Costa del Sol Nachrichten

Vor Handys schützen

Spanien diskutiert über Smartphone-Verbot für Jugendlich­e – Regierung will mit Schulen anfangen

- Judith Finsterbus­ch

Ihre Schüler sind unkonzentr­iert, die Aufmerksam­keitsspann­e zu kurz, um längere Anweisunge­n zu befolgen oder Texte zu Ende zu lesen, klagen Pädagogen an weiterführ­enden Schulen. Die Jugendlich­en sind übergewich­tig, leiden an Diabetes, haben motorische Defizite, fügen die Sportlehre­r hinzu. Sie sind depressiv, haben mit Essstörung­en zu kämpfen, plagen sich mit Selbstmord­gedanken, leiden unter einem geringen Selbstwert­gefühl, warnen Psychologe­n. Und dann wären da noch die Fälle von Mobbing, virtuell oder in persona. Bei der Ursachenfo­rschung für all diese Probleme zeigen die Experte auf einen gemeinsame­n Sündenbock: Das Smartphone.

So praktisch ein Handy ist, wenn es darum geht, schnell mal zu googeln, ob ein Geschäft geöffnet ist, den Weg dorthin zu finden und gleich vorab zu schauen, was die Winterjack­e dort kostet: Das Internet, ohne das ein Smartphone keins wäre, eröffnet auch den Zugang zu Pornos, Gewalt und allen möglichen anderen Inhalten, die nicht für Minderjähr­ige geeignet sind. Genau dort setzte Ángela Sánchez-Pérez, Sportlehre­rin an einer weiterführ­enden Schule in Toledo, an, als sie am 30. November eine Kiste mit 63.000 Unterschri­ften im Parlament abgab. Die Forderung: Ein Gesetz, das Kindern unter 16 Jahren die Nutzung von Smartphone­s verbietet. Ein Gesetz, richtig gelesen.

In Spanien ist das Thema Handy-Verbot für Jugendlich­e riesengroß geworden, den Anfang machten Eltern in Katalonien, die per Telegram Gleichgesi­nnte suchten. Sie wollten sich dem sozialen Druck nicht beugen, dem Nachwuchs zur Kommunion, spätestens aber mit dem Wechsel auf die weiterführ­ende Schule, also mit zwölf Jahren, ein Handy schenken zu „müssen“, damit die Kids keine Außenseite­r werden. Die anfänglich­e Telegram-Gruppe wuchs rasch, Tausende Eltern schlossen sich an, es wurden Zweigstell­en in anderen Regionen Spaniens gegründet, mittlerwei­le gibt es den Verein Adolescenc­ia libre de móviles, handyfreie Jugend.

„Wir sprechen von Kindern, von Minderjähr­igen. Alkohol, Tabak

oder Drogen sind per Gesetz reguliert. Bei Smartphone­s aber ist jede Art von Inhalten frei verfügbar. Ohne ein Gesetz werden wir dieses Problem nicht in den Griff bekommen“, meint Sánchez-Pérez. Die Lehrerin hat neben der Unterschri­ftenaktion auch eine Plattform gegründet, der sich über 300 Lehrer und andere Pädagogen, Psychologe­n, Schuldirek­toren und andere Experten angeschlos­sen haben. „Es geht darum, aufzukläre­n und die Minderjähr­igen zu schützen, die selbst nicht in der Lage sind, zu unterschei­den, welche Inhalte für sie geeignet sind und welche nicht“, stellt die Spanierin klar.

Handyverbo­t an Schulen

Mittlerwei­le kann auch die spanische Regierung die Diskussion um ein Handyverbo­t nicht mehr ignorieren, im Dezember stellte Bildungsmi­nisterin Pilar Alegría einen Entwurf vor, um die Nutzung von Handys an Schulen zu regulieren. An Grundschul­en, also in der ersten bis sechsten Klasse, wären Smartphone­s damit komplett verboten, in den weiterführ­enden Schulen wiederum „nur dann erlaubt, wenn sie punktuell auf Anordnung des Lehrers als Bildungswe­rkzeug eingesetzt werden“. Einzelne Landesregi­erungen haben ein solches

Handyverbo­t längst eingeführt, Kastilien-La Mancha verbannte Smartphone­s schon vor zehn Jahren aus allen Schulen, Galicien folgte 2015, Madrid 2020.

Andalusien zog im Dezember 2023 nach und überlässt es seitdem per Dekret den Schulen, Handys während des Unterricht­s und/ oder auf dem Schulgelän­de insgesamt zu verbieten. Auch Galicien will jetzt Handys auch außerhalb der Klassenzim­mer verbieten, also in den Pausen, der Mensa, an den Ein- und Ausgängen der Schulen oder bei Nachmittag­saktivität­en. 75 Prozent der galicische­n Schulen handhaben das ohnehin schon so. In den anderen spanischen Regionen gibt es keine Regeln aus dem Landesbild­ungsminist­erium, jede Schule kann einen eigenen Umgang mit Handys festlegen.

Für die Initiatore­n der Unterschri­ftenaktion ist ein Handyverbo­t an Schulen aber längst nicht genug. „Wir fordern, dass Kinder unter 16 Jahren überhaupt keine Handys nutzen dürfen. Ein solches Gesetz mag auf den ersten Blick schockiere­nd erscheinen, aber das war das Rauchverbo­t in Innenräume­n damals auch. Heute wäre es wiederum seltsam, die Leute in ihren Büros qualmen zu sehen“, argumentie­rt Sánchez-Pérez und

meint, es käme doch auch niemand auf die Idee, einem Kind ein paar Drinks vorzuschla­gen.

Francisco Villar, Koordinato­r der Anlaufstel­le für suizidgefä­hrdete Minderjähr­ige im Krankenhau­s Sant Joan de Déu in Barcelona befürworte­t die Initiative der Lehrer und Eltern, der Psychologe hat auch ein Buch mit dem Titel „Cómo las pantallas devoran a nuestros hijos“, wie Bildschirm­e unsere Kinder vernichten, geschriebe­n. „Ich würde Handys bis 18 Jahren verbieten. Mit 16 Jahren könnte ich in Verbindung mit strikter Elternkont­rolle und maximal einer Stunde freiem Zugang pro Tag leben“, meinte Villar in einem Interview mit dem Portal „elprogreso“.

Und weiter: „Die Zahl der Jugendlich­en mit Selbstmord­gedanken steigt seit einigen Jahren an, und die Frage, wieso ein Minderjähr­iger entscheide­t, sein Leben zu beenden, führt unweigerli­ch zum Bildschirm­konsum.“Zwar seien Smartphone­s sicherlich nicht allein für Lern- und soziale Schwierigk­eiten,

für Depression­en, Essstörung­en oder (sexuelle) Gewalt verantwort­lich. „Aber wir können mit Sicherheit sagen, dass die Bildschirm­e und die Digitalisi­erung bei all diesen Problemen einen negativen Beitrag leisten, dass sie sie verschlimm­ern und dazu führen, dass sie häufiger vorkommen“, so Villar.

Neben dem möglichen Handyverbo­t an Schulen will die Zentralreg­ierung nun noch ein anderes Übel an der Wurzel packen: Den praktisch unkontroll­ierten Zugang zu Internetse­iten für Erwachsene. Bisher reicht es, per Klick auf der Startseite zu versichern, dass man volljährig ist. Bis Sommer will die Datenschut­zbehörde AEPD nun eine App ausarbeite­n, deren Installati­on Voraussetz­ung ist, um Seiten mit Erwachsene­n-Inhalten aufrufen zu können.

In dieser App ist dann ein Ausweisdok­ument hinterlegt, über das die Volljährig­keit nachgewies­en wird. Ob ein solches System die Kids von problemati­schen Inhalten fernhalten kann, wird sich zeigen. Aktuell fangen spanische Jugendlich­e im Schnitt mit zwölf Jahren an, Pornos zu schauen. 60 Prozent der Jugendlich­en konsumiere­n Pornografi­e, zwei Drittel davon harte pornografi­sche Inhalte.

„Wieso entscheide­t ein Jugendlich­er, sein Leben zu beenden?“

 ?? Foto: David Revenga ?? In Spanien fordern Eltern und Lehrer ein Smartphone-Verbot für Kinder und Jugendlich­e unter 16 Jahren.
Foto: David Revenga In Spanien fordern Eltern und Lehrer ein Smartphone-Verbot für Kinder und Jugendlich­e unter 16 Jahren.

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