Toledo für Entdecker
Die Stadt der drei Kulturen lässt ihren mittelalterlichen Charme spielen – Ein Besuch in der Weihnachtszeit
Toledo – eine Stadt zum Verlieben. Doch wer das milde Klima der Mittelmeerküste gewohnt ist, wird von den winterlichen Temperaturen Toledos mit einem Durchschnitt von drei bis elf Grad im Dezember und Januar überrascht. Trotz oder vielmehr wegen der trockenen Kälte im Inland Spaniens kommt dafür an diesem Ort so richtig Weihnachtsstimmung auf.
Toledo ist eine altrömische Stadtgründung und bettet sich auf sieben Hügel. Sie war Hauptstadt des Gotenreiches, wurde dann zu einer Metropole des Kalifats von Córdoba, später Residenz kastilischer und spanischer Könige und ist heute die Hauptstadt der Region Castilla-La Mancha. Diese faszinierende Geschichte macht sie zum lebendigen Museum.
Tagtäglich lockt Toledo zahlreiche Besucher aus aller Welt zu sich – und das nicht ohne Grund. So bietet die kastilische Metropole eine einzigartige Mischung aus Kultur, Architektur und Kulinarik. Bereits von weitem präsentiert sich die Stadt von ihrer Schokoladenseite:
Durch die alten, meist naturfarbenen Häuser, die sich aus der Ferne zu schichten scheinen, und durch die mittelalterlichen Bauten und herrschaftlichen Monumente kommt das Gefühl auf, sich in einer anderen Epoche zu befinden – und Toledo scheint sich jenem Charme durchaus bewusst zu sein: In den Gassen der Stadt häufen sich kleine Läden mit Metalloeuvren, Modellschwertern und Rüstungen,
Geschäfte stellen kleine Handwerksfiguren mit Schild und Degen in ihren Schaufenstern aus und in der Nähe des alten Rathauses befinden sich Statuen der sagenumwobenen Romanhelden des Miguel de Cervantes: Don Quijote und dessen Gefährte Sancho Panza, die als beliebtes Fotomotiv Modell stehen.
Feinschmecken und genießen
Toledo ist bereits früh am Morgen gut besucht – Scharen von Menschen tummeln sich in den weihnachtlich geschmückten Sträßchen und tragen zu einer lebendigen Atmosphäre bei. Die mittelalterliche Gassen-Architektur in der Altstadt lässt zwar keinen Autoverkehr zu, führt jedoch an Stoßzeiten am Wochenende an vielerlei Orten zu Stau unter Passanten. Doch auch abseits von ausgetretenen Touristenpfaden lässt sich in Toledo noch Tradition entdecken: Die Stadt ist nicht nur ein Schatzkästchen der
Geschichte, sondern auch ein Paradies für Feinschmecker.
Mittags empfiehlt es sich deshalb die in Toledo einheimischen Gerichte wie „Carcamusas“(Schweinefleisch in Tomatensoße) oder das „Pisto Manchego“(Gemüseeintopf) zu probieren. Viele Tavernen bieten dazu die perfekte Gelegenheit, auch lokale Weine und herkömmliches Marzipan als Nachtisch zu kosten. „Ich komme oft mit Freundinnen her, um hier zu essen“, erzählt die spanische Psychologiestudentin Bárbara Medrano, die etwa zehn Kilometer südlich von Toledo im Ort Sonseca aufgewachsen und dort noch immer zu Hause ist. „Dann bleiben wir hier, bis es dunkel wird, und schauen uns vom Tal aus die Lichter der Stadt an“, berichtet Medrano weiter. „Das ist einzigartig hier – die Silhouette Toledos in der Dämmerung ist einfach umwerfend.“
Besonders in der Weihnachtszeit verzaubern die Lichter Toledos nicht nur Durchreisende, sondern auch Einheimische – und um dem charmanten Flair der Stadt noch eine Krone aufzusetzen, empfiehlt es sich, auch den Markt vor der Kathedrale zu besuchen, den einige weihnachtlich gestaltete Stände zieren, die sogar Glühwein aus kleinen Keramiktassen anbieten, welche anschließend als Andenken mit nach Hause genommen werden können.
Wandeln auf El Grecos Wegen
Vom Markt aus wirkt die ohnehin schon gigantische Kathedrale Santa María mit ihren stattlichen 92 Metern Höhe noch größer. Das damals auf Fundamenten westgotischer Mauern errichtete Heiligtum wurde in muslimischen Zeiten als Moschee genutzt. Unter der Herrschaft des Heiligen Ferdinand III. begann 1226 die Gründung des katholischen Tempels, der neben „Santa María“auch unter dem Namen „Catedral Primada de España“bekannt ist und heute als Meisterwerk der gotischen Architektur gilt. Die Kathedrale ist dabei keinesfalls ein einheitliches Bauwerk – über Generationen hinweg wurde an ihr gearbeitet und sich dabei an der französischen Baukultur orientiert. Die Besichtigung des heutigen Wahrzeichens Toledos ist ein absolutes Muss für alle Kulturinteressierten, lässt sich aufgrund ihres zentralen Standortes aber ohnehin kaum umgehen.
Auch Werke des RenaissanceMalers Doménikos Theotokópulos – besser bekannt als El Greco – sind für einige Toledo-Reisende ein bedeutsames Ziel und zwei seiner Malereien – der „Apostelzyklus“und die „Entkleidung Christi“– können in der Sakristei der Santa María bewundert werden. El Greco wurde 1541 auf Kreta in
Griechenland geboren und ließ sich in seinen späten dreißiger Jahren in Toledo nieder, wo er heute noch von vielen Spaniern als Repräsentant der toledanischen Seele angesehen wird und eine identitätsstiftende Bedeutung einnimmt, die sich in vielen gleichnamigen Restaurantund Cafénamen manifestiert. Das Werk des ausländischen Malers ist überwiegend religiös geprägt und beinhaltet Porträts und körperliche Darstellungen biblischer Ereignisse. Nur einige wenige Landschaftmalereien und Genrebilder sind bekannt, doch die wenigen Exponate, die davon bleiben, spiegeln durch Landschaftstyp und Farben die Schönheit Toledos wieder.
Die Vielfalt der religiösen Architektur in der circa 85.000 Einwohner zählenden Provinz ist beeindruckend und beschränkt sich nicht allein auf die christliche Religion. Im Mittelalter begegneten sich hier Judentum, Islam und Christentum in gegenseitiger Akzeptanz und machten den Ort zu der „Stadt der drei Kulturen“– inspirierend auch für die Welt der Architektur. Damals besaß die Stadt neben Kathedrale, Kirchen und Synagogen zehn Moscheen, von der die Cristo de la Luz im historischen Zentrum Toledos als die am besten erhaltene gilt. Wie es an der Eingangsfassade des einstigen Oratoriums gekennzeichnet ist, wurde das 999 erbaute Gebetshaus in der Blüte des Kalifats von Córdoba auch für Einwanderer nach Toledo oder als Räumlichkeit für geplante Abreisen genutzt – sozusagen als Zugangstor zur Stadt.
Aus der Geschichte des Spanischen Judentums sind zwei Synagogen erhalten, die von einem
künstlerischen Leben zeugen, welches das Erbe Toledos bis in die Gegenwart bereichert: Die Sinagoga del Tránsito ist inzwischen Teil des Sephardischen Museums und die der Kathedrale ähnlich klingende Santa María la Blanca ist heute selbst ein Ausstellungsort.
Zu einem erlebnisreichen Aufenthalt in Toledo zählt auch der Besuch des imposanten Alcázars. Der große Renaissancepalast trug einst den Namen „Al Qasar“, was so viel wie „Festung“auf Arabisch bedeutet und erneut die multikulturelle Vielfalt der Stadt offenbart. Der Alcázar, ein Palast auf Felsen, markiert den höchsten Teil der Stadt Toledo.
Baukunst des Alcázar
Während des Spanischen Bürgerkriegs (1936-1939) nutzte das Militär das Gebäude als Verteidigungspunkt. Heute ist sein Aussehen das Ergebnis eines Wiederaufbaus nach der Kriegszeit und erstreckt sich mit 59 Meter hohen Türmen und imposanten quadratischen Spitzen über einen großzügig angelegten Grundriss, der im Inneren einen zentralen Innenhof mit Galerien und Säulen verbirgt. Dieses historische Monument thront förmlich über der Stadt und fängt nicht nur viele Blicke der Besucher ein, sondern bietet auch von dort aus hübsche Ausblicke auf die Stadt von oben.
In Toledo sind Geschichte und Moderne noch immer eng miteinander verwebt. Es lohnt sich also – um noch mehr in die Essenz der Stadt einzutauchen –, sich über die Geschichten der alten Monumente und Paläste zu erkundigen: Im Alcázar residierten über Jahrhunderte
kastilische Könige und Carlos I., Spaniens „Reisekönig“, machte sie zur Quasi-Hauptstadt, bevor Madrid durch dessen Sohn Felipe II. 1561 endgültig als Hauptstadt des aufstrebenden Weltreiches festgelegt wurde.
Um die Fülle an Kultur, Geschichte und Ambiente in Gänze aufzusaugen, lohnt es sich zudem, die Stadt nach einer Sightseeing Tour durch einen Spaziergang am Tajo zu erwandern – ein Fluss, der wie die Stadt selbst eine Geschichte in sich trägt und der als Grund für die Existenz Toledos gilt. Denn die ersten Siedler ließen sich damals vor allem aus einem Grund in dem Gebiet des heutigen Toledos nieder: Das fast vollständig von Wasser umgebene Gebirge diente als geeigneter Ort, um sich vor Angriffen zu verteidigen. Heute bietet der idyllische Fluss einen Ort der Erholung und vergnügt sowohl Einwohner als auch Reisende mit einem Stück Natur und einem charmanten Blick auf die Stadt.