Rückkehr der Straßenkämpfer
In die Verhandlungen mit den Separatisten platzen die Ermittlungen über ihre radikalen Gruppen
Barcelona – sk. Ein Separatist muss kein Puigdemont sein, auch ein ehrenwerter Bürger kann etwa bei Demonstrationen für die Unabhängigkeit eintreten, ein Katalonien-Banner vor seinen Balkon hängen, er kann in Parteien ERC, Junts oder gar in die Cup eintreten und falls er Feuer und Flamme für den procès fängt und nicht nur Worte, sondern Taten sehen möchte. Dann gibt es die CDR – das Komitee für die Verteidigung der Republik – und den Tsunami Democrático.
Manchmal werden diese Trupps mit den baskischen Straßenkämpfern der kale borroka oder den Autonomen verglichen, aber eigentlich sind sie heterogener als etwa die Putzgruppe des ehrenwerten Joschka Fischer. Die CDR und der Tsunami Democrático gelten als Aktivisten dieser komplexen Unabhängigkeitsbewegung. Sie agieren auf der Grundlage des Zivilen Ungehorsams eines Henry David Thoreau, ohne Gewalt aber mit Schmackes. Was sind sie nun. Aktivisten, Chaoten oder Terroristen?
Nun, am Freitag und Montag platzten Ermittlungsrichter des Nationalen Gerichtshofs mitten in die Amnestieverhandlungen mit zwei Fällen, in denen CDR-Aktivisten und der Tsunami Democrático mit terroristischen Aktivitäten in Verbindung gebracht wurden. Ein Zufall könnte man meinen, die Staatsanwalt aber schäumte.
Denn im Tsunami-Fall könnte ERC-Generalsekretärin Marta Rovira und unter Umständen sogar Junts-Chef Carles Puigdemont vernommen werden, mit deren Unterstützung PSOE-Generalsekretär Pedro Sánchez an die Regierung
gelangen und dort auch bleiben möchte.
Während der Unruhen in Katalonien im Herbst 2017 trieben die CDR das Prinzip des Zivilen Ungehorsams
auf die Spitze, mit dem Ziel die Unabhängigkeit Kataloniens zu erreichen. Diese Komitees gehen schon zur Sache, ein CDRler kann auch wie ein Gewerkschaftler Aufklärungsarbeit leisten oder sich andere Weise für die „katalanische Sache“stark machen. Die Grenzen fließen, bei der Spanienrundfahrt etwa in Form
von Öl, das einige Radprofis in den katalanischen Straßengraben beförderte. Einige der verhafteten CDR-ler bastelten Sprengstoff.
Der Tsunami Democratico heizte im Oktober und November 2019 die Massenproteste gegen den Prozess und die Verurteilung der katalanischen Separatisten an, bei denen es zu Unruhen, Streiks und handgreiflichen Auseinandersetzungen kam, mit Hunderten von Verletzen, Verhafteten und Sachschäden in Höhe von über sieben Millionen Euro. In dem vermeintlichen Kampf gegen Unrechtsstaat blockierten separatistische Aktivisten Autobahnen, besetzten den Flughafen und brachten den Betrieb zwischenzeitlich zum Erliegen, es fielen über 100 Flüge aus,
Bei beiden Fällen tun sich Fragen auf. Etwa die der Gerichtsbarkeit. Wenn der nationale Strafgerichtshof ein Verfahren wegen Terrorismus eröffnet, hat das bei einem zukünftigen Amnestiegesetz eine andere Dimension als wenn im Oberlandesgericht der Hammer wegen Ungehorsams fällt.
Die Grenzen zwischen Aktivismus, Sabotage und Terrorismus sind fließend
Jahrelange Ermittlungen
Beide Fälle liegen Jahre zurück, die Ermittler haben wohl separatistische Bewegungen, ihre Struktur und ihre Verbindungen in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft durchleuchtet und das wiederum nährt nach dem Pegasus-Spionagefall die Verschwörungstheorien der Separatisten, die sich vom spanischen Staat verfolgt fühlen.