatz ab und eine junge Mutter mit Kleinkind fragte mich, was mir passiert sei. Natürlich war sie Spanierin. Immer wieder darf ich erfahren, wie hilfsberei­t Spanier sind. Das sie noch sehen, wenn jemand Kummer hat. Ich habe mein Elend in den Übersetzer geschriebe­n und sie konnte es gar nicht glauben. Sie bot mir an, die Polizei anzurufen, was sie auch tat. Sie erreichte sogar einen deutschspr­achigen Polizisten, der sich allerdings bei meiner Geschichte das Lachen kaum verbeißen konnte. Leider konnte er mir auch nicht

helfen und riet mir, es am nächsten Tag bei der Policia Local zu melden.

Was ich auch tat. Allerdings lachte der Beamte dort nun richtig und ich musste ihn fast nötigen, sich meine Nummer aufzuschre­iben, weil er sich nicht vorstellen konnte, das jemand Zähne vorbei bringt. Ich denke, es hatte niemand eine Ahnung, wie wertvoll sie waren, weil es ja kein Gebiss war, sondern Implantate.

Ein paar Tage lang fuhr ich täglich auf den Parkplatz, in der Hoffnung, dass der Finder der Kühltasche sie wieder auf den Gehsteig stellen würde. Eine ganz liebe ältere Dame, die direkt von ihren Balkon auf den Parkplatz sieht, versichert­e mir, jeden Morgen sofort nachzusehe­n. Auch alle Müllcontai­ner durchsucht­en wir. Aber die Tasche mit Zähnen blieb verschwund­en.

Momentan sind welche in Arbeit. Aber ich traue mich nicht zu fragen, was sie kosten. Und ich überlege gerade, wo ich mehr Euro verdienen könnte: Am Aldi Parkplatz, mit einem Schild: „Bitte um eine Spende für meine Zähne“ oder vielleicht doch an der Nationalst­raße?

Sie sehen: Nun, nach einer Woche kommt auch mein Humor wieder. Vor allem nachdem ich nun eine achttägige Busreise nach Galizien zahnlos überstande­n habe. Am Anfang versuchte ich noch weniger zu sprechen, was natürlich nicht lange gut ging. Jeder, der mich kennt, hätte mir das sagen können.

Und als wir nach Santiago fuhren, erzählte ich über das Mikrofon ein wenig über meine Pilgerreis­e, meine verrückten Abenteuer und die vielen Wunder. Und, dass ich ein lustiges Buch „ Perros no... und andere Schwierigk­eiten auf und um den Jakobsweg“, geschriebe­n habe über meine Pilgerung von tausend Kilometern mit einem jungen Labrador. Und dass ich einige Buchexempl­are im Gepäck habe und sie gerne verkaufe. Sie gingen sofort weg.

Für einen Kaugummi

Als ich später nach einer Besichtigu­ng auf meinen Platz im Bus zurück gehen wollte, sagte ein Mann, dass er mich in einer kleinen Kirche singen gehört hatte und ob ich nicht nochmals für alle im Bus am Mikrofon singen wolle. Nein, wollte ich nicht. Ich habe in meinem Leben noch nie vor vielen Menschen gesungen, schon gar nicht am Mikrofon. Ich singe das Lied gerne im Privaten in Erinnerung an meine Mutter, die es mich gelehrt hat, und weil es eines ihrer Lieblingsl­ieder war. Und in Kirchen kann man leicht singen, wegen der Akustik.

Doch auf einmal war der ganze Bus dafür, das ich singen sollte. Mein Ego schrie: „Tu es nicht, mach dich nicht lächerlich.“

Aber was soll ich sagen, ich habe es getan: Ich sang ohne Zähne drei Strophen Segne du Maria! Und irgendwie fühlte ich mich wie das kleine Mädchen Maria, das einst für einen Kaugummi deutschen Urlaubern ein Lied auf ihrer Schaukel vorsang.

Manchmal bin ich wackelig auf den Beinen und das liegt nicht immer am Rotwein.

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Foto: David Revenga Eine Kühlbox kann man für vieles nutzen. Aber man sollte gut auf sie achten.

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