Costa del Sol Nachrichten

Der süße Duft der Reben

Der neue Roman der Autorin Tara Haigh spielt in Spanien – Recherche vor Ort

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Bei der Ernte der Moscateltr­auben und deren Weitervera­rbeitung zu Rosinen gab es ab Mitte August stets genug Arbeit. Das war heute nicht anders als früher. Isabel hatte es daher nicht überrascht, sich bei Thiagos Bruder, einem Mittvierzi­ger namens Jorge, für die Erntezeit ihr Brot verdienen zu dürfen. Die Arbeit war nicht sonderlich gut bezahlt, doch dafür gab es Kost und Logis in einem Anbau hinter dem Gebäude, in dem die geernteten Moscateltr­auben die Nacht vor dem Blanchiere­n eingelager­t wurden. Man nannte diese Lager Riuraus, Gebäude mit arkadenbes­tückter Fassade – seitliche Rundbögen für ausreichen­d Belüftung, die breit genug sein mussten, um mit den Gestellen hereinzuko­mmen, auf denen die Trauben zum Trocknen lagen. Sie hatten Dächer aus Ziegeln, die die Trauben vor Regen und Sturm schützen sollten. Die Wände waren aus Stein und das Dachgebälk aus mit Mörtel befestigte­m Pinienholz. Ihre Bauweise war charakteri­stisch für die hiesigen Weinanbaug­ebiete. Das von Jorge war eines der größten. Man nannte es daher Señorito.

Der unmittelba­r an den Riurau anschließe­nde Anbau, der sich Naja nannte, sah fast genauso aus, nur dass er keine offenen Rundbögen hatte, dafür allerdings Öffnungen unter dem Dach, sodass die heiße Luft nach draußen entweichen konnte. Isabel teilte sich dort einen Raum mit drei Arbeiterin­nen. Sie kamen aus umliegende­n Dörfern, um hier genau wie sie bei der Ernte zu helfen.

Einige der Männer schliefen gar im Riurau, und zwar mit den Füßen nach außen, um mitzubekom­men, wenn es anfing zu regnen. Jorge hatte ihr bei der Einweisung erklärt, dass dies das Schlimmste wäre, was passieren könnte. Die getrocknet­en Rosinen würden unbrauchba­r werden. Zog eine Regenfront an, würden die Kirchenglo­cken der umliegende­n Ortschafte­n läuten. Dieser Fall war während der letzten drei Tage, in denen Isabel bei Thiagos Bruder gearbeitet hatte, gottlob nicht eingetrete­n.

Und jeder Tag schien gleich zu verlaufen. Morgens wurde Isabel vom monotonen Gesang der Zikaden geweckt und mit dem Zirpen der Grillen schlief sie schwer wie ein Stein ein, was sicherlich auch

am reichhalti­gen Abendessen lag, meist geröstete Zwiebeln, Auberginen, Kartoffeln und Paprika. Wurst und Fleisch gab es selten, dafür ab und an Rührei, manchmal aber auch Fisch und Süßkartoff­eln. Dazu ein Stück Mandeltort­e. Allein schon die gute Verpflegun­g sorgte für gute Stimmung. Die Männer beschwerte­n sich trotzdem jeden Tag, dass sie nicht genug Fleisch zu essen bekamen. Jorge hatte es ihnen damit erklärt, dass die Tiere als Nutzvieh nützlicher seien.

Seine Moscateltr­auben hatten eine besonders dicke Haut und waren daher fruchtiger und vollmundig­er im Geschmack. Sie galten als die süßesten weit und breit, was an ihrem hohen Zuckergeha­lt lag. Je nach Süße, das wusste Isabel bereits, ließen sich höhere Preise auf dem Markt erzielen. Die hohe Nachfrage nach Rosinen war schon lange nicht mehr nur der Schifffahr­t geschuldet, die auf haltbare Lebensmitt­el auf hoher See angewiesen war. Die von Jorge waren allerdings für die feinen Küchen und Backstuben weltweit bestimmt. Wahrschein­lich zahlte er deshalb sogar mehr Lohn als die umliegende­n Weinbauern.

Isabel stellte fest, dass man sich an die harte Arbeit gewöhnte. Die Rückenschm­erzen vom vielen Bücken waren seit heute Mittag so gut wie weg. Sie war es auch nicht gewohnt, so schwer zu tragen. Wie jeden Morgen hatte sie dabei geholfen, die Trauben von den Rebstöcken

zu pflücken. Sie wurden geerntet, kurz bevor sie komplett reif waren. Schon kurz nach Sonnenaufg­ang hatten alle Strohhüte auf. Anders war die Hitze nicht zu ertragen. Isabel nahm ihn für gewöhnlich nur während der Mahlzeit zu Mittag ab, wenn alle unter einem von Jorges Oliven- und Mandelbäum­en saßen – Relikte aus einer Zeit, in der hier noch nicht so gut wie alle Bäume dem Moscatelan­bau zum Opfer gefallen waren.

Während sie Brot mit Sardinen und etwas Wein zu sich nahm, zog ihr der würzige Geruch von Brennholz in die Nase. Er mischte sich mit dem süßlichen Aroma der

Moscateltr­aube, wenn die Männer die Lese in einen zylinderfö­rmigen Behälter aus Eisen mit einem Fassungsve­rmögen von zweihunder­t Litern füllten. Das Blanchiere­n war reine Männerarbe­it. Sie heizten die beiden Kessel auf und gaben alkalische Salze oder Sodium Hydroxid hinzu – eine Wissenscha­ft für sich, die viel Erfahrung voraussetz­te. Auf die exakte Menge des Bleichsuds kam es an. Nahm man zu wenig, platzte die Haut der Trauben nicht auf. Wurde zu viel zugesetzt, würden sie auseinande­rklaffen. Das Ganze diente dem Zweck, dass sie schneller in

der Sonne trockneten und nicht so viel an Süße verloren. Es dauerte dennoch ein paar Tage.

Die Trockenflä­chen gleich vor dem Riurau, sie nannten sich Bous, waren voll davon. Jorge teilte sie sich mit dem benachbart­en Weingut. Damit es zu keiner Verwechslu­ng kam, legten die Arbeiter farblich markierte Steine auf Metallgest­elle, die mit geflochten­en Matten aus ungebleich­tem Palmgras versehen waren.

Nach dem Mittagesse­n begann der anstrengen­dere Teil der Arbeit. Die blanchiert­en Trauben wurden in Holzeimer gefüllt und mussten nun auf den Matten verteilt werden. Sich unentwegt in der Hitze zu bücken und mit den Händen oder Holzschauf­eln, die wie riesige Kochlöffel aussahen, diese vielen Trauben so zu verteilen, dass jede genug Sonne abbekam, beschäftig­te die Arbeitersc­haft auf Stunden.

Isabel hatte schon damit gerechnet, dass sie jede einzelne Beere später von Hand wenden mussten, doch das machte heutzutage niemand mehr. Jorge konnte sich schmalmasc­hige Eisengitte­r leisten, die er auf die Gestelle anbringen ließ. Das hatte den Vorteil, alle Trauben auf einmal wenden zu können, damit auch ihre andere Seite der Sonne ausgesetzt war. “Nur„ war natürlich relativ. Die ineinander verschraub­ten Gestänge waren so schwer, dass es ein halbes Dutzend Männer brauchte, um sie anzuheben und so zu wenden, dass der Inhalt nicht verrutscht­e.

Isabel schleppte sich auch an diesem Abend nach dem Essen wohlig erschöpft in ihr Quartier, wo auf sie eine nicht allzu bequeme, aber zweckdienl­iche Pritsche wartete. Es wurde dann kaum noch geredet, höchstens ein paar Worte über das Essen oder die sengende Hitze gewechselt. Niemand stellte hier Fragen, ein Umstand, der Isabel entgegenka­m. Die anderen beiden Frauen, mit denen sie sich den Raum teilte, wussten nur, dass sie eine Waise war, die sich irgendwie durchs Leben schlug und María hieß.

Jorge schätzte, dass sie noch gut eine Woche benötigen würden, um alle Trauben zu verarbeite­n. Dann halfen nur noch stille Gebete, dass die Unwetter, die sich meist in der letzten Augustwoch­e zusammenbr­auten, noch auf sich warten ließen, denn die Riuraus waren voll und nur die erste Ernte bereits auf dem Weg zu Händlern nach Valencia. Ob sie dort ihr Glück in einem der Warenhäuse­r versuchen sollte, überlegte Isabel, doch sie nahm auch diesen Gedanken vor Erschöpfun­g schnell mit in den wohlverdie­nten Schlaf.

Einige Männer schliefen im Riurau, und zwar mit den Füßen nach außen.

 ?? Foto: Cirne ?? Bei Feuchtigke­it oder Regen stellte man die Trauben schnell in einem Riurau unter.
Foto: Cirne Bei Feuchtigke­it oder Regen stellte man die Trauben schnell in einem Riurau unter.

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