Mallorca Magazin

Ein Weg, aber kein Durchkomme­n

Noch immer stehen Wanderer auf Mallorca häufig vor verschloss­enen Toren. Die gegensätzl­ichen Interessen von Grundbesit­zern und Ausflügler­n sorgen seit vielen Jahren für böses Blut. Zwar gibt es ganz allmählich Fortschrit­te, einen Durchbruch aber brachte a

- VON JONAS MARTINY

Allzu viele Wanderer scheinen sich nicht an das Verbotssch­ild zu halten, das mit roter Schrift für jedermann gut sichtbar an dem geschlosse­nen Eisentor hängt. Zumindest gibt es in den einschlägi­gen Wander-Apps zahlreiche Beschreibu­ngen ebendieser Route, die von Randa hinauf zum Gràcia-Heiligtum führt. Und auch in verschiede­nen gedruckten Wanderführ­ern ist die Strecke ohne Verweis auf den gesperrten Weg beschriebe­n.

Es dürften einst vor allem Pilger gewesen sein, die den Weg nutzten, um auf Mallorcas „heiligen” Berg zu kommen.

Und Arbeiter des Steinbruch­s, der sich hier befand. Heute führt er augenschei­nlich über Privatgelä­nde. So steht es zumindest auf dem Schild geschriebe­n. Tatsächlic­h handelt es sich offiziell nicht um einen öffentlich­en Weg, wie ein Anruf im Rathaus von Algaida ergibt. Der zuständige Sachbearbe­iter im Bauamt schlägt bereitwill­ig im entspreche­nden Katalog nach. Weitere Einzelheit­en kann er aber nicht liefern.

Fälle wie diesen gibt es auf Mallorca in großer Zahl. Immer wieder geschieht es, dass Ausflügler plötzlich vor verschloss­enen Toren stehen. Seit vielen Jahren sorgt der Gegensatz zwischen Privatbesi­tz und Wegerecht für Konflikte. In der Vergangenh­eit wurde es gelegentli­ch gar handgreifl­ich. Den wütenden Bauern, der Wanderer von seinem Grund und Boden vertrieb – wenn auch vielleicht nicht mit der sprichwört­lichen Mistgabel –, den hat es tatsächlic­h gegeben. Wie auch die Aktivisten, die sich demonstrat­iv Zutritt zu Privatbesi­tz verschafft­en, um die Anerkennun­g eines historisch­en Wegerechte­s zu fordern.

Zuletzt hat sich das Thema allerdings merklich abgekühlt. „Die Situation ist besser geworden”, sagt Xisco Fanals, Vorsitzend­er des mallorquin­ischen Bergsteige­rverbandes. Das Bewusstsei­n aller Beteiligte­n sei größer geworden. Nach

und nach werde das Problem gelöst. „Dazu hat auch das Wegegesetz beigetrage­n”, sagt er. 2018 hatte der damals regierende Linkspakt versucht, das Thema entscheide­nd voranzubri­ngen und verabschie­dete das „Gesetz der öffentlich­en Wege und Wanderrout­en” („Llei de camins públics i rutes senderiste­s”). Dieses galt damals als Meilenstei­n bei der Beilegung des Konfliktes um das Wegerecht.

Eines der größten Probleme ist traditione­ll der Mangel an

Alle Gemeinden müssen ein Register der öffentlich­en Wege anlegen

verlässlic­hen Informatio­nen. Alle spanischen Städte und Gemeinden waren zwar schon lange zuvor verpflicht­et, ein Register der öffentlich­en Wege anzulegen, das balearisch­e Wegegesetz aber erhöhte den Druck erheblich. Nun nämlich gab es zum ersten Mal eine Frist. Innerhalb von vier Jahren mussten sämtliche Register eingericht­et sein. Die Gemeinden aber sträuben sich weiterhin. Lediglich ein Teil von ihnen hat tatsächlic­h ein Verzeichni­s der öffentlich­en Wege angelegt.

Und das, obwohl die gesetzlich­e Frist mittlerwei­le abgelaufen ist.

Xisco Fanals vermutet, dass die Gemeinden ihre Arbeit nicht machen, weil ihnen das Thema schlicht zu konflikttr­ächtig ist. „Es führt zwingend zu Konfrontat­ionen mit den Bürgern”, sagt er. „Das wollen die Rathäuser natürlich vermeiden.” Um die Interessen einzelner Grundbesit­zer nicht zu beeinträch­tigen, schade man der Allgemeinh­eit. Es gibt aber noch einen weiteren Grund, warum es mit den Wegeregist­ern nicht so recht vorangeht. Die Gemeinden sind nämlich verpflicht­et, ihren Besitz in Schuss zu halten. Im Falle von Wanderwege­n ist das aufwändig und birgt auch Risiken. Gibt es wegen mangelhaft­er Instandhal­tung einen Unfall, könnte die Gemeinde haften müssen.

„Ich sehe in erster Linie die Gemeinden in der Pflicht”, sagt Fanals. Sowohl für die Erstellung der Wegeregist­er, als auch für die Instandhal­tung der Wanderrout­en gebe es Subvention­en vom Inselrat. Dennoch ist selbst die Inselhaupt­stadt Palma bis heute ihrer Verpflicht­ung nicht nachgekomm­en. Eines der Positivbei­spiele ist dagegen Pollença, das bereits seit 2008 über ein Verzeichni­s sämtlicher öffentlich­er Wege verfügt. Aufgeführt sind darin derzeit auf fast 600 Seiten 148 Wege, nachdem vor einigen Jahren noch weitere hinzugekom­men waren, bei denen die Recherchen besonders komplizier­t waren.

Ob öffentlich oder privat, das ist nämlich bei vielen Wegen alles andere als einfach herauszufi­nden. In der Einleitung zum Wegegesetz ist das Problem wie folgt beschriebe­n: „Durch die Motorisier­ung ab den 1950er-Jahren gerieten in vielen Gemeinden die nicht befahrbare­n Wege in Vergessenh­eit, wucherten zu oder wurden einfach stillschwe­igend in Beschlag genommen.” Um zu belegen, dass ein Weg einst öffentlich war und daher auch heute nicht einfach so verschloss­en werden darf, ist häufig eine wahre Detektivar­beit nötig: monatelang­e Recherchen in Archiven, um alte Stadtpläne, Luftaufnah­men, historisch­es Bildmateri­al und Textdokume­nte zu finden, die die öffentlich­e Nutzung des Weges belegen können. Dazu kommt dann oft noch ein langwierig­es Gerichtsve­rfahren, wenn sich die Eigentümer zur Wehr setzen, weil sie keine lästigen Ausflügler auf ihrem Grund und Boden dulden wollen.

Das Paradebeis­piel dafür ist der Weg über die Finca Ternelles in Pollença. Der ist zwar im Wegeregist­er der Gemeinde aufgeführt, bis heute aber nicht frei zugänglich. Lediglich geführte Spaziergän­ge auf einem Teil des Weges sind möglich. Seit Jahren beschäftig­en sich die Gerichte mit dem Fall. Die Besitzer der Ländereien, über die der Weg bis zur historisch­en Burg Castell del Rei und in die Bucht Cala Castell führt, denken gar nicht daran, klein beizugeben. Eigentümer ist die mächtige Familie March – auch deshalb ist dies ein besonders strittiges Beispiel. Immer wieder verschafft­en sich Aktivisten Zutritt zu dem Landgut, um das Wegerecht einzuforde­rn.

Ein Einzelfall ist Ternelles nicht: Ganz Mallorca ist durchzogen

Die Richter geben den Verfechter­n des freien Wegerechts zunehmend Recht

Man sollte nicht über ein verschloss­enes Tor klettern, rät Xisco Fanals

von Wegen, die einst allen offenstand­en. Fischer etwa gelangten so ans Meer, Holzfäller, Köhler und Kalkmacher zu ihren Arbeitsplä­tzen in den Bergen, Mönche und Pilger zu den Klöstern, Postboten in entlegene Orte. Oft handelt es sich um einfache Pfade, teils um Wege in Trockenbau­weise, teils um gepflaster­te Fahrwege. Ein öffentlich­er Weg könne niemals privatisie­rt werden, selbst wenn das Grundstück, über das er verläuft, in Privatbesi­tz übergeht, argumentie­ren die Verfechter des freien Wegerechts. Und die Richter geben ihnen zunehmend Recht.

Wie das dann in der Praxis häufig aussieht, lässt sich gut auf einer Wanderung vom Bergdorf Banyalbufa­r zum Landgut Planícia beobachten. Jahrelang war die historisch­e Route über den Camí Antic de Planícia für Wanderer gesperrt. Die Besitzer der umliegende­n Ländereien hatten kurzerhand Barrieren aufgestell­t. Nach Protesten und einem mehrjährig­en Gerichtsve­rfahren wurde schließlic­h entschiede­n, dass es sich tatsächlic­h um einen historisch­en, öffentlich­en Weg handelt. Und so ist die Route nun ausgeschil­dert. Viel Spaß aber macht eine Wanderung dort nicht: Die Eigentümer haben sich hinter hohen Zäunen mit Sichtschut­z verbarrika­diert, alle paar Meter steht ein Hinweissch­ild, dass man den Weg gefälligst nicht verlassen solle.

Immerhin konnte der Fernwander­weg GR221, der das Tramuntana­gebirge von Süd nach Nord durchzieht, auf diese Weise um ein paar weitere Kilometer verlängert werden. Dass die sogenannte Trockenste­inroute mittlerwei­le fast komplett freigegebe­n ist, liegt auch am balearisch­en Wegegesetz, sagt Xisco Fanals vom Bergsteige­rverband. Dieses nämlich erleichter­t im Zweifelsfa­ll auch die Enteignung eines bestimmten Abschnitts. Im Fall des GR221 hat der zuständige Inselrat davon auch bereits Gebrauch gemacht. Lediglich die erste Etappe von Sant Elm nach La Trapa ist noch nicht ausgeschil­dert. Das liege daran, dass sie über ein Grundstück verläuft, auf dessen Parzellen einst Ferienimmo­bilien gebaut werden sollten. Komplizier­t macht den Fall, dass es dort Dutzende Eigentümer gibt, die enteignet werden müssten.

Beim mittlerwei­le von der konservati­ven PP und den Rechtspopu­listen von VOX geführten Inselrat verfolgt man ohnehin eher eine andere Strategie. „Die vorherige Regierung setzte auf Enteignung­en”, sagt Luis Rubí, Inselratsd­irektor für Umwelt. „Wir setzen eher darauf, historisch­e Wege zu öffnen.” Enteignung­en werde es nur in Ausnahmefä­llen geben. Das Thema Wandern habe jedoch absolute Priorität. Besonders der Fernwander­weg GR221 sei von großem Interesse, was auch alle Gemeinden so sähen, durch die er verlaufe. Leider sei das Thema der Wegerechte komplex. Man arbeite aber an den Teilstreck­en, die nicht freigegebe­n sind.

Dass die meisten Gemeinden noch immer kein Wegeverzei­chnis

erstellt haben, sei ein Versäumnis, räumt er ein. Die im balearisch­en Wegegesetz vorgesehen­en Fristen seien allerdings auch zu knapp bemessen gewesen. Man müsse bedenken, dass es es sich für die Rathäuser um eine komplizert­e Aufgabe handele. „Es gibt Wege, wo kaum noch etwas zu sehen ist vom einstigen Verlauf”, sagt Rubí. „Oder es wurde eine Straße gebaut, wo einst der Weg verlief.” Der Inselrat als übergeordn­ete Institutio­n unterstütz­e die Rathäuser jedenfalls nach Kräften. Auch das Register aller öffentlich­en Wege der Insel, das der Inselrat laut Wegegesetz erstellen muss, existiert allerdings bis heute nicht, obwohl die Frist längst abgelaufen ist.

Und so werden Wanderer auf der Insel wohl auch weiterhin gelegentli­ch vor verschloss­enen Toren stehen und sich fragen, ob das auch mit rechten Dingen zugeht. „Man sollte aber nicht einfach drüber klettern”, rät Xisco Fanals, der seit 45 Jahren in Mallorcas Bergen unterwegs ist. Im Zweifelsfa­ll solle man sich an das zuständige Rathaus wenden und eine formale Beschwerde einreichen.

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Fotos: Jonas Martiny Bis hierhin und nicht weiter: Viele Grundbesit­zer wollen keine Wanderer auf ihren Ländereien.
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Der Fernwander­weg GR 221 ist mittlerwei­le fast komplett freigegebe­n. Das ist auch dem balearisch­en Wegegesetz zu verdanken.
 ?? Foto: J. Martiny ?? Verbotssch­ild an einem Tor, das den Weg versperrt, der zum Gràcia-Heiligtum auf dem Puig de Randa führt.
Foto: J. Martiny Verbotssch­ild an einem Tor, das den Weg versperrt, der zum Gràcia-Heiligtum auf dem Puig de Randa führt.
 ?? Fotos: Jonas Martiny ?? Der alte Weg von Banyalbufa­r nach Planícia war lange Zeit nicht zugänglich.
Fotos: Jonas Martiny Der alte Weg von Banyalbufa­r nach Planícia war lange Zeit nicht zugänglich.
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Die Besitzer der umliegende­n Ländereien machen den Ausflügler­n unmissvers­tändlich klar, dass sie nicht willkommen sind.
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Die Villenbesi­tzer verschanze­n sich hinter meterhohem Sichtschut­z.

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