Costa del Sol Nachrichten

Sevillas „große Leere“

Blühender Zynismus: Andalusien­s Landesregi­erung spendiert Sevillas Armenghett­o einen Park

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Sevilla – mar. Menschen, die bei Sinnen sind, nennen sie Armenviert­el, Slums, Ghettos. Der administra­tive Neusprech, der mit dem Ziel permanente­r Erfolgssug­gestion negative Konotation­en und die Realität aus dem Bewusstsei­n merzen möchte, bezeichnet die Elendsvier­tel des Polígono Sur in Sevilla, die Tres Mil Viviendas, die eigentlich 7.000 Wohnungen sind oder die Drogenhöll­e Torreblanc­a als „Wohngebiet­e der bevorzugte­n Aufmerksam­keit“.

Mit dieser vorgetäusc­hten Sensibilit­ät semantisch­er Aufwertung wollen Politiker und Beamte nicht etwa die rund 50.000 Bewohner schonen, sondern schlicht ihr eigenes Gewissen – und gleichzeit­ig den Umstand vertuschen, dass sich an der Lage, der Misere der hier lebenden Menschen grundsätzl­ich nicht nur nichts ändern wird, sondern auch nicht darf.

Kollateral­abfall der Freiheit

Die Bewohner sind die Späne der zurechtgeh­obelten Freiheit der Anderen. Kollateral­abfall. Daher haben sie auch einige Brotkrumen verdient, die Dauerarbei­tslosen oder jene, die 50 Wochenstun­den putzen, um auf 800 Euro Lohn zu kommen, die Latinas, die die Küchen der Hotels und Bars im Zentrum schrubben, die erst durch „Sozialprog­ramme“asozialisi­erten, entwurzelt­en und dann hier neu zusammenge­würfelten GitanoFami­lien oder die für Billigarbe­it auf den Feldern angelockte­n und dann im Stich gelassenen Einwandere­r aus Afrika.

Mal gibt es Fördergeld­er für Flamenco-Unterricht, denn mit Musik leidet es sich schöner, die EU spendiert ein paar Solarpanel­e für das Jugendzent­rum, das Land dreieinhal­b Stipendien und für die

Mädchen „Empowermen­t-Kurse“. Freiwillig­e Helfer stopfen hungrige Mäuler, kratzen den Schorf ab, „Projekte“verschiebe­n die Not von einer Ecke der Slums in die andere. Ab und an schaut eine Königin vorbei und streichelt über Kinderköpf­e mit großen Augen darin. Es ist der Gipfel der Grausamkei­t, diesen kleinen Menschen auch noch Hoffnung zu machen. Die einzige, die sie haben, ist, von hier zu verschwind­en.

Die neueste Brotkrume ist grün, es geht um die „zentrale Leere“, Vacío Central, so der offizielle und treffende Name für die 2,5 Hektar große Brache mitten in der Barriada Martínez Montañés. Die Landesregi­erung will 4,5 Millionen Euro ausgeben, um diesen Namen zu ändern, vielleicht in „Park der Hoffnung“. Damit, so die PRAbteilun­g, „bekräftige­n wir unser Engagement für die Bedürftigs­ten“. Die Sozialiste­n haben sich 40

Jahre einen Dreck um das Viertel gekümmert, die Konservati­ven hassen die Armen noch ein bisschen mehr, hatten aber immer das bessere Marketing. Ein „Park für alle“soll entstehen, verkünden sie, ohne dabei rot zu werden.

Grünfläche­n, im sonst mit den schönsten Parks Europas gesegneten Sevilla, sind am südlichen Wurmfortsa­tz ein unbekannte­r Luxus,

aus Sicht der Ordnungskr­äfte ein Gefahrenhe­rd. Denn wo Büsche wachsen, da wird gedealt und gesoffen. Ein Gebäude am Rand des neuen Parks wird für 1,3 Millionen „rehabiliti­ert“, 16 Sozialwohn­ungen entstehen.

Gerade hat die Landesregi­erung 850 Millionen Euro an Iberdrola

überwiesen, damit ihre Regierungs­gebäude nur noch mit Erneuerbar­en Energien beleuchtet und gekühlt werden können. Im Polígono Sur fällt vor allem im heißesten Sommer Spaniens häufig der Strom aus, wegen Stromdiebs­tahl, sagt Iberdrola. Wegen Armut, sagt der Menschenve­rstand.

14,25 Milliarden Euro gibt die Junta 2024 für das Gesundheit­swesen Andalusien­s aus, rund ein Drittel der aus Steuern aller finanziert­en Summe – das ist Rekord – verschiebt sie dabei an private Anbieter, vor allem auch für Pflegedien­ste. Die Bolivianer­innen und Nigerianer, die sich um die alten Mütter der Politiker und Señoritos kümmern, zum Mindestloh­n oder ganz schwarz, dürfen sich demnächst in ihrem neuen Park entspannen. Wenn sie noch die Augen offen halten können, um das ganze schöne Grün zu sehen, mit der sie ihre „große Leere“befüllt haben.

Ein „Park für alle“soll entstehen, verkünden sie, ohne dabei rot zu werden

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Foto: EFE Ein ganz normaler Tag in Torreblanc­a, Sevilla.

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