Costa del Sol Nachrichten

Im frühesten Herbstdunk­el

In Spanien wächst das Bewusstsei­n für Kinder, die vor der Geburt sterben – Ein Wandel, der Tabus bricht und aneckt

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Stefan Wieczorek

grundlegen­de Rolle im Umgang mit dem Leid. „Schrecklic­he Ausdrücke“hätte es gerade im administra­tiven Bereich gegeben. Als „criaturas abortivas“(abortive Kreaturen) wurden die Totgeboren­en bisher in einer anonymen Akte eingetrage­n.

Doch ein Wandel ist im Gange. Im August ordnete Spaniens Regierung an, nach dem sechsten Schwangers­chaftsmona­t gestorbene Föten im Standesamt (registro civil) einzutrage­n. In neuer Form, als „nacidos sin vida“(leblos Geborene), und, falls gewünscht, mit Namen und Urkunde für die Eltern. Größere juristisch­e Folgen hat das bereits 2011 verabschie­dete, nun erst in Kraft getretene Gesetz zwar nicht. In das Familienbu­ch (libro de familia) etwa gelangen die kleinen Verstorben­en noch nicht. Doch ist es ein bemerkensw­erter, mehr als nur symbolisch­er Schritt zu ihrer persönlich­en Anerkennun­g – und gegen das große Tabu.

Höhe der Gefühlskäl­te

Einen regelrecht­en Frühling erlebt in Spanien die Bewegung des Duelo gestaciona­l, perinatal y neonatal, also der Trauer um in der Schwangers­chaft, rund um die Geburt und kurz danach verstorben­e Kinder. Ihren internatio­nalen Tag am 15. Oktober begingen in ganz Spanien Betroffene mit Blumen, mit verzierten Steinchen, symbolisch­en Gesten – vielerorts sogar an festen, zum Gedenken der Sternenkin­der errichtete­n Denkmälern. 2021 entstand Fedup, die die spanischen Kollektive des Bereichs vereint, darunter schon zehn Jahre alte wie El hueco de mi vientre – Die Leere in meinem Bauch – und jüngere, wie das von Almudena Cruz aus Alicante.

Vor fünf Jahren hatte ihr persönlich­es Drama sie auf den Weg geführt. „In der 21. Woche hörte das Herz meines Kindes zu schlagen auf“, erzählt die Spanierin. Als sie im Krankenhau­s davon erfuhr, sei sie innerlich zusammenge­brochen. Verstörend reagierte der Arzt: „Sie hätten sicher auch gern ein besseres Auto. Aber man kann nicht alles bekommen. Das sagte er mir – als wäre ich ein Fahrzeug“, berichtet Cruz. Diese Höhe der Gefühlskäl­te sei aber nicht alles gewesen. „Ich konnte mich nicht von Kilian, meinem Baby, verabschie­den.“Mit Gefühlen, die sie kaum tragen konnte, ging sie nach Hause, zum Mann und dem gerade sechsjähri­gen Sohn – beide ebenfalls im Tiefsten erschütter­t.

Zum Glück stieß die Alicantine­rin auf eine Hebamme und eine andere Mutter, mit der sie die Erfahrung positiv verarbeite­te. Bald gesellten sich mehr Menschen, die Ähnliches erlitten, hinzu. Und so wurde „Mein kleiner beflügelte­r Engel“geboren. Beachtlich, wie der Verein mittlerwei­le gewachsen ist: „Wir sind eine Gruppe von Müttern, Krankensch­western und Spezialist­en, etwa für Psychologi­e. Auch steht uns eine Übersetzer­in, die Englisch, Französisc­h und Deutsch kann, zur Verfügung“.

„Soll ich ihm jetzt sagen, das war nicht dein Bruder, sondern irgend etwas, das in Mamas Bauch war?“

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Fotos: Stefan Wieczorek/Ángel García Am 15. Oktober begingen Betroffene den Tag ihrer Sternenkin­der, inklusive auf Steinchen geschriebe­nen Namen..
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Ein Schatten auf der Seele ist die unverarbei­tete Trauer.

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