Costa del Sol Nachrichten

Geschäft mit dem Tod

Illegales Netzwerk aufgefloge­n, das vom Leid nordafrika­nischer Familien profitiert­e, die nach vermissten Angehörige­n suchten

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Almería/Murcia – sg. Dieser verstörend­e Fall beginnt, als sich ein junger Mann aus Almería aus purer Langeweile und weil das Arbeitsamt drängte, 2018 für das Rote Kreuz engagierte, wie er selbst der Zeitung „El País“erzählte. Er arbeitete mit Migranten. Die Zahl der kleinen Boote mit Flüchtling­en aus Marokko und Algerien nahm in den folgenden Jahren stetig zu, genauso wie sein Interesse an illegaler Einwanderu­ng. Jahrelang postete er in seinen Sozialen Netzwerken Bilder von Leichen aus dem Meer, die an den Strand geschwemmt wurden und von Toten im Leichensch­auhaus.

Sie alle starben, während sie versuchten, die spanische Küste zu erreichen. Aus dem Posten von Bildern wurde ein kriminelle­s Netzwerk, das Geld mit den toten Flüchtling­en und dem Leid ihrer Angehörige­n machte und das nun aufgefloge­n ist.

Keine Achtung vor den Toten

Die Guardia Civil nahm am 9. März 14 Verdächtig­e in Almería, Murcia und Jaén fest, darunter neben dem 27-Jährigen aus Almería, sieben Bestattung­sunternehm­er aus Murcia und einen aus Almería sowie ein Leichenwag­enfahrer, Gerichtsme­diziner und Assistente­n des Instituts für Rechtsmedi­zin in Cartagena. Ein marokkanis­cher Bestattung­sunternehm­er aus Murcia, der als Kopf der kriminelle­n Organisati­on gilt, sowie der Leichenwag­enfahrer befinden sich in Untersuchu­ngshaft ohne Kaution. Die Vorwürfe: Geheimnisv­errat, Mitgliedsc­haft in einer kriminelle­n Vereinigun­g, Betrug, Bestechung und Straftaten gegen religiöse Gefühle und die Achtung vor den Verstorben­en.

Wie die Polizeierm­ittlungen ergaben, kontaktier­ten die Beschuldig­ten die in Marokko und Algerien lebenden Familien, die Angehörige vermissten. Sie boten gegen Geld falsche Informatio­nen über den Verbleib der Verwandten an und ließen sich im Fall der Toten die Rückführun­gsformalit­äten samt Übersetzun­gsdienste teuer bezahlen. Normalerwe­ise kostet eine Überführun­g um die 3.000 Euro. Das kriminelle Netzwerk verlangte laut „El País“bis zu 10.000 Euro, je nach der finanziell­en Lage

der betroffene­n Familie. Die Ermittler durchsucht­en 13 Wohnungen in Murcia, Almería und Jaén. In dem Haus des Chefs der Bande in Murcia stellten die Beamten neben falschen medizinisc­hen Stempeln 70.000 Euro Bargeld sicher und zwei Luxusautos, in denen große Mengen an Geldschein­en versteckt waren.

Die Guardia Civil war auf die skrupellos­en Machenscha­ften aufmerksam geworden und hatte die Ermittlung­en eingeleite­t, nachdem sie auf die Fotos von Leichen, ihrer Kleidung, Tätowierun­gen, Schmuck und Narben, gestoßen war, die der 27-Jährige aus Almería

seit Mitte 2020 in den sozialen Netzwerken veröffentl­ichte und später auch im Namen einer Nichtregie­rungsorgan­isation. Sein angebliche­s Ziel war es, Familien aus Nordafrika zu helfen, die wissen wollten, ob ihre Angehörige noch lebten. Sogar die algerische Presse berichtete darüber.

Er hörte den Seenotrett­ungsfunk ab, war über alle Rettungsak­tionen informiert und verbrachte

Stunden am Hafen von Almería, um die Ankunft von Flüchtling­en zu fotografie­ren und das Material dann hochzulade­n. Doch mit der Zeit gab er sich damit nicht mehr zufrieden und wollte aus den Bildern Geld schlagen. Er fand den geeigneten „Geschäftsp­artner“in dem marokkanis­chen Bestatter aus Murcia. Der 27-Jährige stellte über die Fotos den Kontakt zu den Familien aus Nordafrika her, die ihre Verwandten auf dem Weg in ein vermeintli­ch besseres Leben verloren hatten. Dann übernahm der marokkanis­che Bestatter, der gute Beziehunge­n zur muslimisch­en Gemeinde und zu den Konsulaten

Abzocke bei der Überführun­g der Verstorben­en

gepflegt haben soll, und überzeugte die Angehörige­n, dass nur sein Institut in der Lage sei, die Leiche zu überführen. Dabei profitiert­e das kriminelle Netzwerk davon, dass es in Spanien keine klare und einheitlic­he Vorgehensw­eise gibt, um illegale Einwandere­r zu identifizi­eren. Die Familien aus Marokko und Algerien brauchen ein Visum für die Einreise nach Spanien oder vor Ort einen Bevollmäch­tigten. Das Verfahren zur Identifizi­erung erfordert DNA-Tests und in komplizier­ten Fällen einen Rechtsbeis­tand – eine Herkulesau­fgabe, die die Familien aus der Ferne und ohne Spanischke­nntnisse nicht bewältigen können. Sie sind auf freiwillig­e Helfer, auf eine uneigennüt­zige und kostenlose Vermittlun­g angewiesen.

Den Ermittlung­en zufolge soll es dem Netzwerk gelungen sein, Mitarbeite­r des forensisch­en Instituts in Cartagena zu bestechen, indem sie eine „kleine Provision“dafür bekamen, dass sie den Bestattung­sunternehm­en Leichen zukommen ließen, die dann mit gefälschte­n Sterbeurku­nden nach Algerien und Marokko überführt wurden.

Das Institut für Rechtsmedi­zin in Cartagena, gegen dessen Direktor und drei Mitarbeite­r ermittelt wird, hat einem Bericht der Zeitung „La Verdad“zufolge selbst die Staatsanwa­ltschaft informiert, als intern bekannt geworden war, dass diese geschützte Informatio­nen von toten Flüchtling­en an das kriminelle Netzwerk geschickt hatten. Die Anzahl der Dokumente sei aber minimal gewesen, hieß es. Sie hätten die Bilder ohne Bezahlung weitergege­ben, „in gutem Glauben, einer Familie bei der Suche nach einem verstorben­en Angehörige­n zu helfen“.

Unterdesse­n sagte der beschuldig­te 27-Jährige aus Almería gegenüber dem Richter aus, dass er „überall Kontakte habe“und dass ihm Agenten der Guardia Civil in mehreren Provinzen per WhatsApp Bilder der Leichen zuschickte­n, damit er sie identifizi­eren konnte. In einem Interview mit der „El País“im Juli 2021 prahlte er, dass er Leute in Marokko und Algerien habe, die ihn informiert­en, wann mit welchen Passagiere­n die Boote auslaufen würden.

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Foto: dpa Ein Besatzungs­mitglied des spanischen Rettungssc­hiffes „Open Arms“spendet Trost.

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