„Geraubte Städte“
Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum spitzt sich in Spanien weiter zu
Im Mai ist das erste spanienweite Wohnungsgesetz in Kraft getreten. Das hat drei Säulen: Die Deckelung der Mieten in den Großstädten und Zonen mit angespanntem Wohnungsmarkt, eine Preisbremse für überteuerte Eigenheime und die Schaffung von rund 183.000 Sozialwohnungen. Mehr Wohnungen müssen auf den Markt, damit die Menschen eine angemessene Bleibe finden. Ein halbes Jahr später macht sich Ernüchterung breit.
Wie sich auch in Spanien herausstellt, ist der Mietdeckel alles andere als ein Anreiz zum Vermieten. 2023 dürfen Vermieter nur zwei Prozent, 2024 drei Prozent erhöhen. Ab 2025 sollen in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt die Mieten nur noch 30 Prozent des durchschnittlichen Einkommens der Anwohner betragen. Das bedeutet: Wenn eine Familie 2000 Euro verdient, dürfte die Miete nicht höher als 600 Euro sein. Für viele Immobilienbesitzer rechnen sich dann weder Reparaturen noch Renovierungen. Nicht alle sind Investmentfonds, es gibt 6,5 Prozent „vulnerable Vermieter“, das sind Witwen und Rentner, die vom Vermieten leben und auf die Miete angewiesen sind.
Zur absoluten Bremse aber wird der eigentlich gut gemeinte Schutz für den Mieter. Verliert der nämlich seine Arbeit und läuft Gefahr sozialer Ausgrenzung, kann er nicht gekündigt werden, wenn der Vermieter zu den Großbesitzern zählt, also fünf oder mehr Wohnungen vermietet. Dann darf der Mieter auch ohne zu zahlen weiter in der Wohnung leben, bis ein Schiedsgericht vermittelt.
Viele Wohnungsbesitzer lassen ihre Immobilien lieber leer stehen oder verkaufen sie. Der Mietmarkt in Valencia beispielsweise ist um 15 Prozent eingebrochen, berichtet der Maklerverband der Region (Asicval), auslaufende Mietverträge werden nicht verlängert. Oder sie vermieten sie tage- und wochenweise im Sommer an Touristen. Im Wohnungsgesetz sind ausgerechnet die Kurzzeit- oder Ferienvermietungen über InternetPlattformen ausgenommen. Dabei sind sie es, die für die horrend steigenden Mieten in den Innenstädten und in die Höhe schießenden Immobilienpreise mit verantwortlich sind. Für sie gilt der Mietdeckel nun nicht. Sie bleiben ein attraktives Geschäft und auch, wenn die Vermieter keine Genehmigungen haben und erwischt werden, sind die Geldbußen verhältnismäßig lasch.
Die Zeitung „El País“veröffentlichte am 14. Oktober den Leserbrief einer jungen Frau aus Marbella. Sie wohne seit sechs Jahren in der Wohnung und zahle immer pünktlich, schreibt sie. Ihre
Vermieterin rief sie an und sagte, sie müssten innerhalb eines Monats die Wohnung verlassen, sie werde sie als Ferienwohnung vermieten. Als die Frau sagte, sie hätten ein vier Monate altes Kind und sie erwarte ein zweites, gab die Vermieterin der Familie vier Monate Zeit. Die Suche nach einer Wohnung sei hoffnungslos, schreibt die junge Mutter. Wenn überhaupt gäbe es nur welche von September bis Juni. „Wenn das so weitergeht, werden 90 Prozent der Wohnungen meiner Stadt Ferienvermietungen sein, es wird keine Arbeiter, keine Ärzte, keine Lehrer geben“.
Diese Beschreibung der Zustände in Marbella könnte auch aus Berlin, London, Lissabon oder Madrid, Barcelona, Palma oder Dénia stammen. Alle touristisch attraktiven Städte leiden unter dem Boom der Ferienvermietungen. Nicht nur in Palma und Lissabon werden ganze Straßenzüge der Innenstädte teils systematisch aufgekauft. Die ursprüngliche Bevölkerung zieht weg, die Zentren veröden, die
Rollkoffer ziehen übers Pflaster.
Von den 47,5 Millionen Spaniern leben nach Daten von Eurostat 75 Prozent in Eigentumswohnungen, 25 Prozent zur Miete. In Deutschland sind fast 50 Prozent Mieter. Es gibt zwei Millionen Mietwohnungen in ganz Spanien. Davon sind zwei Prozent Sozialwohnungen (VPO), der EUSchnitt liegt bei neun Prozent. Seit 2011 werden in Spanien immer weniger VPO gebaut.
Balearen schreiten voran
Abgesehen von diesem spanienweiten Gesetzes-Vorstoß ist Wohnungspolitik Sache der autonomen Regionen und der Gemeinden. Die Balearen gehen da voran, denn der Wohnraumnotstand auf den vier Inseln ist extrem. Mieten und Kaufpreise sind entsprechend explodiert. Die neue konservative Balearen-Regierung hat im September ein Wohnungsdekret vorgestellt. Die Maßnahmen sollen das Angebot an bezahlbaren Wohnungen für Mittelschicht, Arbeiter
„Wenn das so weitergeht, werden 90 Prozent der Wohnungen meiner Stadt Ferienvermietungen sein“
und junge Leute verstärken und die eklatante Wohnungsnot auf den Inseln lindern.
Zum Kaufen und zum Mieten werden genaue Vorgaben gemacht, denn die Preise reguliert die Regierung, sie sind niedriger als auf dem freien Markt. Dieser HPL genannte Wohnraum wird neugebaut, oder leerstehende Gebäude werden reformiert. Natur und Landschaft sollen nicht weiter besiedelt werden. Stattdessen werden die Bauvorschriften gelockert: Das bedeutet Aufbauten, Umbauten, auch Umwidmungen von Geschäftsin Wohnräume. Obsolete Hotels oder nicht fertiggestellte Bauprojekte sollen in HPL umgewandelt werden.
Ein wichtiger Aspekt: Juristisch nachgewiesen illegal vermietete Objekte können zeitweise versiegelt werden. Das soll der Abschreckung dienen. Um eine mögliche Stilllegung hieb- und stichfest zu machen, fordert der Unternehmerverband der Balearen (CAEB) allerdings noch mehrere Gesetzesänderungen. Im Tourismusgesetz müssen die Ferienvermietungen als kommerzielle Aktivität definiert werden. Solange sie als „touristischer Aufenthalt in Wohnungen“eingestuft sind, gilt die in der spanischen Verfassung garantierte Unverletzlichkeit des Heims. Die zweite Änderung betrifft das Gesetz kommerzieller Aktivitäten, das bislang die Ferienvermietung ausnimmt. Sie muss als kommerzielle Aktivität eingestuft werden.
Vorreiter waren die Balearen auch beim Moratorium, das sie im Februar 2022 in ihrem Tourismusgesetz festschrieben: Vier Jahre lang wird die Bettenzahl auf den vier Inseln eingefroren. Es soll keine neuen Hotelzimmer oder Genehmigungen für Ferienvermietungen geben. Nach dem Regierungswechsel wollen die Konservativen das Moratorium aufheben.
Kanaren folgen den Balearen
Aber auch die Kanaren wollen dem Beispiel der Balearen folgen und streben ein Moratorium neuer Genehmigungen und neuer HotelBetten an. Zumindest in den sogenannten „Zonas tensionadas“, dort wo der Tourismus überhandnimmt und das normale Leben unmöglich wird, wenn der Wohnungsmarkt nicht reguliert wird. Die Bewohner der Kanaren sollen nun erklären, wie sie sich ein neues Gesetz zum nachhaltigen Tourismus vorstellen.
Die Balearen waren im März 2021 die erste Region Spaniens, die leerstehende Wohnungen großer Immobilienbesitzer oder Gesellschaften per Gesetz für sieben Jahre und gegen eine Entschädigung „enteignen“können. In einer ersten Initiative sollten 56 Wohnungen auf den Inseln in Sozialwohnungen
umgewandelt werden. Das Gesetz gibt vor, dass die Eigentümer ein Minimum von zehn Immobilien besitzen und die Objekte mindestens zwei Jahre ungenutzt waren. Es geht also nicht um zeitweise leerstehende Ferienwohnungen, sondern um reine Spekulation. Dennoch wurde das als Eingriff in die private und freie Marktwirtschaft von der damals konservativen Opposition heftig kritisiert.
Im Dezember 2021 lag dann das Ergebnis vor: Von den 56 Wohnungen hat die Balearen-Regierung 16 zeitweise enteignet und sechs per Vorkaufsrecht erworben. Andere erfüllten nach Prüfung die Voraussetzungen für eine Enteignung nicht und 21 wurden von den Gesellschaften verkauft oder vermietet, womit sie nicht länger leer stehen und das Ziel der Regierung erreicht war. Katalonien zog nach und hat im Mai 2023 die Enteignung und Umwandlung in Sozialwohnungen von bis zu 70 Objekten in 14 Gemeinden eingeleitet. Der Prozess ist lang, vor Anfang 2024 dürfte er nicht abgeschlossen sein. Im spanischen Wohnungsgesetz ist die Definition für Großvermieter geändert worden. Jetzt reichen fünf Immobilien, um als solcher zu gelten.
Der Regisseur Pedro Almodóvar, der Madrid in seinen Filmen mehr als ein Denkmal setzt, äußert sich in der Zeitschrift „Icon“erschüttert
über die Entwicklung: „Sie haben uns die Stadt geraubt. Nicht nur die armen Viertel, sondern auch die wohlhabenden. Junge Leute haben keine Chance auf eine Wohnung, und die Mieten werden jeden Tag teurer. (…) Die Gentrifizierung ist schrecklich. Wenn die Städte zu Themenparks ihrer selbst werden, verlieren sie ihre Essenz.“Und die Tendenz hält an.
Um die Auflagen des Wohnungsgesetzes zu umgehen, wandeln viele Eigentümer ihre Wohnungen um und vermieten einzelne Zimmer. Sie unterliegen dann als Kurzzeitvermietungen dem Zivilgesetz. Aber auch diese Wohnungen verschwinden natürlich vom Markt. Die Uni Valencia hat 3.000 Wohnungen Mitte 2022 und 1.500 Anfang 2023 in Valencia gezählt. Das wiederum wirkt sich direkt auf die Preise aus: Betrug die Durchschnittsmiete 2019 noch 938 Euro, liegt sie heute bei 1.500 Euro, 59 Prozent mehr. Andere Quellen resümieren, dass ein junger Valencianer über 70 Prozent seines Arbeitslohns in die Miete stecken muss oder mehr als drei Jahresgehälter nur für die Anzahlung einer Eigentumswohnung.
Die Situation wird immer prekärer. Ausgebaute Lieferwagen, Wohnmobile, einfache Autos oder kleine Zimmer sind kein würdiges Wohnen, wie es die spanische Verfassung in Artikel 47 formuliert. „Alle Spanier haben Recht auf eine würdige und angemessene Wohnung. Die öffentlichen Gewalten (…) regeln die Bodennutzung im Interesse der Allgemeinheit und zur Verhinderung der Spekulation.“Das klingt gut.
Gut klingt auch die schon erwähnte „Unverletzlichkeit des Heims“in Artikel 18 der Verfassung. „Betretungen oder Durchsuchungen dürfen nicht ohne die Einwilligung des Inhabers oder ohne Gerichtsentscheidung vorgenommen werden, mit Ausnahme der Fälle, bei denen es sich um in flagranti festgestellte Delikte handelt.“Obwohl es diese Aufhebung der Unverletzlichkeit gibt, dauert es oft viele Monate oder sogar Jahre, bis Vermieter einen Hausbesetzer aus dem Eigenheim werfen können. Diese sind ein weiteres Problem auf dem Wohnungsmarkt, denn nicht immer werden leerstehende Immobilien besetzt. Manchmal verwandeln sich eigentlich solvente Mieter in Besetzer.
Ein Beispiel aus Benidorm: Eine vierköpfige Familie zieht in eine Wohnung, wohlwissend, dass sie nur fünf Monate dort leben
kann. Das steht im Vertrag. Nach zwei Monaten stellt sie die Mietzahlung ein, nach fünf Monaten zieht sie nicht aus. Der Vermieter schaltet die Behörden ein, aber es dauert fast ein Jahr, bis die konfliktive Familie verschwindet. Die Wohnung muss anschließend von Grund auf renoviert werden. Auch deshalb halten manche Wohnungsbesitzer das Ferienvermieten für sicherer. Die Gäste bleiben ein paar Tage und gehen garantiert wieder. Da kann man Gift drauf nehmen, sagt eine Vermieterin.
Neuster Trend: Einzelne Zimmer statt die Wohnung zu vermieten
Portugal setzt auf Sondersteuer
Aber auch Portugal kämpft mit den Problemen, die dieses Geschäft verursacht. Mit dem Programm „Mais Habitação“(Mehr Wohnungen) versucht das Land seit Juli wenigstens durch eine Sondersteuer von 15 Prozent auf Ferienvermietungen einzuwirken. In großen Gebäuden können die Eigentümer abstimmen und Lizenzen suspendieren, wenn die Vermietungen zu viel Ärger machen. Und Portugal schafft das Goldene Visum 2024 ab. Die Bevölkerung versteht nicht, warum reiche Ausländer auch noch eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten, wenn sie ihnen die Immobilien wegkaufen. Auch die spanische Regierung hat die Abschaffung zwar öfter angedacht, aber noch keine Schritte unternommen.