Oh Gott, Jesus!
Um das Plakat zur Semana Santa 2024 in Sevilla ist ein epischer Bilderstreit entbrannt
Sevilla – mar. Kaum ein Volk in Europa, außer die Neapolitaner, hat den Katholizismus derart folklorisiert und verweltlicht wie die Andalusier. In Cádiz kreuzen sich späte Karnevalsumzüge mit vorösterlichen Prozessionen und nicht alle Besucher können oder wollen sie unterscheiden. In Sevilla ist die Passionswoche ein Volks- und Stadtteilfest mit religiöser Rahmenhandlung, die Prozessionen sind tränenreiche Aufwärmrunden für die jährliche Feria der Abril. Auf das Pathos, „el arte“, kommt es an, nicht so sehr auf das Sujet. Jesus ist tot und auferstanden. Fein, dann wird es Zeit für eine Fiesta.
Das „cartel“der Semana Santa, für das der Hohe Rat der Laienbruderschaften jedes Jahr einen Künstler auswählt, ist daher nicht einfach ein Plakat, sondern ein Statement des christlichen Lokalpatriotismus, ein Urbi et Orbi auf DIN A0. Wird hier versagt oder zu viel gewagt, setzt sich die heilige Inquisition der Sozialen Medien in Gang, so grausam und unberechenbar wie ihr amtlicher Vorgänger.
In diesem Jahr schuf Maler Salustiano García das Plakat für die Sevillaner Osterwoche, der, das gab er stolz zu, seinen Sohn Horacio als Modell für einen „jungen, schönen Jesus“hernahm, ein „Gleichnis für Reinheit“, wie er bei der Präsentation erklärte. Die fand in den Sälen der Caja Rural del Sur, also einer Bank statt, was angesichts der Sache von Jesus und den Wechslern bissige Ironie wäre, wenn, wie gesagt, die Passionsgeschichte in Sevilla nicht ohnehin etwas anderen als den biblischen Regeln folgte.
Das Gebot, der Gläubige solle sich „keinerlei Bildnis noch Gleichnis von Gott“machen, das auf Moses zurückgeht und Juden, Moslems und Protestanten heilig geblieben ist, hat es in der katholischen Kirche nie weit gebracht. Schon Byzanz griff voller Lust und List auf die römisch-griechische Ästhetik zurück, um Gottes Sohn zu vermenschlichen und scheute dabei auch nicht die häufig (homo)erotische Ausarbeitung, die im dekadenten Rom so en vogue war.
Sevillas Festplakat 2024 schließt an diese Tradition an. „Sieht aus wie Werbung für einen SaunaClub“, merkte ein „treuer Gläubiger“auf Facebook an. Andere User sprachen von Gay-Ostern und offensichtlicher Geschmacksverirrung, einem „sexualisierten“Jesus.
Doch richtig übel nehmen dem Künstler die Sevillaner das Fehlen von Lokalkolorit. Keine Giralda, keine Puente de Triana, nirgendwo eine Gitarre, ein Pferd, nicht mal ein
Sherry-Glas, nur ein hypernaturalistischer Jüngling in Windel. Das ist die eigentliche Sünde. Nicht die einfältige Verkitschung der Dreifaltigkeit. Kitsch an sich wäre O.K., wenn er nur andalusisch ist.
Bruderschaften, die das Werk mitfinanzierten, fordern die „Abhängung“, binnen 24 Stunden unterzeichneten 10.000 Menschen eine Petition. Das Instituto de Política Social, ein „Think“Thank im VoxUmfeld, fordert eine „öffentliche Entschuldigung“seitens des Künstlers, der „Gefühle der Gläubigen verletzt“habe mit seinem, wörtlich: „weibischen Jesus“. „Richtet nicht, damit ihr nicht selbst gerichtet werdet“, steht im Matthäus. Aber wie gesagt, das liest ja keiner mehr.
Jesus, ob leidend am Kreuz oder gütig die Hand reichend, diente stets als Model im harten Konkurrenzkampf
der monotheistischen Global Player. In Andalusien kam das angesichts des Bildergeizes unter den Mauren besonders gut an. Neben Schinken und Wein wurde die knallbunte Bebilderung des Göttlichen ein weiteres Abgrenzungsmerkmal gegenüber den besiegten Nachbarn, das man ihnen bei den Prozessionen wortwörtlich vor die Nase hielt, bevor man sie zwangstaufte, um sie dann aus reiner Nächstenliebe zu deportieren.
Jesus ist gleich Gott, das legten Orthodoxe und Katholiken so fest, sahen aber im Bruch des göttlichen Bilderverbotsgebots nie ein Dilemma. Warum auch, im biegsamen Katholizismus kann sich bekanntlich jeder von jeder Sünde freibeten. Die Buße darf geheuchelt sein, ist sie nur inbrünstig genug. Das theatralische Drama, zu dem neben Orgelmusik, Weihrauch, unterwürfigem Knien und Schuldgefühlen nun einmal auch hübsche Kulissen gehören, sind Alleinstellungsmerkmale der Orthodoxie und des römischen Katholizismus, der, reduziert auf die Kohärenz seiner Glaubensbotschaft, ohne das sinnliche Tamtam ziemlich nackt dastünde.
Fast so nackt wie der Sevillaner Jesus 2024. Der Klerus hätte hier das letzte Wort, auch über alle Aktivitäten der „hermandades“und „cofradías“. Aber die Kirche macht, was die Kirche in Konfliktmomenten macht: sie schweigt. Das hätte der Künstler auch tun sollen. „Wer in diesem Bild Schmutziges sieht, der projiziert nur seinen eigene, innere Verderbtheit in das Bild“, tobt er in Freudscher Rage bei der Nachrichtenagentur EFE. Er wollte „die Auferstehung ins Zentrum stellen und meinem Stil treu bleiben. Ich arbeite mit Personen, lebenden Wesen, ich kopiere nicht irgendwelche Bilder“. Er habe auf „Foltermarken“verzichtet, um das Göttliche zu betonen. „Ein Mann, der die Erde verließ und jetzt zu 100 Prozent bereit ist, Gott zu sein“.
Salustiano García war nun nicht mehr zu bremsen, die „schlechten Meinungen“, seien „Frucht der Unkultur“, von „Leuten, die keine Ahnung haben, nie ein Museum und selten eine Kirche besuchen“. Er verstehe, „dass wir im Jahr 2024 leben“(lies: leider Meinungsfreiheit). Er habe als treuer Christ und Künstler sein bestes gegeben. Wem es nicht gefällt, „dem sende ich ein Küsschen“, – was auf Sevillianisch bedeutet: „Wir sehen uns in der Hölle“.
Die Kirche schweigt mal wieder – das hätte der Künstler auch tun sollen