Im Bann der Geschichte
Im Hinterland der Costa Blanca lockt die mittelalterliche Stadt Petrer mit Historie, Kunst und authentischem Charme
Die kleinen verwinkelten Gassen der mittelalterlich geprägten Altstadt von Petrer bieten Einblick in die bewegte Geschichte des Vinalopó. Die schrägen Fassaden der schmalen Altstadthäuser scheinen die Narben einer einst verlassenen Stadt aufzuzeigen. Tiefe Risse, abblätternde Farbe, geisterhafte Straßen. Es ist keine spanische Bilderbuch-Altstadt, mit minuziös eingearbeiteten Pflastersteinen, restaurierten Frontseiten und farbenfrohen Blumentöpfen auf den Gehwegen.
Die bis heute für den Autoverkehr zugänglichen Straßen des Casco Antiguo sind wohl aus Kostengründen aus Beton gegossen und spärlich an den Rändern mit wenigen Back- und Natursteinen verziert. Hinter eisernen Gitterstäben versteckte Denkmäler erwecken den unzutreffenden Eindruck von Kriminalität, obwohl sie wahrscheinlich bloß vor spitzbübischen Streichen geschützt werden wollen. Und dennoch überrascht Petrer mit seinem ganz eigenen Charme. Authentisch und ehrlich wirkt der alte Stadtkern, wo die Passanten keine Zugvögel sind, die morgen schon wieder verreisen, sondern die wirklichen Bewohner dieser Stadt. Das einzige Café weit und breit erfreut sich seinen regulären Kunden, die auch an sonnigen Wintertagen die Terrasse füllen.
Eine bezaubernde Silhouette
Hoch hinaus, über die Weite des Vinalopó-Tals blickend, befindet sich das Schmuckstück dieser Stadt: die Burg. In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts von den besiedelnden Arabern erbaut, diente die Festung gemeinsam mit denen von Elda, Villena, Sax und
Novelda einem umfassenden Verteidigungssystem für den Übergang nach Kastilien und in den Norden der Provinz Alicante. Beim Besuch der Burg werden zwei unterschiedliche Bereiche des
Bauwerks sichtbar. Oberhalb die Alcazaba, in der sich der freistehende Turm, der Adelssaal und der Kerker befinden. Darunter eine Esplanade, in deren Stampflehmwand kleine Einbuchtungen die
Eingänge und Fenster der dahinterliegenden Höhlenwohnungen markieren.
Nach der Rückeroberung der Christen und der darauffolgenden Vertreibung der Mauren zu Beginn
des 17. Jahrhunderts blieben das damalige Bitrir, der arabische Namen für Petrer, und sein Nachbardorf Elda wahre Geisterstädte. Ein mühsamer und langwieriger Prozess der Wiederbesiedlung begann. Nach und nach emigrierten um die 100 Familien der umliegenden Dörfer Castalla, Onil, Biar, Jijona und belebten die verlassenen Dörfer erneut. Einen kompakten, aber empfehlenswerten Überblick über die alte bis neuere Ortsgeschichte bietet das mit dem Qualitätssiegel „Q“ausgezeichnete Museo Dámaso Navarro, unten am Platz neben der Ortskirche des San Bartolomé.
Doch bleiben wir auf der Burg. Ihr Besuch sollte auf jeden Fall mit einem Rundgang durch die Höhlenwohnungen einhergehen, denn heute sind die Casas Cueva wiederhergestellt und als Museum zu besichtigen. Ihr Inneres stellt nun das Leben im 19. Jahrhundert dar – zur Zeit, als die Gemächer Einwanderern als Familienbehausung dienten. Nebst diesen, sind rund um Petrer weitere solche Höhlenhäuser sichtbar. Vor allem im Nordhang der Burg und in einigen ländlichen Zonen, wo bedürftige Familien sich ihre Häuser ausgraben durften. Während manche verlassen und heruntergekommen sind, dienen andere, die instand gehalten wurden, bis heute als Wohnraum.
Im Licht des Vollmondes
Ein besonderes Erlebnis bietet das Tourismusamt an Samstagen bei Vollmond. Eine kostenlose Führung durch die nächtliche Altstadt, bei der die wichtigsten Denkmäler und Gebäude in theatralischer Begleitung besichtigt werden. Auch sonst ist Petrer für Kreativität und Musikalität bekannt. Siehe bereits die Tourismusinfo, die mit sehenswerten Häkelarbeiten örtlicher Künstlerinnen geschmückt ist. Ferner schmücken überdimensionale Graffiti-Werke, Erinnerungen an vergangene Editionen des „Art-enBitrir“-Festivals,
Wände mehrstöckiger Wohnhäuser. Auch das jährliche Festival Internacional de Guitarra lockt im Sommer Gitarrenvirtuosen und Musikbegeisterte in den Bann der Stadt. Zu Bühnen werden da die panoramischsten Standorte.
Unweit der Burg, auf einem anderen Hügel, befinden sich etwa die Ermita San Bonifacio und darüber die Ermita del Santísimo Cristo, die von Emilio Castelar, Denker, Politiker und ehemaliger Präsident der Regierung der Ersten Spanischen Republik, als „Balkon Spaniens“bezeichnet wurden. Wegen seiner weitläufigen Sicht über das lange Vinalopó-Tal und die Aussicht auf die Burg bietet dieser Ort ein wunderbares Plätzchen, um
den Sonnenuntergang zu sehen.
Doch auch die Umgebung sollte erkundet werden, wobei nicht zuletzt Broschüren mit Wanderzielen, die man in der Tourismusinformation erhält, helfen. Das gebirgige Relief um Petrer besteht aus einem schmalen Korridor zwischen dem Tiefland von Elche und der Hochebene von Villena. Dieser spezielle topografische Standort macht aus der Gegend heute einen beliebten Ort für Outdoor-Begeisterte. Im Rücken der Stadt Petrer ragen die weitläufigen Gebirgszüge der Sierra del Cid und der Sierra del Maigmó und vorab auf der entgegenliegenden Seite des Vinalopó-Tals die Sierra del Caballo und die Sierra del Fraile, die ein abwechslungsreiches Terrain bieten zum Wandern, Klettern und Biken.
Die Legende des Cid
Vor allem die Sierra del Cid und die sich darin befindende Silla del
Besichtigungen der Burg und der Höhlenwohnungen finden jeweils von Dienstag bis Sonntag um 11, 12, 13 Uhr statt und starten wochentags am Tourismusbüro oder gegenüber am Museo Dámaso Navarro sowie Samstag, Sonntag und an Feiertagen am Burgtor. Weitere Information zu den Vollmond-Besichtigungen von Petrer unter www.turismopetrer.es/ petrer-se-viste-de-luna/
Cid prägen die Umgebung mit ihrem außergewöhnlichem Aussehen und ihrer Geschichte. Der Legende zufolge wurde die Spitze der Silla del Cid demoliert, als der kastilische Volksheld Cid el Campeador auf dem Ross vor den Muslimen floh. Auf der Sierra del Caballo gab er seinem Pferd Baibeca die Sporen, und es sprang hoch in den Himmel und weit über das Tal. Bei der Landung auf dem gegenüberliegendem Berg prallte Baibecas Huf mit solcher Wucht auf die Bergspitze, dass diese zersprang und somit der flache Berg Silla del Cid zurückblieb, der seinen Namen – Sattel des Cid – seinem Aussehen verdankt. Daneben knallte des Kämpfers Helm auf den Boden und blieb dort für immer versteinert als Montaña del Cid neben Petrer liegen.