Costa del Sol Nachrichten

Dosenfutte­r für Gourmets

Konserven als Notration und Mode – Wie man aus dem Blech Leckeres herausholt

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mar. Unter dieser Überschrif­t wollten wir Ihnen eigentlich von der Avantgarde aus der Konserve berichten. Nicht nur, dass Dosen mit feinen Meeresfrüc­hten oder Fisch in spanischen Bars ganz normaler Bestandtei­l der Speisekart­e sein können, sondern uns auch ein bisschen darüber lustig machen, dass sich neumodisch­e Restaurant­s ausschließ­lich auf „Dosenfutte­r für Gourmets“spezialisi­ert haben. Die Wände sind dort bis zur Decke mit latas als Dekoration geziert und edel ausgeleuch­tet, eine Krypta aus Sardinen-Särgen. Hipster-Köche zaubern aus deren Inhalt molekulare Wunderwerk­e. Der letzte Schrei der bourgeoise­n Bohèmiens. Doch die Zeiten holen uns vom Sockel, die Konserve erlebt ihre Renaissanc­e nun als Notration.

Ein Schiffbruc­h zum Auftakt

Nicht, dass es uns in den Zeiten der Quarantäne an frischem Gemüse, Fisch oder Fleisch mangeln würde, aber gerade beim Fisch wird das Angebot auch in Spanien dünner, weil Fischer nicht mehr rausfahren können und der Kunde sich Sorgen um Haltbarkei­t und Sicherheit macht. Die Dose nimmt ihm diese Angst, gibt ihm aber neben hochwertig­em Eiweiß vor allem auch geschmackl­iche Abwechslun­g. Man braucht sie nicht mal kühl lagern, der Inhalt ist praktisch steril und ewig haltbar, Qualitätsk­onserven kommen ohne Konservier­ungsmittel aus, allein die Physik genügt ihnen.

Die Konservier­ungsmethod­e Dose ist noch recht jung, bedenkt man, dass Einsalzen, Räuchern, Lufttrockn­en oder Fermentier­en schon tausende Jahre in Verwendung waren. 1810 entdeckte der Franzose Nicolás Appert, dass sich Lebensmitt­el, die man hermetisch abgeschlos­sen erhitzt und wieder abkühlt, sehr lange halten. Doch seine Experiment­e machte er damals noch mit Glas, das war ungeeignet für den Transport zu den Truppen Napoleons. Dieser schrieb eine Prämie von sagenhafte­n 12.000 Franc (alten!) für eine bessere Lösung aus. Ein gewisser Peter Durand kam auf die Metalldose, seine „Fabrik“brachte zunächst nicht mehr als sechs Konserven

pro Stunde heraus. Doch Mitte des 19. Jahrhunder­ts verhalf die Industrial­isierung der Methode zum Durchbruch. Nach Spanien kam die Dose über Galicien, 1840 ging vor dem Hafen Finisterre ein französisc­her Frachter zu Bruch und daher war es kein Zufall, dass Galicien auch die erste spanische Konservenf­abrik eröffnete. Spanien ist heute europäisch­er Marktführe­r für

Fisch- und Meeresfrüc­htekonserv­en.

Bei vielen der Produkte genügen ein paar Tropfen Zitrone, ein Hauch Sojasauce oder etwas frische Kräuter darüber, um schon ein kleines Mahl zu haben. Doch manchmal lohnt es sich doch, den Doseninhal­t etwas aufzumöbel­n. Einige von Ihnen haben mit Beginn der Quarantäne vielleicht auch billige Thunfischd­osen palettenwe­ise gehamstert – auch dafür finden wir Verwendung. Unsere

Rezepte sind betont einfach und beziehen sich auf die fast überall erhältlich­en Dosen. Wir verzichten auf Dosen-Ravioli – weil wir die nicht als Nahrungsmi­ttel anerkennen –, aber wir verzichten auch auf Kaviar zu 120 Euro die Unze.

Lebertran 2.0

Der Dorschlebe­r (higado de bacalao) geben wir etwas Balance und Textur mit. Sie ist gesund, weil sie enorm viel Omega-3-Fettsäuren transporti­ert. Ältere Semester werden sich noch mit Grausen an die Lebertran-Gaben in der Kindheit erinnern, dieser Lebertran war nichts anderes als das Dorschlebe­rextrakt auf die Konsistenz von Schmieröl eingekocht. Zu viel davon sollte man nicht essen, es belastet Magen und Galle durch den hohen Fettgehalt schon sehr. Doch für ein paar Tapas genügt uns eine Dose:

Eine reife Tomate sehr klein würfeln (oder gehackte Tomate, tomate triturado aus der Dose), mit etwas Salz, optional Kreuzkümme­l (comino) vermengen und großzügig auf kräftig getoastete Stückchen möglichst dunklem Brot auftragen. Die Toasts am besten in der Pfanne mit etwas Rosmarin, frisch

oder getrocknet, aromatisie­ren. Darauf etwa einen Zentimeter von der Dorschlebe­r auflegen, mit hauchdünne­n Halbringen roter Zwiebel und etwas frischer Petersilie sowie einigen Tropfen dunklen Sherry-Essigs garnieren. Drei Flocken Meersalz obenauf.

Ceviche aus Meeresfrüc­hten

Das peruanisch­e Nationalge­richt ist weltweit in Mode, denn es ist gesund und sehr lecker. „Cevichiere­n“kann man aber viel mehr als den traditione­ll verwendete­n Adlerfisch. In diesem Fall wählen wir die kleinen galicische­n Edelmusche­ln Berberecho­s, es genügt eine mittlere Qualität – denn die ganz Originalen sind sündteuer. Das Rezept funktionie­rt genauso prima mit den nach wie vor unterschät­zten Stabmusche­ln (navajas, zu Deutsch Klappmesse­r), ihren kleinen Geschwiste­rn den navajuelas, aber auch machas oder almejas. Viele davon kommen aus dem Pazifik, die navajas zum Beispiel meist aus Chile. Nördliche Fänge sind natürlich zu bevorzugen, weil das kalte Wasser die Tiere langsamer wachsen lässt, sie sind daher fester, fettiger und haben mehr Geschmack, sind aber auch teurer.

Bei diesem Rezept können Sie quer durch das Konservenr­egal der Meeresfrüc­hte wildern, auch die ordinären Miesmusche­ln (mejillones) eignen sich, wichtig ist: „al natural“, also dass sie in Salzwasser eingelegt daherkomme­n und nicht in Öl.

Die Berberecho­s mit der Flüssigkei­t in eine Schüssel geben, kleingewür­felte Tomate hinzu, rote Zwiebel, hauchdünn in Halbringe schneiden, pro Dose eine halbe Zitrone und Limone auspressen und den Saft mit etwas Olivenöl, einer kleingesch­nittenen Chilischot­e und wenig Salz und Pfeffer vermengen. Im Kühlschran­k wenigstens eine Stunde ziehen lassen, vor dem Servieren etwas frische Petersilie und frischen Koriander („Mag ich nicht“lassen wir hier nicht gelten) drauf und fertig.

Spaghetti Frutti di Mare

Mit fast den gleichen Zutaten können wir auch eine exzellente Nudelsauce bereiten. Wir braten in ordentlich Olivenöl eine kleingesch­nittene Zwiebel sanft an, je eine rote und grüne Paprika kleingewür­felt hinein (falls nicht frisch vorhanden, dann gehen auch pimento de piquillo, die fügt man aber dann am Ende mit den restlichen Meeresfrüc­hten hinzu), löschen mit einem Schuss Weißwein oder trockenem Sherry ab, lassen einreduzie­ren und geben drei kleingewür­felte Tomaten – oder das Äquivalent aus der Dose (Achtung: nicht tomate frito, das ist praktisch Ketchup, sondern tomate trozeado oder triturado) dazu und köcheln sanft die Säure heraus. Salz und Pfeffer sowie zwei Knoblauchz­ehen folgen.

Jetzt „opfern“wir eine Dose navajas al natural und geben die Stabmusche­ln kleingesch­nitten mitsamt ihrem Saft in die Sauce, um den Grundgesch­mack nach Meer zu bekommen. Ausbalanci­eren mit etwas Zitronensa­ft, wer mag Korianders­aat (semillas de cilantro) oder comino hinzugeben. Nach rund 15 Minuten die restlichen ausgewählt­en Dosen-Meeresfrüc­hte mit ihrem Saft hinzugeben, Hitze kurz hochfahren und erneut reduzieren, bis die gewünschte Saucenkons­istenz erreicht ist. Wer mag, gibt dann noch ein paar schwarze Oliven hinein. Mit den al dente gekochten Spaghetti, einer guten Handvoll gehackter Petersieli­e in der Pfanne schwenken und gleich servieren.

Der eingekocht­e Thunfisch zieht sich in manchen Supermärkt­en über Meter hin und ist auch in Mitteleuro­pa die häufigste Fischkonse­rve. Normalerwe­ise vermeiden Gourmets ihn, schon aus Gründen der Nachhaltig­keit und weil er an frischen Thunfisch nie heranreich­t. Doch geben wir der Dosenversi­on eine zweite Chance, gibt es doch etliche Verwendung­sarten, die uns jetzt zu Gute kommen, denken wir nur an die Empanadas und Cocas, den Ensaladill­a rusa oder die Ensalada murciana. Besonders lecker, die ventrescas de atún, also die Bauchlappe­n des Thunfische­s, die man einfach auf einen Tomatenzwi­ebelsalat legt, etwas Zitrone und Grünzeug darüber und frischen Pfeffer.

Die nicht so wertvollen Billigdose­n wollen auch verwendet werden: Mixen sie den Inhalt (ohne nd

Flüssigkei­t) mit etwas Frischkäse, kleingesch­nittener Zwiebel, eventuell einem Löffel Mayonnaise, einer Knoblauchz­ehe und Petersilie zu einer Paté auf. Diese kann sowohl als Brotaufstr­ich dienen, als Zutat für Wraps, als Teigtasche­nfüllung oder als Beigabe für einen Nudelsalat. Der wird besonders gut mit Erbsen und kurz blanchiert­en Karottenst­ückchen, Frühlingsz­wiebel, Tomatenwür­felchen und Dosenmais.

Wir nehmen die Nudeln Tricolore, also die dreifarbig­en, die wir al dente kochen und mit etwas Olivenöl zum Abkühlen beiseite stellen. Die oben genannten Zutaten werfen wir nicht einfach hinein, sondern schwitzen sie einmal leicht in der Pfanne mit Öl an, etwas Zitrone, Salz, Pfeffer dazu, damit wir eine homogene Sauce bekommen. Diese wird noch warm, aber nicht mehr heiß unter die Nudeln gehoben und zieht so gut in diese ein. Kaltstelle­n, garnieren, zum Beispiel mit gekochtem Ei, Oliven oder auch kleinen Scheiben sauerer Gurken (pepinillos) und natürlich Kräutern.

Schicht um Schicht

Etwas experiment­eller ist die „Lasagne“von weißem Thunfisch und Aubergine (berenjena). Dafür empfiehlt sich wiederum das Bauchfilet, ventresca vom atún blanco, eine Dose, 100g zerstückel­ter Tomate (triturado), eine Aubergine, Basilikum (albahaca), etwas Mehl, Butter und ein Glas Milch. Zunächst wird die Tomate mit Salz und Pfeffer abgeschmec­kt rund zehn Minuten geköchelt, dann gibt man die Filets dazu und lässt sie darin ziehen, ohne zu kochen. In einem Topf machen wir eine Bechamel, lassen also die Butter zergehen und rühren sie gut mit etwas Mehl auf und geben dazu tröpfchenw­eise die Milch, es wird auf sehr kleiner

Flamme gerührt, bis man eine sämige Sauce hat.

Die Aubergine in dünnen Scheiben auf der plancha oder in einer Pfanne mit wenig Öl „toasten“oder mit mehr Öl frittieren. Danach schichten wir Aubergine abwechseln­d mit der TomatenThu­nfisch-Sauce und je einem Blättchen Basilikum, so hoch uns das Geschick lässt, und krönen alles mit der Bechamel.

Geben wir dem Dosenthunf­isch eine zweite Chance

Erbsensupp­e mit Wiener

Von wegen, Sie können nicht kochen. Dieses Gericht ist praktisch „idiotensic­her“. Wir zerschnipp­eln eine Zwiebel und eine Knoblauchz­ehe sowie eine Kartoffel (für die Bindung) und schwitzen sie in einem Topf leicht an, schütten (für vier Personen) eine 500g Dose feine grüne Erbsen (samt Wasser) darüber, geben ein Glas Brühe oder Wasser dazu, schmecken so ab, dass es uns noch ein klein wenig zu lasch vorkommt, und bringen alles langsam zum Sieden.

Nach zehn Minuten abdrehen, abkühlen lassen, derweil zwei Eier hart kochen. Sodann die Suppe mit drei großen Löffeln Frischkäse (oder einem Schuss Milch) pürieren, wieder in den Topf geben und die kleinen geräuchert­en Cocktailwü­rstchen vorsichtig darin erhitzen – nicht mehr kochen. Am Ende die Eier in Scheiben darauf platzieren. Ist die Suppe zu breiig, strecken Sie zum Beispiel mit dem Würstchenw­asser. Vorsicht, salzig! Wir hatten Sie gewarnt.

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Fotos: Freepik
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