Die Wiege der Krippenkunst
Barock in Murcia: Gerade in der Weihnachtszeit lockt die Ausstellung mit Salzillos Tonfiguren
Murcia – sl. Einblick in die Vielfältigkeit der barocken Kunst bietet das Museo Salzillo in Murcia. Es zeigt die künstlerische Vision des renommierten murcianischen Bildhauers Francisco Salzillo, dessen Meisterwerke das 18. Jahrhundert prägten. Die Bildhauerei wurde dem Skulpteur 1707 wohl bereits in die Wiege gelegt – sein italienischer Vater galt selbst als Meister der barocken Krippenkunst und bis heute werden Salzillos traditionelle Werke als maßgebliches Vorbild für die grundlegende Ästhetik der spanischen Krippen angesehen.
Auch architektonisch punktet die 1960 eröffnete Kulturstätte durch ihren einzigartigen Aufbau: Der Rundgang beginnt im zweiten Stock, führt spiralförmig abwärts und mündet in der Kirche Jesús, die einen ganz besonderen Teil des Ausstellungsortes darstellt. Was sofort auffällt: Sowohl die konvexe Struktur der Kuppel, die das Kircheninnere überspannt, als auch die Fassaden des Museumsinneren strahlen in einem hellen Indigoblau. Es soll eine Hommage an die traditionellen Häuser in Murcia sein, denen eine Farbveränderung durch die Stimmung des Himmels nachgesagt wird.
Detailreichtum im Ausdruck
In der obersten Etage beginnt die Exposition mit einer beeindruckenden Sammlung von Skulpturen religiöser Natur sowie seidenen Gewändern und Tuniken, die mutmaßlich in der königlichen Seidenfabrik von Talavera de la Reina hergestellt wurden und einen höfischen Anklang aufweisen. Bei der Betrachtung der Plastiken fallen die starken Expressionen und artikulierenden Gestiken auf, die ihnen eine fast lebendige Präsenz verleihen: Detailreichtum, Mimik und feinste Nuancen gelten als des Künstlers Steckenpferd.
Gewänder und die kunstvoll gestalteten Strukturen von Haar und Bart sowie weitere Verzierungen zeugen von dieser präzisen handwerklichen Arbeit. Womöglich sind die Farben vieler Skulpturen im Verlauf der Zeit etwas verblasst, doch es kann ein interessanter Gedanke sein, sich vorzustellen, wie die Strahlkraft der Farben zu Beginn der Herstellung ausgesehen haben mochten. Zudem ist
es unverkennbar, dass Salzillos Werke Geschichten aus der Bibel oder anderen christlichen Narrativen erzählen, wodurch Vorkenntnisse auf kunstgeschichtlichem Gebiet sicherlich sinnvoll, jedoch keinesfalls von Nöten sind. Der Ausstellung weiter folgend, erhalten die Museumsbesucher in einem Filmraum, in dem Prozessionsfiguren während der Osterwoche in Murcia gezeigt werden, Einblick in die kulturelle Bedeutung der Osterfeierlichkeiten in Spanien.
Entlang weiterer Artefakte aus dem Barock eröffnet sich dann schließlich die berühmte Krippenkunst aus dem späten Erbe Salzillos.
Besonders in der Weihnachtszeit gelten das Museum und der Belén Salzillo als Anlaufstelle für Kunst- und Handwerkinteressierte. Mehr als 550 Einzelteile sind in dem Gesamtkunstwerk verbaut, welches Francisco Salzillo zwischen 1776 und 1783 für den murcianischen Adligen Jesualdo Riquelme y Fontes anfertigte und das nach dem Tod des Künstlers (1783) von dessen Schüler Roque López um 1800 fertiggestellt wurde.
Der Belén Salzillo stellt mit seinen etwa 30 Zentimeter großen Figuren aus der Rokoko-Tradition das prägnanteste Beispiel der spanischen Weihnachtskrippe dar und unterscheidet sich nicht nur visuell von der neapolitanischen Krippe sondern auch durch das religiöse Gefühl und die Art und Weise, wie die Krippe Traditionen und Geschichtenreichtum der spanischen Bauernschaft auf eindrucksvolle Weise zu erzählen vermag.
Heutzutage werden die meisten Krippenfiguren in Spanien mit Formgüssen angefertigt, doch auch handgemachte Einzelstücke, die aufgrund ihrer Herstellungsweise „a palillo“genannt werden, werden
von Kunsthandwerkern noch immer hergestellt und von Liebhabern gekauft.
Die Weihnachtskrippe entstand in der letzten Phase von Salzillos Leben. Dennoch ist sein letztes Werk von einer dynamischen Lebendigkeit geprägt: Die fließenden Gewänder aus spanischer Seide, welche die hoch schwebenden Körper der Engel umschmeicheln, bieten einen eindrucksvollen Kontrast zur statischen Form der aus Ton modellierten Figuren. Es sind die Materialien, die der Krippe eine gewisse Mehrdimensionalität verleihen: Ton, Holz, Stoffe aller Art, Moos, Stein, Metall. All diese unterschiedlichen Materialien finden ihren Platz in der Krippe.
Durch die damals üblichen Hierarchien in traditionellen Werkstätten wurden im Zuge der Arbeiten oft unterschiedliche Aufgaben durch mehrere Hände gereicht und bearbeitet und trotzdem ist die Krippe von einer Kohärenz geprägt, die mit typisch kunstvollen Polychromien versehen ein erstaunlich harmonisches Zusammenspiel abgibt.
In Murcia liegt die Wiege der Weihnachtskrippe