Alles kommt aus der Vagina
Geschichten von der Costa Blanca erzählen – Beim ersten Termin für die CBN landete ich bei „Sticky Vicky“
Im zarten Alter von 22 Jahren kam ich an die Costa Blanca, um meinen Job bei der CBN anzutreten – das erste Mal raus aus dem Elternhaus einer beschaulichen deutschen Kleinstadt, und dann gleich ins Ausland. Gleich in der ersten Nacht im ebenso beschaulichen Benissa wurde mir mein Auto aufgebrochen und das Radio gestohlen. Toller Start!
In meiner ersten Woche begleitete ich meine Vorgängerin aus der Redaktion, die mich in den Arbeitsalltag einführen sollte. Erster Interviewtermin: Benidorm, ein Gespräch mit der Vagina-Künstlerin Sticky Vicky. Nie werde ich vergessen, wie dieses zarte Persönchen von 65 Jahren damals vor mir saß und erzählte, wie sie sich Nacht für Nacht in bis zu sieben Shows hintereinander Rasierklingen und anderes aus ihrem Geschlechtsteil zieht. Und wenn sie sich mal verletzt? „Dann heißt es, bei den weiteren Shows die Zähne zusammenzubeißen“, sagte die winzig kleine Spanierin, von der ich damals nicht recht wusste, ob ich sie bewundern oder bemitleiden sollte.
Spätestens da war mir bewusst, dass es mit der Beschaulichkeit vorbei war, und in meinem neuen Job – auch – deutlich andere Themen anstünden als die Jahreshauptversammlung vom Kaninchenzüchterverein oder das neue Kursprogramm der VHS aus meiner Heimatzeitung, für die ich bislang gearbeitet hatte. Die Costa Blanca ist eben genauso bunt wie ihre Bewohner und erzählt ihre ganz eigenen Geschichten.
Mittlerweile sind 15 Jahre seit dem Interview mit Sticky Vicky vergangen. Mein Auto wurde nicht noch einmal aufgebrochen, es
bringt mich, mittlerweile um einige Schrammen reicher, noch jeden Tag in die Redaktion. Und irgendwie war dieser kuriose Start damals eine Art Zeichen für das, was kommen sollte: Nämlich, dass es die Menschen sind, die unsere Arbeit so interessant machen. Die
vielen Begegnungen, die wir als Redakteure tagtäglich erleben, mit unterschiedlichen Personen, die ganz verschiedene Geschichten erzählen, über die ich oft noch lange nachdenke.
Eine Gruppe von acht Flüchtlingen zum Beispiel, die ich 2016 interviewte und deren Geschichten mich tief bewegten. Das Gesicht des jungen 20Jährigen, der in seiner Heimat Afghanistan mit ansehen musste, wie sein Vater erschossen wurde und sich dann auf eigene Faust irgendwie nach Europa durchschlug, werde ich nie vergessen. Ich schenkte den jungen Männern nach dem Interview einen Fußball, in ihren Heimatländern waren sie begeisterte Kicker gewesen. Sie freuten sich riesig über diesen Ball, der ihnen in ihrer neuen Heimat ein winziges Stück Normalität zurückgab.
Wir als Journalisten geben diese Geschichten der Menschen wider, mal sind es rührende, mal lustige, mal kuriose, mal schreckliche Geschichten. Und oft geben diese Geschichten, die wir aufschreiben, ein bisschen Hoffnung. Etwa, wenn spontane Spendenaktionen ins Leben gerufen werden, nachdem wir einen Artikel über Menschen geschrieben haben, die dringend Hilfe brauchen. Das sind meine Lieblingsgeschichten: Wenn wir als Zeitung in irgendeiner Form helfen können. Damit das Leben, das all diese Geschichten schreibt, ein bisschen gerechter wird.
Die CBN ist eine treue und nette Begleiterin meiner Jahre an der Costa Blanca und eine Unterstützung für meinen kulturellen Salon. Es hat etwas Nostalgisches, aber auch sehr Gemütliches, in der Zeitung zu blättern. Ich genieße das heute mehr als früher, denn es ist nicht mehr selbstverständlich. (Daniela Gerlach)