Costa del Sol Nachrichten

Fiesta in der Alhambra

Geschichts­stunde mit Wattestäbc­hen: Die Deckenmale­reien im Saal der Könige der Alhambra sind mehr als Zier

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Granada – mar. 600 Jahre alte Gemälde hängen normalerwe­ise in klimatisie­rten Museen hinter Glas. Doch dass die Deckenmale­reien im hintersten Winkel der Nasriden-Paläste der Alhambra sozusagen im Freien stehen, ist lange nicht ihre einzige Besonderhe­it. Für die Restaurato­ren, die sich ihnen alle paar Monate mit Wattetupfe­rn und viel Respekt nähern, sind sie ein Albtraum. Denn sie sind auf Leder gemalt, Haut aber schwitzt und verändert sich, Leder wird brüchig, es drohen Schimmel und Risse, Farbe könnte abblättern von einzigarti­gen Werken.

Wir sind im Saal der Könige, dem Fiesta-Appendix der Sultane von Granada, der sich an den Löwenhof anschließt. Hier hielt Mohammed V. Hof, der 1354 als 15Jähriger Sohn eines Emirs, des Königs also, und einer Haremsskla­vin den wackeligen Thron eines bedrängten und labilen Reiches bestieg. Zeitgenöss­ische Berichte, jene die den Feuerteufe­l Kardinal Cisneros überstande­n, der die AlhambraBi­bliothek auf der Plaza Bib Rambla in Flammen aufgehen ließ, erzählen von märchenhaf­t andächtige­n Feiern, natürlich zu Ehren des „Allmächtig­en“, dessen Anbetung aber vor allem Anlass und Vorwand für durchaus irdische Feste war.

Wenn die Besucher der Alhambra an den bemalten Gewölben ankommen, sind die meisten schon wie benommen durch endlose, schwindele­rregende Pracht maurischer Bau- und Dekoration­skunst der drei großen Nasriden-Paläste. Der Löwenhof mit dem Brunnen, das schwebende Säulenwäld­chen, psychedeli­sche Kalligraph­ien, beschwingt­e Bögen und muschelart­iger Wandstuck, der wie Korallenri­ffe wirkt, sie lassen Füßen und Sinnen kaum Kraft, diese letzte Großartigk­eit zu würdigen. Ein Grund mehr, die Alhambra öfter zu besuchen.

Die Deckengemä­lde, entstanden zwischen 1390 und 1408, sind die einzigen Menschenda­rstellunge­n, die das islamische Spanien hinterlass­en hat. Die Brunnenlöw­en im benachbart­en Patio zählen nicht, denn die waren Geschenke der Juden Granadas. Außerdem gelten die Deckengemä­lde als bedeutends­te Profanmale­reien der kastilisch­en Gotik. Denn die Künstler waren Christen, entsandt vom Sevillaner Hof, Mohammeds

Gartenhaus zu verschöner­n. In der Heimat malten sie damals nur Religiöses und Blümchen.

Das klingt unwirklich, fabelhaft, wenn man bedenkt, wie bitter die Reconquist­a tobte und sich zur Zeit Mohammeds die Frontlinie­n bereits wie eine Schlinge um das Kernland des Königreich­s Granada legten. Doch die Historie mag es kapriziös und baute einen doppelten Bruderkrie­g als Zwischensp­iel ins große Drama. 1359 wurde Mohammed von seinem Bruder, ein „Bastard“wie er, vom Thron verjagt und musste zwischenze­itlich bis nach Portugal fliehen. Pedro I., König von Kastilien, ein schlauer Stratege, entsandte Truppen, um ihn wieder zu installier­en. 1362 gelang das, Mohammed sicherte dem Kastilier als Gegenleist­ung nicht nur Schutz vor nordafrika­nischen „Taliban“zu, sondern Granada wurde quasi zum Vasallenst­aat, zahlte Abgaben für Frieden. Der Protektion­ismus Pedros kam nicht von Ungefähr, denn Mohammed half dem fast Gleichaltr­igen

über ein Jahrzehnt zuvor aus einer ähnlich misslichen Lage. Auch Pedros Verwandte wollten ihn vom Thron stoßen, Europas Großmächte zogen die Fäden. Pedro gewann den „Krieg der zwei Pedros“, der, als Kastilisch­er Bürgerkrie­g in die Geschichts­bücher eingegange­n, eine Fußnote des Hundertjäh­rigen Krieges wurde.

Als die Schlachten geschlagen waren, widmete sich Pedro seinem Hof in Sevilla, baute sein Schloss aus und lud dazu Stuckateur­e und Maler aus Granada ein. Was die

vollbracht­en, ist heute in den Alcázares zu bewundern. 1369 starb Pedro, einer seiner Nachfolger, Enrique III., bekräftigt­e mit der Entsendung der Künstler in die Alhambra die Allianz. Höchstwahr­scheinlich stellen die Gemälde den Hof Mohammeds und dessen Ahnenreihe dar. Der Emir mit rotem Bart, das ist kein Ausrutsche­r, schon Córdobas Kalif Abd al-Rahmán III., 500 Jahre zuvor, soll rothaarig und hellhäutig gewesen sein. Fast alle hatten Sklavinnen als Mütter, die kamen oft aus Galicien und Asturien,

denn Christen auf eigenem Territoriu­m durften nicht versklavt werden, die lebten als dhimmie unter abgabenpfl­ichtigem Schutz.

Spanier ließen nie eine Fiesta aus, egal welcher Konfession sie waren

Wunden in der Lederhaut

Jagdszenen und Fabelwesen ergänzen die Malereien, eine Prinzessin mit unbedeckte­m Gesicht ist zu sehen. Reisende berichten, die Nasriden hätten sogar Weihnachte­n gefeiert und Wein getrunken wie Kutscher. Spanier ließen nie eine Fiesta aus, egal welcher Konfession sie waren. Gehen wir das Gewölbe ab, treten wir alsdann in die Wohnräume Carlos I. und so in eine neue, wenig tolerante Epoche.

Die Deckengemä­lde des Sala de los Reyes, die Mohammed, der 1391 starb, nur kurz genießen konnte, sind auch das leicht dahingewor­fene Fresko der sicherlich naiven Idee, dass die Geschichte zwischen Pedros, Mohammeds und Abrahams anders hätte verlaufen können, als sie es tat. Uns so kurieren jahrein und -aus Restaurato­ren mit ihren Wattestäbc­hen die kleinen Wunden der Lederhaut der Gemälde in der Alhambra, während anderswo mit schwerem Gerät immer neue geschlagen werden und, scheinbar unheilbar, bluten.

 ?? Fotos: Patronato ?? Emire, Prinzessin­en, Pferde, Fabelwesen und ein „Barbarossa“. Deckengemä­lde der Sala de los Reyes in der Alhambra.
Fotos: Patronato Emire, Prinzessin­en, Pferde, Fabelwesen und ein „Barbarossa“. Deckengemä­lde der Sala de los Reyes in der Alhambra.
 ?? ?? Restaurier­ung der vor 600 Jahren auf Leder gemalten Kunst.
Restaurier­ung der vor 600 Jahren auf Leder gemalten Kunst.
 ?? Foto: Rathaus ?? Letzte Tage: Estepona zeigt Werke Goyas, die sich mit dem „Schrecken des Krieges“befassen.
Foto: Rathaus Letzte Tage: Estepona zeigt Werke Goyas, die sich mit dem „Schrecken des Krieges“befassen.

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