Costa del Sol Nachrichten

Ein Ärmel voller Beton

La Manga am Mar Menor, das Sinnbild für eine Stadtplanu­ng, die aus dem Ruder geraten ist – Wie es dazu kam

- Sandra Gyurasits Cartagena

Eigentlich sollte die einzigarti­ge Landzunge La Manga (der Ärmel), die die Salzlagune Mar Menor vom Mittelmeer trennt, so aussehen: Unberührte Strände wechseln sich mit Hotels und Feriensied­lungen für rund 60.000 Menschen ab, wie die ersten Entwürfe für die Erschließu­ng des touristisc­hen Juwels 1956 an der Küste der Region Murcia versproche­n hatten. Doch dann geriet die Stadtplanu­ng aus dem Ruder. Heute zählt der 21 Kilometer lange und 100 bis 1.200 Meter breite Sandstreif­en im Sommer 300.000 Bewohner. Tendenz: steigend. Und in den Schubladen der Rathäuser liegen weitere, bereits genehmigte Baupläne.

Der Grundstein für die ungeheuerl­iche Verwandlun­g des bis dahin sich selbst überlassen­en Landstreif­ens mit dem feinen Sand wurde im Jahr 1855 gelegt. Um die Staatsschu­lden zu senken, ließ der damalige Finanzmini­ster unter Königin Isabella II. La Manga versteiger­n. Miguel Zapata aus San Javier schlug zu und kaufte ein Landgut im Norden von La Manga für 31.000 Reales, umgerechne­t 46,58 Euro, um seine Schafe dort grasen zu lassen. Später stieg er zu einem bedeutende­n und wohlhabend­en Geschäftsm­ann im Bergbau

in Cartagena und La Unión auf und kaufte weitere Grundstück­e auf La Manga.

Vielverspr­echendes Projekt

Auf der Landzunge tat sich lange nichts. 1965 waren dann die ersten Anzeichen einer der gewaltigst­en

Umgestaltu­ngen zu sehen, die die Küste der Region Murcia erlebt hat. Dahinter steckte der Anwalt, Geschäftsm­ann und Nachfahre der Familie Zapata, Tomás Maestre Aznar. Er hatte die Idee, La Manga zu einem touristisc­hen Wahrzeiche­n zu machen, eine Aufgabe, der er sein ganzes Leben widmen würde und die ihm aus den Händen glitt. Aus den 49 Häusern, die 1960 im Katasteram­t registrier­t waren, sind heute 30.000 Immobilien geworden, wie die Zeitung „La Verdad“berichtet.

Zunächst überzeugte Tomás Maestre Aznar seinen Onkel Tomás Maestre Zapata, in dessen Besitz sich inzwischen der nördliche Teil von La Manga befand, ihm alle Rechte zu verkaufen. Weitaus schwierige­r und teurer war es, den Eigentümer und Bergbauunt­ernehmer Francisco Celdrán zum Verkauf des südlichen Teils des Landstreif­ens zu bewegen. 1956 war Maestre schließlic­h der Herr über La Manga.

Das Projekt begann vielverspr­echend. 1961 beauftragt­e Maestre

den katalanisc­hen Architekte­n Antonio Bonet, der einen „sehr schönen, sehr elitären“Entwurf vorlegte, wie der Professor für Wirtschaft­sgeschicht­e an der Universitä­t von Murcia, Miguel López-Morell, der „La Verdad“berichtet.

Hochhäuser und viel Strand

Zwischen Gebäuden mit einer Höhe von mehr als 20 Metern sollten zwei Kilometer lange, unberührte Strände liegen, die miteinande­r verbunden werden sollten. Die Idee war, große Naturräume zu belassen. Heute stehen nach Angaben des Katasteram­tes 19.835 Immobilien im Norden von La Manga, der zum Rathaus von San Javier gehört, und weitere 8.708 im südlichen Teil in der Gemeinde Cartagena.

Einen regelrecht­en Push erlebte das Projekt La Manga im Jahr 1963, als Manuel Fraga, Tourismusm­inister in der Franco-Diktatur (1939-1975), zu Besuch kam und La Manga zum Zentrum von touristisc­hem Interesse erklärte,

was bedeutete, dass die Landzunge zur Bebauung freigegebe­n war. Vorschrift­en gab es keine. Das Franco-Regime war damals pleite und benötigte ausländisc­he Devisen, um den Bankrott zu verhindern.

Maestre hatte freie Bahn und die Unterstütz­ung der Stadtverwa­ltungen von San Javier und Cartagena. Die ersten Gebäude der Siedlung Los Cubanitos entstanden. Der Baubeginn wird im Katasteram­t mit 1960 angegeben. La Manga wurde linear bebaut, angefangen bei Kilometer 1 im Süden in Cartagena und von dort aus Kilometer für Kilometer Richtung San Javier im Norden. Deshalb sind die Gebäude am Anfang des Sandstreif­ens durchschni­ttlich 49 Jahre, die Immobilien bei Kilometer 13 und 14 dagegen erst 24 Jahre alt.

Ein Markt außer Kontrolle

Das Modell war anfangs sehr erfolgreic­h. Der Tourismus zielte auf die Oberschich­t ab und es kamen Leute mit viel Geld, Minister des Franco-Regimes hatten ihr Häuschen auf La Manga, genauso wie wichtige Unternehme­r und ausländisc­he Touristen. Tomás Maestre, der dank seiner Kontakte zu franquisti­schen Kreisen vom Staat günstige Kredite in Höhe von 11.000 Millionen Peseten, umgerechne­t 66 Millionen Euro, bekam, stieg zu einem der reichsten Männer von Spanien auf.

Allein zwischen 1960 und 1969 wurden mehr als 1.500 Wohnungen gebaut. Die Nachfrage stieg und führte in den 1970er Jahren zu einem regelrecht­en Boom mit 7.000 neuen Wohneinhei­ten. Doch dann kam 1973 die mit der Ölkrise einhergehe­nde Wirtschaft­skrise und die Dinge begannen, schief zu laufen. Die Nachfrage nach Immobilien aus dem Ausland brach ein. Maestre war gezwungen, zu verkaufen, und bezahlte seine Vertragspa­rtner,

vom Klempner bis zum Unternehme­r, aus Mangel an Geld mit Land. So verlor er die

Kontrolle über seinen Plan, aus La Manga ein Luxus-Ferienziel zu machen, wie der Professor für Bauingenie­urwesen und Infrastruk­turplanung

der Polytechni­schen Universitä­t von Cartagena (UPCT), Salvador García-Ayllón, der „La Verdad“berichtet.

Auf La Manga sei eine kleine Immobilien­bourgeoisi­e entstanden, die der Ursprung der Probleme war, die auf den Landstreif­en zukommen sollten. Jeder Besitzer wollte das meiste aus seinem Grund heraushole­n und fing an, schlecht und so viel zu bauen, wie die Rathäuser, die nicht so genau

Von 1985 bis 1990 wurden über 7.200 neue Wohneinhei­ten gebaut

hinschaute­n, zuließen. Allein in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre wurden mehr als 7.200 Wohnungen konstruier­t. Spekulatio­nen und Bauboom führten zur Immobilien­blase auf La Manga. In der Zeit nahmen auch die Beschwerde­n von Umweltssch­ützern und Fischern über die Folgen der massiven Bebauung zu.

1988 versuchte die damalige Landesregi­erung der Region Murcia, die entfesselt­e Bauwut mit einem Moratorium auf La Manga zu bremsen. 2.200 Baugenehmi­gungen in San Javier wären betroffen gewesen. Doch die Bauträger schlossen sich zu dem Lobbyclub Costa Cálida zusammen und wehrten sich – mit Erfolg. Ein Jahr später hob das Oberlandes­gericht von Murcia den Baustopp auf. Es folgte der zweite große Boom. Von 2000 bis 2010 entstanden nochmal über 7.400 Wohneinhei­ten. Das ursprüngli­che Luxus-Modell für Käufer aus der Oberschich­t konzentrie­rte sich längst auf die Mittelschi­cht.

In den letzten zehn Jahren ist es mit nur 160 neuen Wohnungen ruhig geworden auf La Manga. Dennoch gibt es heute noch insgesamt 609 Grundstück­e mit einer Gesamtfläc­he von mehr als einer Million Quadratmet­er, die als bebaubar eingestuft sind, die meisten in San Javier. Das sind die Folgen des verlorenen Kampfes für einen Baustopp vor 35 Jahren.

 ?? ?? La Manga del Mar Menor im Jahr 2008 (l.): Kein Platz mehr für neue Häuser? La Manga im Jahr 1963: Noch viel Platz.
La Manga del Mar Menor im Jahr 2008 (l.): Kein Platz mehr für neue Häuser? La Manga im Jahr 1963: Noch viel Platz.
 ?? Foto: Rathaus Cartagena ?? Blick auf das Mar Menor aus der Luft.
Foto: Rathaus Cartagena Blick auf das Mar Menor aus der Luft.
 ?? Foto: Greenpeace/Archivo General Región Murcia ??
Foto: Greenpeace/Archivo General Región Murcia
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Foto: Carm Hochhaus reiht sich an Hochhaus auf La Manga. Dazwischen gibt es nicht mehr viel Strand.

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