In den Fängen der Mafia
Drogenhandel an der Küste von Cádiz – Neue Gewaltbereitschaft trifft auf wenig Mittel bei der Polizei
Barbate – fin. Es ist ja so verlockend: Eine Nacht mit dem Moped herumfahren, per Walkie Talkie durchgeben, wo die Polizei patrouilliert, 600 Euro kassieren, auf den nächsten Anruf warten. Wozu für die Schule pauken, den Abschluss machen, um anschließend für 1.000 Euro im Monat zu malochen? Puntos werden diese Jugendlichen genannt, die mit ihren Mopeds an der Küste von Cádiz Schmiere fahren, während Haschisch-Pakete von Marokko aus die Meerenge von Gibraltar überqueren, um nach Spanien und damit Europa zu gelangen.
Ein solches Drogenboot, narcolancha genannt, raste am 9. Februar am Hafen von Barbate über ein Schlauchboot der Guardia Civil hinweg, mit voller Absicht, zwei Beamte wurden getötet, ein weiterer schwer verletzt (CN berichtete). An der Hafenmole standen Menschen, die die Besatzung des Drogenbootes anfeuerten und auf die Guardia Civil im Besonderen und die Polizei im Allgemeinen schimpften.
Seit dem Vorfall ist die Kleinstadt mit ihren 23.000 Einwohnern in aller Munde, Fernsehteams sprechen mit den Anwohnern, die meisten von ihnen wollen anonym bleiben. Zu frisch ist noch die Erinnerung an die 90er Jahre, als der Drogenboss Antón Vázquez hier mit seinem Löwen-Jungen durch die Straßen spazierte. Heute sei Barbate anders, erst ging die Fischerei den Bach runter, leider, dann der Drogenhandel, Gott sei Dank. Die Arbeitslosenzahl ist von 53 auf 27 Prozent gesunken, sagt Bürgermeister Miguel Molina gebetsmühlenartig in die Mikrofone: „Barbate ist ein ehrliches, bescheidenes kleines Küstendorf, das nicht in die Vergangenheit zurückkehren will und sich zu einer Tourismus-Referenz entwickeln wird.“Und die, die am 9. Februar zwei Polizisten töteten, kamen auch gar nicht aus Barbate, fügt er hinzu.
Die höchste Arbeitslosenquote
Geschmuggelt wurde schon immer in der Meerenge von Gibraltar, an deren engster Stelle nur 14,4 Kilometer zwischen Afrika und Europa liegen. Einst war es Tabak, heute ist es Haschisch aus Marokko, immer öfter auch Kokain aus Südamerika,
seit die Kontrollen in den großen Häfen in Galicien und später Algeciras strenger geworden sind. Barbate mag den Absprung geschafft haben, zumindest zum Teil, Drogen-Hotspots bleiben aber andere Küstenorte wie La Línea de la Concepción, Gibraltars direkter Nachbar.
La Línea ist die Stadt mit der höchsten Arbeitslosenquote Spaniens, im Januar waren es 35 Prozent. Mindestens 4.000 der 63.000 Einwohner widmen sich dem Drogenhandel, sagt Francisco Mena, der seit Jahrzehnten mit dem Verein „Alternativas“gegen den Drogenhandel im Campo de Gibraltar ankämpft. Seine Devise: Polizisten allein reichen nicht aus, es braucht Alternativen für die jungen Leute, damit sie gar nicht erst in die Fänge der Drogenmafia geraten. „Deine Zukunft bestimmt mehr die Postleitzahl des Ortes, in dem du geboren wirst als dein genetischer Code“, meint Mena.
In La Línea, so der Spanier, bezahlen die Drogenbosse den Ärmsten gerne mal die Stromrechnung oder die Weihnachtsgeschenke für die Kinder, während sie ihren eigenen Nachwuchs auf teure Privatschulen schicken. Eine ganze Urbanisation in La Línea heißt im
Volksmund Villa Narco, eine Wohnsiedlung voller illegal errichteter Luxus-Chalets der Drogenbosse, die dort hinter hohen Mauern leben und von den Jugendlichen aus der Stadt verehrt werden.
Von hier aus koordinieren sie eine perfekt organisierte Mannschaft, einem internationalen Großkonzern gleich. Nächster
Schritt auf der Karriereleiter für die puntos, jene Jungs (und immer mehr Mädels), die mit ihren Mopeds Schmiere fahren, ist der Posten der braceros: Halbwüchsige, die die Drogenboote am Strand entladen und die Haschisch-Pakete zum bereitstehenden Lkw schleppen. 15 bis 20 sind je nach Ladung im Einsatz, es muss schnell gehen und ist riskant, dafür gibt es bis zu 2.500 Euro pro Ladung pro Nase.
In der nächsten Gehaltsklasse sind die transportistas, die die Lieferwagen mit dem Hasch an Bord fahren, sie bekommen bis zu 20.000 Euro pro Fracht, die sie in die sogenannten guarderías bringen, Lagerstätten, von denen aus
die Drogen irgendwann abgeholt und in Europa verteilt werden. Wer sein Haus oder seine Garage als guardería zur Verfügung stellt, kassiert bis zu 60.000 Euro pro Auftrag. Und das sind nur die Jobs an Land, auf dem Wasser braucht es weiteres Personal. Ganz oben auf der Gehaltsliste stehen mit bis zu 50.000 Euro pro Job die Fahrer, die die Drogenschnellboote steuern. Seit 2018 übrigens sind diese irrsinnig schnellen und leistungsstarken Festrumpfschlauchboote in Spanien verboten.
Auf offener See warten der Pilot und seine Begleiter mitunter Tage auf das Okay, dass die Ware in Marokko abgeholt und an einem spanischen Strand abgeliefert werden kann. In der Zeit wird die Bootsmannschaft vom Land aus mit Essen und Benzin versorgt eine weitere verlockende Einstiegsmöglichkeit für Laufburschen, die den Einkaufswagen im Mercadona mit Energy Drinks und Fastfood füllen.
Schmuggel gab es hier, wie gesagt, schon immer. Was sich verändert hat, ist die Gewaltbereitschaft der narcos, die, wie im Fall von Barbate, nicht mehr vor der Polizei fliehen, sondern draufhalten. „Zum ersten Mal beobachten wir, dass sie gewillt sind, zu töten“, sagt ein Guardia Civil gegenüber der Zeitung „El País“. Machtspiele hat es dabei immer mal wieder gegeben, 2018 etwa stürmten 20 Clan-Mitglieder das Krankenhaus in La Línea, um einen der ihren, der bei seiner Verhaftung verletzt worden war, rauszuholen.
Neue Generation
Mindestens 4.000 Einwohner von La Línea arbeiten für die Mafia
Seinerzeit reagierte das Innenministerium mit einer Spezial-Operation gegen den Drogenhandel im Campo de Gibraltar: Die berühmte Ocon-Sur, 150 Guardia-Civil-Beamte stark, ging ab 2018 systematisch gegen die Mafias vor, verhaftete binnen vier Jahren knapp 20.000 Verdächtige, beschlagnahmte allein im Jahr 2021 über 676 Tonnen Haschisch. Im Sommer 2022 folgte die Verhaftung des Ocon-Sur-Chefs David Oliva. Er soll Verbindungen zu den Drogenbossen gehabt haben, wurde auf Fiestas gesehen, soll Geheimnisse verraten haben. Seine hoch spezialisierten Mitarbeiter kamen in anderen Abteilungen der Guardia Civil unter, Madrid stellte zwar noch 37 Millionen Euro für einen „Spezialplan“aus, doch Ocon-Sur war Geschichte, und der Spezialplan läuft 2025 aus.
Die enorme Polizeipräsenz und die Festnahme wichtiger Drogenbosse zwischen 2018 und 2022 hatte aber Folgen, auch personeller Art. Viele der Veteranen sitzen im Gefängnis, Jüngere, Wildere, Unerfahrenere witterten ihre Chance und nahmen Chefposten ein. Anwalt Manuel Morenete, der seit 15 Jahren narcos aus Cádiz vertritt, meint gegenüber „El País“: „Die, die jetzt da sind, kennen kaum Grenzen, sie haben keinen Respekt vor der Autorität.“
Die Polizei-Gewerkschaften fordern nach dem Vorfall in Barbate nicht nur den Rücktritt von Innenminister Fernando GrandeMarlaska, sondern auch mehr Mittel, mehr Material, mehr Personal an der Küste von Cádiz – ebenso wie übrigens die Gerichte, die mit den Prozessen nicht hinterherkommen. Genau wie die Einwohner der Kleinstädte an der Küste von Cádiz fühlen sie sich hier, im Niemandsland zwischen zwei Kontinenten und weit weg von Madrid, allein gelassen von der Politik.