Aus der Not wird eine Tugend
Politische Rennen um Regierungsbildung oder Neuwahlen – PSOE-Chef Sánchez befragt Parteimitglieder
Madrid – sk. Das Tauziehen um die Regierungsbildung erreicht die entscheidende Phase. Der rechtskonservative Flügel mobilisiert bei Kundgebungen – zuletzt am Sonntag Vox in Madrid und die PP in Málaga – die Massen gegen eine Amnestie und Zugeständnisse, die die nach der Macht greifenden Sozialisten separatistischen Parteien aus Katalonien für deren Stimmen machen könnten. PP und Vox treten lautstark für Neuwahlen ein, die Sozialisten seit Samstag offen für eine Amnestieregelung.
PSOE-Chef Pedro Sánchez befragt offiziell die Parteimitglieder, ob sie hinter der Koalition mit Sumar und dem Abkommen mit Regionalparteien stehen mit dem Ziel, eine Mehrheit für eine Regierung zu bilden. Dem folgt am Montag ein offener Brief des amtsführenden Ministerpräsidenten an die Mitglieder, in dem er seine Gründe für eine Amnestieregelung darlegt.
Nun führt Sánchez das Zusammenwachsen und die Eintracht als Gründe für eine Amnestie an. Aber, mal vorneweg gesagt: Die separatistischen Parteien Junts und ERC nennen die Amnestie als eine Voraussetzung für ihre Unterstützung bei der Wahl von Sánchez zum Ministerpräsidenten. Ohne ihre Stimmen hat er keine Chance. Bevor ihre Stimmen notwendig geworden waren, hatte die PSOE eine Amnestie abgelehnt. Sánchez macht aus der „Not eine Tugend“.
Der rechtskonservative Block hält eine Amnestie für Separatisten für eine Gefahr für die Einheit Spaniens, vergisst aber: Eine Amnestie für Francos Faschisten zählte seinerzeit zu den Säulen, auf denen die Demokratie nach dem Tod des Diktators aufgebaut wurde. Einige dieser Herrschaften hatten mehr auf dem Kerbholz als Puigdemont, Junqueras & Co.
Nun liegen die Karten offen auf dem Tischen der PSOE-Mitglieder und auch der Wähler. Die Zeit läuft. Klappt es bis 27. November nicht mit der Regierungsbildung, stehen Neuwahlen an. Die Resultate der PSOE-Mitgliedsbefragung sollen zum 5. November bekannt gegeben werden. Damit könnte
Sánchez schon in den Wochen vom 6. oder 13. November den ersten Versuch starten, zum Ministerpräsident gewählt zu werden. Dafür muss er 178 Stimmen hinter sich bringen oder es zwei Tage später mit einem weiteren Wahlgang versuchen, bei dem eine einfache Mehrheit genügen würde. Nicht einmal die hat er derzeit sicher.
Am Montag reiste Organisationssekretär Santos Cerdán nach Brüssel, um Justizflüchtling Carles Puigdemont (Junts) weichzuklopfen. Eine harte Nuss. In Katalonien wollen die ERC eine bessere Länderfinanzierung und die Hoheit über den Nahverkehr auf der Schiene. Nichts ist bisher in trockenen Tüchern. „Das sind jetzt die entscheidenden Tage. Die Zeit rennt“, sagte ERC-Sprecherin Raquel Sans.
Die Karten liegen nun offen auf den Tischen der PSOE-Mitglieder