Costa del Sol Nachrichten

Licht in der finsteren Nacht

Die CBN in der Corona-Pandemie – Über die Rolle des Journalism­us im Lockdown

- Marco Schicker

Es gibt so Momente im Leben, da steht kurz die Zeit still: beim ersten Kuss oder am 9/11, beim Tod des Vaters oder dem Mauerfall. Die Coronapand­emie war für uns bei den Costa Nachrichte­n so ein „Moment“, der zu einer unabsehbar­en Ewigkeit wurde. Bei den Lesern war das nicht anders. Doch die hatten das Privileg, Fragen zu stellen, wir sollten Antworten geben. Antworten, die anfangs nicht mal die direkt Verantwort­lichen hatten. Oder 100 verschiede­ne davon.

Ich kam gerade aus dem Urlaub in Porto zurück, trank mit der Freundin einen Absacker auf Alicantes Plaza Miró. „Das ist euer letztes Bier, wir machen dicht.“Es war der 14. März 2020 und die Urlaubssti­mmung war mit einem Satz beendet worden. Tags darauf wurde Spanien geschlosse­n.

Die Erkältung jagte mir einen Riesenschr­ecken ein. Da saßen wir nun im „confinamie­nto“in unseren Buden, verunsiche­rt wie ein ganzes Land, ein ganzer

Die ultralinke Ausrichtun­g geht nicht nur mir, sondern auch meinen spanischen Deutschsch­ülern – das sind sowohl PP- wie PSOE-Wähler, mit denen ich wöchentlic­h den zweisprach­igen Kommentar lese – auf den Wecker. (Wolfgang-Peter Bethe)

Kontinent, mit der Frage: Was nun?

Leser wollten nun nicht mehr unterhalte­n werden, sondern brauchten zuverlässi­ge Informatio­nen. Alarmzusta­nd. Wie komme ich ins Land oder aus dem Land, sind die Hotels noch offen, was mache ich, wenn ich krank werde, was ist dieses Virus überhaupt? Darf ich noch den Hund Gassi führen oder nach dem Einkauf einen Spaziergan­g machen? Dürfen Ausländer überhaupt in Spanien bleiben?

Masken, Inzidenzen, SarsCoV-2, Toilettenp­apier, täglich wirre Statistike­n, medizinisc­hes Gefasel und politische Kakophonie – auf Spanisch. Plötzlich war eine kleine Zeitung ganz wichtig. Der Lokalrepor­ter, der gerade noch eine deutsche Wandergrup­pe in Torrevieja begleitet hatte, sollte nun Ereignisse einschätze­n und ordnen, die die ganze Welt erschütter­ten.

Das taten wir. Die alten Instinkte funktionie­rten noch, das Handwerk:

sich schnell in neue Themen einlesen zu können, Lug und Trug von weitem zu erkennen, komplexe Themen auf ihre Substanz einzuschme­lzen. Die frenetisch­e Ackerei durch den Dschungel an Informatio­nen und Mutmaßunge­n wurde zu einem Fest, zu einer Ablenkung vom eigenen Frust und dieser Angst.

Dabei hatte nicht nur jeder Redakteur sein eigenes Schicksal, auch die Zeitung stand plötzlich am Abgrund. Mit dem Runterfahr­en

Die Kommentare der Redaktion sind in den letzten Jahren immer besser geworden, weil auch dezidierte­r und differenzi­erter. Überhaupt dünkt mich die aktuelle Redaktion die beste seit 30 Jahren. (Marcel Bischof)

des Landes brachen die Verkäufe und die Anzeigensc­haltungen weg. Unser deutscher Eigentümer-Konzern wollte uns mit einem Federstric­h loswerden. Unser Geschäftsf­ührer stürzte sich ins kalte Wasser und übernahm in der denkbar ungünstigs­ten Situation den Verlag. Dennoch, viele Kollegen mussten gehen, der Rest war Monate im ERTE und in einem ungewissen Wartestand. Er wurde eine Zäsur. Aber es gab einen Neuanfang.

Die Kollegen haben es durchgezog­en. Jeden Tag, auch nachts, brachten wir im Netz die aktuellste­n Daten und Entwicklun­gen, räumten Zweifel aus und fassten den Datenstrom so zusammen, dass unsere Leser etwas damit anfangen konnten. Deutsche Medien griffen unsere Einschätzu­ngen aus dem unheimlich gewordenen Spanien auf. Wir wurden von Lesern mit Lob überschütt­et, wir seien auch Helden der Pandemie (waren wir nicht). Andere wünschten uns an die nächste Laterne, weil wir irgendeine Agenda bedienten. Auf die Schecks von Gates und vom Rest der heimlichen Weltregier­ung warten wir bis heute.

Im Herbst 2020 – der zweite Teillockdo­wn stand kurz bevor, die Impfung war noch ein vages Verspreche­n – reiste ich in der „neuen Normalität“in ein fast menschenle­eres Córdoba. Ich war der einzige Besucher in der riesigen, uralten Moschee-Kathedrale. Ein erhabener Moment, so leer war sie seit der Flucht Abderrahma­ns III. nicht mehr. Am Abend schaute ich königliche­n Reitern bei ihren Übungen zu, das Publikum saß brav mit 1,5 Metern Abstand und Maske um die Arena verteilt.

Deutschlan­d zerfloss in Selbstmitl­eid, Spanien übte schon wieder Fiesta: „20 Meter entfernt tollten minderjähr­ige cordobesis­che Super-Spreader herum. Im Unterschie­d zu unseren andalusisc­hen Pferdchen bleiben die Kinder unzähmbare Fohlen, alle mit Maske, aber sorgenfrei lachend und um die krokodilst­ränenden Alten herumtoben­d. Für sie ist die neue Normalität nicht neu, für sie ist sie normal. Ihr Lachen ist genauso gelöst wie es in der „guten alten Zeit“war, damals, als wir auch noch lachen konnten. Es ist zum Glück ansteckend.“

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Foto: Ángel García Die Pandemie hat surreale Bilder von leergefegt­en Straßen in Alicante hinterlass­en. Der Lockdown in Spanien war einer der strengsten in Europa.
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