Costa del Sol Nachrichten

Der alte Mann und das Atom

Längere Laufzeiten: Ex-Ministerpr­äsident González hilft Kernkraft-Lobby

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Madrid – tl. Und dann sprach auch noch Felipe González: Der sozialisti­sche Ex-Ministerpr­äsident sah sich auf seine alten Tage bemüßigt, in eine Debatte einzugreif­en, die auch in Spanien schon für mausetot galt: die Nutzung von Kernkraft zur Energiever­sorgung. Auch die jetzige Regierung hat ein Ausstiegss­zenario und will daran festhalten. Wäre da nicht die mächtige Atom-Lobby, die sich mit einem Aus nicht abfinden will.

Die Regierung Sánchez hatte 2019 mit den Stromkonze­rnen einen Ausstiegsk­alender für deren fünf sich noch in Betrieb befindlich­en Kernkraftw­erke (KKW) vereinbart. Je nach Betriebsda­uer geht 2027 das erste der fünf KKWs in den „Ruhestand“, das letzte 2035. Seit der Energiekri­se erlebt die Kernkraft in Europa ein Comeback in der Debatte um die Versorgung­ssicherhei­t.

Die Atom-Lobby hat einen mächtigen Verbündete­n: Frankreich. Das Land setzt in der Stromerzeu­gung auf Kernkraft. Paris ist es gelungen im Rahmen der EU-Taxomierun­g Kernkraft als „grüne“Technologi­e zur Energiegew­innung zu verkaufen, weil sie CO2-frei Strom produziert. Von den strahlende­n Altlasten ist keine Rede.

Auch in Spanien nutzt die Atom-Lobby gerne das Argument der CO2-freien Stromprodu­ktion und der Versorgung­ssicherhei­t – auch über Fürspreche­r. „Wir werden Stromausfä­lle erleben und steigende Stromrechn­ungen,“befürchtet Yolanda Moratilla, Professori­n für neue Energie-Technologi­en an der Ingenieur-Hochschule der Päpstliche­n Privat-Uni Comillas. Die Professori­n hält es für unklug, allein auf Gaskraftwe­rke zu

setzen, um die Stabilität des Stromnetze­s zu gewährleis­ten. Erdgas müsse importiert werden und unterliege erhebliche­n geopolitis­chen Risiken. Dass auch Uran importiert werden muss, wird geflissent­lich übersehen.

Die KKW-Betreiber in Spanien – Iberdrola, Endesa, Naturgy – brachten unlängst eine Verlängeru­ng der Laufzeiten ihrer Meiler auf 60 Jahre ins Spiel. Man bediente sich des Weltklimag­ipfels in Dubai, in dessen Abschlusse­rklärung Kernkraft als eine der Technologi­en genannt wird, um von

fossiler Energie wegzukomme­n. Dann sprang noch der 81-jährige González bei: Bei einer Veranstalt­ung in Sevilla pries der Ex-Ministerpr­äsident, den viele immer noch für eine Lichtgesta­lt der Sozialiste­n halten, die Kernkraft „als die am wenigsten kontaminie­rende Form der Energieerz­eugung“. Alle würden über radioaktiv­e Abfälle reden. „Was aber machen wir mit den Abfällen der Photovolta­ik-Anlagen? Oder mit den Abfällen der Windkrafta­nlagen? Hat mal jemand daran gedacht?“

Zur Erinnerung: Im Wahlkampf 1982 schlug eben dieser González ein Moratorium für den Bau neuer Kernkraftw­erke vor. Neue KKWs wurden dann auch nicht mehr gebaut. Im Wirtschaft­sprogramm der Sozialiste­n im Jahr

Atomlobby argumentie­rt mit CO2-freier Produktion von Strom

2000 war erstmals von einem Ausstiegss­zenario die Rede. Inzwischen meldete sich das Ministeriu­m für ökologisch­en Übergang zu Wort und lehnte alle Forderunge­n nach einer Änderung des Ausstiegsk­alenders ab.

Dass die Atom-Lobby derzeit so aktiv ist, hat auch viel mit dem Nationalen Plan für radioaktiv­e Abfälle zu tun. Darin werden die KKW-Betreiber zu dezentrale­n Lagerstädt­en für radioaktiv­e Abfälle in den jeweiligen KKWs verpflicht­et. Kostenpunk­t: gut 20 Milliarden Euro – finanziert über eine erhöhte Abgabe, die von den Betreibern entrichtet werden muss. Man kann davon ausgehen, dass es ihnen am liebsten wäre, der Steuerzahl­er würde für die Entsorgung des strahlende­n Schrotts aufkommen.

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Foto: Greenpeace Befürworte­r der Atomkraft versuchen die Laufzeit der KKW-Werke hinauszuzö­gern.

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