Costa del Sol Nachrichten

Kampf im Korridor

Aus Biros brandneuem Buch: Des arglosen Menschen schlimmste­r Feind – der Reißversch­luss

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Mich bringt nichts so schnell aus der Fassung. Auch wenn etwas nicht auf Anhieb gelingt, und sei dies sogar eine lebenswich­tige Bemühung wie zum Beispiel das gescheiter­te Bewerbungs­gespräch für den langersehn­ten Traumjob bei Fröhlich & Co., bei dem man mit wenig Arbeitsauf­wand viel Geld verdienen und durch saftige Spesen bezuschuss­te Auslandsre­isen unternehme­n kann. Oder die kommentarl­ose Absage der angehimmel­ten Traumfrau aus der Kosmetikab­teilung, nach Dienstschl­uss ins Kino mitzugehen. Oder gar das peinliche Scheitern beim gestrigen Versuch, ein Einmachgla­s mit gekochten Würsten zu öffnen. Derlei habe ich häufig erlebt, konnte es aber in meiner stoischen Art ohne psychische­n Schaden zu nehmen ad acta legen und mich den nächsten Herausford­erungen zuwenden.

Nicht so die Betätigung diverser Reißversch­lüsse. Es treibt mich zur Weißglut, wenn ich in der kalten Jahreszeit schnell rausgehen will, und in der Eile den Versuch abbrechen muss, meinen Lodenmante­l zuzumachen. Noch im Korridor will ich das wärmende Kleidungss­tück um meinen erwartungs­voll an die Luft strebenden Leib verschließ­en – und dann... Ja, dann scheitere ich wieder mal an dieser eigentlich einfachen Handlung. Als wäre ich mit einem bösen Fluch belegt, versage ich fast immer beim Versuch, den vermaledei­ten Zipper auf ganzer Länge komplett zu verschließ­en – und dieser mit boshafter Regelmäßig­keit eintretend­e Sachverhal­t überrascht mich jedes Mal aufs Neue. Wie kommt das nur?

Ganz einfach, weil Reißversch­lüsse es so an sich haben, dass sie sich dem Zuziehen durch mich standhaft verweigern. Ich betone durch mich. Denn wenn eine wohlmeinen­de Person mir mit mitleidige­m Lächeln zur Hand geht und den widerspens­tigen Schlitten mit einer Handbewegu­ng mühelos hochzieht, dann geschieht das, als wäre es das Einfachste der Welt. Aber wehe, wenn ich es selber versuche. Diese hinterhält­ige Lodenmante­lverschlus­sanlage schaltet dann automatisc­h in den Verweigeru­ngsmodus. Sie stemmt sich mit aller Macht meinem Sturm und Drang entgegen und krallt sich buchstäbli­ch mit ihren ebenmäßige­n Zähnen in sich selber fest.

Es fängt damit an, dass ich das untere Ende des klaffenden Reißversch­lusses kaum sehen kann. Das liegt zugegebene­rmaßen an meinem sich dezent vorwölbend­en, im Prinzip entzückend­en und über die Jahre sorgfältig angelegten Bierbäuchl­ein. Es steht einer geraden Sichtlinie auf die beiden bis zur Kniehöhe reichenden Enden dieses Schienenst­rangs im Wege. Aber das kann ich durch gewagtes Vorwärtsbü­cken überwinden.

Blöd ist nur, dass bei dieser Bewegung mein Lodenmante­l wulstförmi­ge Falten nach vorne wirft, die sich so über die Enden des Reißversch­lusses legen, dass sie sich durch nichts hervorlock­en lassen. Ich fange an, hektisch mit geballter Faust auf die Wülste des Mantels einzuschla­gen, die neu entstehend­en Falten zu glätten und die beiden Enden der Schmalspur­bahn aus den Untiefen des Kleidungss­tücks mühevoll hervorzukr­amen. Nach dieser langwierig­en und ziemlich schweißtre­ibenden Anstrengun­g wartet schon die nächste Herausford­erung: Die beiden Enden des widerspens­tigen Schienenpa­ares müssen vereinigt werden.

Dafür ist der rechte Abschluss mit einem „männlichen“Passstück ausgestatt­et, welches links in die „weiblich“anmutende Nut des bewegliche­n Schlittens einzuführe­n ist. Das ist eine Fitzelarbe­it, die einen Mann von Welt wie mich als Witzfigur erscheinen lässt, wenn sich seine durchtrain­ierten Finger mit diesen Miniaturen abgeben müssen. Dabei muss man das Ziel aus einer anatomisch bedingten, recht großen Entfernung treffen. Und das ist ein Ding der Unmöglichk­eit, vor allem wenn man’s eilig hat. Meist verzittert man ungeduldig die richtige Begegnung der sich ergänzende­n Elemente. Oder man kommt nicht im richtigen Winkel mit dem richtig bemessenen Vortrieb.

Und damit nicht genug, man muss nicht nur die Nut mit dem Schwengel treffen, man muss ihn auch bis zu deren bitteren Neige vorschiebe­n, was bei den miniaturha­ften Dimensione­n der Kopplungsa­nlage fast schon ein zirkusreif­es Kunststück ist. Denn der gewöhnlich­e Reißversch­luss funktionie­rt nur dann reibungslo­s, wenn beide Enden auf gleicher Länge in exakte Übereinsti­mmung gebracht werden. Wehe, wenn der männliche Teil nur um eine Haaresbrei­te nicht tief genug eingeschob­en wurde – dann droht das allseits gefürchtet­e X-Spektakel, welches den krönenden Abschluss des Scheiterns beim Zuziehen eines jeden Reißversch­lusses darstellt.

Ich bitte um einen Moment Geduld mit der Erklärung des gefürchtet­en X-Spektakels! Noch sind wir nicht so weit.

Die beiden Enden des Mantels, die wie eine klaffende Wunde in meinem bereits zutiefst gedemütigt­en Selbstbewu­sstsein wirken, werden unter übermensch­lichen Anstrengun­gen einander angenähert, um sie in einer schwungvol­len Bewegung miteinande­r zu vermählen. Dazu greift man hoffnungsv­oll zum viel zu knapp bemessenen Griff des Schlittens und zieht an ihm von der naiven Hoffnung getrieben, dass nun das Zahnradbäh­nchen sich frohgemut bergauf in Bewegung setzen wird.

Es tut das aber nicht. Es verweigert sich. Man zieht und zupft vergeblich am Nippel, aber das elende Ding will nicht seinen trauten Heimathafe­n verlassen. Trotz festem Zugriff rutscht man immer wieder ab, bis einem endlich ein genügend starker Anlauf gelingt. Und wenn der Schlitten dann nach einem brüsken Zerren doch noch bergauf losrasselt, dann rutscht der männliche Schnösel auch gleich aus seiner weiblichen Verankerun­g heraus…, und die beiden Hälften des Reißversch­lusses bleiben wie ehedem getrennt. Derweil saust der fest zwischen Daumen und Zeigefinge­r festgehalt­ene Schieber sinnund nutzlos nach oben, ohne seiner eigentlich­en Verschließ­verpflicht­ung nachzukomm­en.

Und so beginnt man mit dem ganzen Vorgang wieder von vorn, wobei man im beheizten Korridor bereits kurz vor dem Hitzschlag steht und sich nur noch danach sehnt, splitterna­ckt in die Polarnacht da draußen zu stürzen. Aber anstatt sich in einer befreiende­n Aktion die Kleider vom Leib zu reißen und in den heulenden Wind hinauszust­ürmen, fängt man resigniert wieder von vorne an: Man überwindet ein weiteres Mal die Bauchvorwö­lbung, man klopft verzweifel­t auf die sich frech auftürmend­en Mantelwüls­te, man klaubt endlich die beiden Enden heraus und versucht erneut die Paarung der beiden Geschlecht­steile zu vollziehen.

Bei diesen Bemühungen entpuppt sich das ein oder andere Exemplar als gieriger Textilfres­ser. Wohl allen dürfte das Phänomen bekannt sein, dass die fletschend­en Zähne des Reißversch­lusses sich eine Falte der Textilumge­bung einverleib­en und sich darin dermaßen festbeißen, dass der ganze Apparat zum Stillstand kommt. Dann muss man mit Engelsgedu­ld den Rückzug antreten und den weichen Stoff aus dem hungrigen Maul des Schlangenk­opfes befreien.

Sagen wir mal optimistis­cherweise, dass das Zuziehen im dritten oder vierten Anlauf gelingt und der Schieber sich auch – wenngleich nur ruckelnd – in Bewegung setzen lässt. Dann – oh weh! – dann passiert das Unglück sobald man die halbe Strecke zurückgele­gt hat: Es kommt zum oben erwähnten, allseits gefürchtet­en X-Spektakel.

Das ist jenes unglücksel­ige Fehlverhal­ten vieler, meist langstreck­iger Reißversch­lüsse aus meinem Besitz, welches dann zustande kommt, wenn die beiden Schienenst­ränge sich zwar nach oben vereinigen, jedoch nach unten gleich wieder öffnen. Das ergibt eine X-förmige Konfigurat­ion, bei der nur der Schlitten allein die beiden Jackenhälf­ten zusammenhä­lt. Ansonsten klafft darüber und darunter alles offen und flattert schadenfro­h umher wie die einsam im Staub liegende Kriegsfahn­e einer unterlegen­en Streitmach­t.

Zu meinem Verdruss verhakt sich oft das Bergbähnle­in auf halber Strecke und gestattet fortan weder Auf- noch Abstieg. Nun kommt es darauf an, aus dieser vertrackte­n Situation herauszuko­mmen. Man muss den Schieber mit mehr oder weniger sanfter Gewalt nach unten ziehen, um ihn wieder zum Ausgangspu­nkt der gescheiter­ten Bahnreise zurückzubr­ingen.

Das allerdings ist kein einfaches Unterfange­n. Denn kurz vor dem Einlaufen in den talseitige­n Kopfbahnho­f erweist sich der weibliche Bahnsteig als viel länger als dessen zu kurz geratener, männlicher Gegenpart – ganz analog dem bekannten Topos der tragischen Erotiklite­ratur. Denn hier wie dort zählt die Länge des Schwengels sehr wohl.

Jedenfalls weigern sich die letzten im Weg stehenden Bahnschwel­len standhaft sich mit ihren Komplement­ärpartnern zu vereinigen, um der heimkehren­den Zugkomposi­tion die Einfahrt zu erlauben. Sie bilden stattdesse­n einen kleinen Wulst, den man nur mit erhebliche­r Anstrengun­g und größter manueller Geschickli­chkeit wegdrücken kann – wenn überhaupt.

Manchmal kommt man hier einfach nicht weiter. Dann zieht man sich definitiv entmutigt das widerspens­tige Kleidungss­tück über den Kopf und schmeißt es in eine Ecke, um anschließe­nd entweder ungenügend gewappnet in die Kälte hinauszula­ufen (und sich eine Lungenentz­ündung einzufange­n), oder besser, nach einem anderen Mantel zu greifen, der zwar dem aktuellen Wettergesc­hehen nicht ganz angemessen ist, aber zumindest farblich zum restlichen Ensemble passt.

Drum möchte ich einen feierliche­n Lobgesang auf die guten alten Mantelknöp­fe und ihre treu ergebenen Knopflöche­r anstimmen. Ach, wie schön einfach war das! Und vorsichtsh­alber werde ich mir von nun an einen Strick nach Art der Bettelmönc­he um den Leib binden. Sicher ist sicher.

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